„VERMISST Der Turm der blauen Pferde von Franz Mark“ Ausstellungseröffnung, Foto: Weidmann

Das Haus am Waldsee hat am 3. März die Ausstellung „VERMISST Der Turm der blauen Pferde von Franc Marc“ eröffnet. Dabei sollen Videoinstallationen, Gemälde und Fotos von insgesamt 20 zeitgenössischen Künstlern die Besucher auf Spurensuche führen. Denn das Gemälde „Der Turm der blauen Pferde“ des expressionistischen Künstlers Franc Marc gilt seit dem Krieg als verschollen. Zeugen wollen es aber zuletzt im Haus am Waldsee gesehen haben.

„Wir haben genau das Richtige gemacht und keine Franz Marc Ausstellung gefördert, sondern eine aktuelle, zeitgenössische Ausstellung“, sagt Dr. Martin Hoernes von der Ernst von Siemens Kunststiftung. Auch Friederike Tappe-Hornbostel von der Kulturstiftung des Bundes lobte die neue Ausstellung: „Wir freuen uns und hatten nicht die geringsten Bedenken die 139.000 Euro dafür auszugeben.“

Durch die Gelder und die Zusammenarbeit mit der Staatlichen Graphischen Sammlung München können nun die Werke von insgesamt 20 Künstlern über zwei Etagen hinweg begutachtet werden. Die Ausstellungsräume des Haus am Waldsee wurden dabei eher schlicht gestaltet. Der Besucher sieht viel weiße Wand, da sich in einigen Räumen jeweils nur ein Ausstellungsstück befindet. Dadurch wird den Betrachtern ermöglicht, sich intensiv mit den einzelnen Arbeiten auseinanderzusetzen.

Gleich hinter dem Eingang erwartet den Zuschauer beispielsweise die Arbeit Nobert Biskys. Sein Kunstwerk bezieht sich auf ein Gerücht, dem zufolge sich das verschollene Gemälde zuletzt 1948 im angrenzenden Haus der Jugend befand. Ein fünfzehnjähriger Pfadfinder soll bezeugt haben, es dort gesehen zu haben. Auf Nachfragen der Direktorin des Haus am Waldsee, Dr. Katja Blomberg, sagte der Leiter des heutigen Haus der Jugend, dass die Pfadfinder das Gemälde wahrscheinlich zum Feuer machen benutzt hätten. Diesen Mythos griff Bisky auf, in dem er zunächst das Gemälde auf einer alten Leinwand nachmalte und anschließend zerstörte. Die Überreste liegen, als einziges Werk in diesem Raum, auf einem Haufen auf dem Boden. „Die Arbeit von Bisky steht natürlich nicht explizit nur für das Schicksal des Turms der blauen Pferde, sondern eben auch darüber hinaus für alles, was verloren gegangen ist in dieser dramatischen Zeit“, sagt Blomberg. Damit beschreibt sie eine weitere Thematik, mit der sich die Ausstellung befasst: Denn neben der künstlerischen Suche nach dem Bild drücken einige Künstler auch das Schweigen der Nachkriegszeit in ihren Werken aus. Die Frage, warum nach dem Krieg nicht mehr nach dem verschollenen Meisterwerk gesucht wurde, steht im Raum.

Ebenfalls nennenswert ist die Video- und Rauminstallation des Künstlers Christian Jankowski. Er begibt sich nicht in die Vergangenheit, sondern dokumentiert den Ist-Zustand. Er drückt in einem Ausstellungsraum seine Idee aus, den Turm der blauen Pferde von der Nationalgalerie auszuleihen und im Haus am Waldsee auszustellen. Dazu dokumentierte er den gesamten Prozess: Zuerst stellte das Haus am Waldsee eine offizielle Leihanfrage an die Nationalgalerie, wies die richtige Luftfeuchtigkeit im Raum nach und kümmerte sich um eine Versicherung. Anschließend wurde ein Logistikunternehmen beauftragt, das das nicht vorhandene Gemälde fachgerecht in die Ausstellungsräume transportierte. Den Besuchern werden dieser Gedanke und der Prozess durch eine Schautafel und ein Video verdeutlicht. Im Raum selber zeigen zwei Haken an einer weißen Wand, wo das Bild eigentlich hätte hängen sollen.

Neben diesen beiden zeitgenössischen Gedanken können zahlreiche weitere Werke bestaunt werden: von der künstlerischen Zerlegung des ursprünglichen Gemäldes und der Zusammensetzung in mehrere Neue, bis hin zu einer „Stummfilmdokumentation“. Dem Besucher wird ein breites Spektrum zeitgenössischer Kunst geboten.

Der Mythos

Doch während die Ausstellung ausschließlich zeitgenössische Kunst zeigt, beschäftigt sich die Kunst selbst eher mit der Vergangenheit und der Geschichte. Es dreht sich alles um den Verbleib des expressionistischen Meisterwerkes, das seit den 20er Jahren als verschollen gilt. Die Ausstellungsräume des Haus am Waldsee wurden für diese Spurensuche deshalb auch nicht zufällig ausgewählt. „Es ist nicht irgendein Museum“, sagt Tappe-Hornbostel und spielt damit auf einen Mythos an. Zeugen wollen das Gemälde nämlich zuletzt im Haus am Waldsee gesehen haben.
Direktorin Blomberg schilderte die Geschichte des Gemäldes recht eindrücklich: 1913 malte Marc sein Gemälde, indem er blaue Pferde vor einem Kirchenfenster und einem Regenbogen auf einer Leinwand festhielt. Blomberg zufolge drückte der Maler damit eine Vorahnung einer neuen philosophischen und spirituellen Zeit aus. Nach der ersten Ausstellung seines Gemäldes machte sich der Künstler bereits mit 34 Jahren einen Namen in der Szene. Nachdem Marc als Soldat im Ersten Weltkrieg 1914 fiel, wurde das Bild zum Star der Weimarer Republik. Die Nationalgalerie in Berlin kaufte es 1919 schließlich an und stellte es bis 1936 aus. Nach der Machtergreifung Hitlers 1933 wussten die Nationalsozialisten lange Zeit nicht, ob Marcs Werke wirklich als „entartete“ Kunst gewertet werden sollen. Nachdem es für fünf Tage in der Ausstellung „entartete Kunst“ gezeigt wurde, kam es wieder zurück nach Berlin. Nach einer Besichtigung der Werke durch Hermann Göring und Hitler im Frühjahr 1938 hat Göring das Gemälde dann in seinen Privatbesitz übergehen lassen.

Von da an verlieren sich die nachweißlichen Spuren. 1977 schreib der Tagesspiegel, dass das Gemälde nach dem Krieg im Haus am Waldsee gesehen wurde. Der ehemalige Besitzer des Hauses und Vizepräsident der Reichsfilmkammer soll Göring gekannt haben. Angeblich soll dieser in den heutigen Kunsträumen ein und aus gegangen sein. Ob Göring das Gemälde verliehen hat oder, ob er es dort während des Krieges an einen sicheren Ort bringen wollte, ist nicht nachweisbar. Es könnte auch sein, dass der Mythos um das Haus am Waldsee auch nicht mehr als ein Gerücht ist.

Blomberg schließt mit den Worten, dass lange geschwiegen wurde. „Für uns gilt das nicht mehr. Wir wollen eben jetzt genauer hinschauen und schütteln ein bisschen den Kopf drüber, dass so ein prominentes Werk auch vergessen wurde“. VERMISST ist eine Ausstellung, die auf zeitgenössische Weise die Geschichte eines expressionistischen Meisterwerks reflektiert, sich mit der Erinnerungspolitik der Bundesrepublik beschäftigt und den Ist-Zustand dokumentiert.

Noch bis zum 5. Juni können die Besucher die Werke in den Ausstellungsräumen des Haus am Waldsee anschauen.

(dw)