Bei der Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung (BVV) vor fünf Jahren schafften die Piraten den Sprung ins Bezirksparlament. In diesem Jahr stellen sie sich wieder zur Wahl. Ihr Spitzenkandidat ist Eric Lüders. Der 47-jährige Software-Entwickler ist seit 2013 Fraktionsvorsitzender seiner Partei in der BVV.

Hinter Ihnen und Ihrer Partei liegt die erste Legislatur in der BVV. Welches Fazit ziehen Sie? Was haben Sie in den fünf Jahren erreichen können?

Lüders: Die ersten fünf Jahre in der BVV waren für uns Piraten sehr positiv. Wir haben pro Kopf die meisten Anträge gestellt, und zu circa 60 Prozent wurden diese angenommen. Das ist für eine so kleine Fraktion schon besonders. Daran erkennt man, dass wir die Oppositionsrolle konstruktiv ausgefüllt haben. Das geht natürlich nur, wenn alle in der Fraktion an einem Strang ziehen.

Leider mussten wir feststellen, dass es oftmals nicht ausreicht, wenn unser Antrag in der BVV beschlossen wurde. Das Bezirksamt hat des Öfteren einen Beschluss gar nicht oder mit sehr großer Verzögerung umgesetzt. Das ging übrigens nicht nur uns so, sondern allen Fraktionen. Hier muss die BVV in Zukunft stärker die Erfüllung ihrer Beschlüsse einfordern.

Leider ist das Bezirksamt nicht an die Beschlüsse der BVV gebunden. Trotzdem haben wir Einiges erreichen können. Wir haben mit unserem Antrag dazu beigetragen, dass die Anna-Essinger-Gemeinschaftsschule (vormals Montessori-Gemeinschaftsschule) eine gymnasiale Oberstufe bekommen hat. Wir haben eine Vorschlag zur Umgestaltung des Platzes des 4. Julis gemacht, der alle Interessen berücksichtigt und von allen Beteiligten begrüßt wurde. Wir haben auch erreicht, dass der Katastrophenschutzplan für den Kernreaktor in Wannsee öffentlich im Internet einsehbar ist. Wir haben uns für bestimmte Themen immer wieder eingesetzt und haben dann oft feststellen können, dass etwas geschehen ist.

Manchmal haben wir so Erfolge erzielt, auch wenn nicht erkennbar ein Antrag der Piraten dahinter steht. Dann heißt es am Ende vielleicht „durch Amtshandeln erledigt“, aber durch einen Antrag oder eine Anfrage haben wir einen Prozess angestoßen, der zum gewünschten Ergebnis führt. So haben wir uns immer wieder für den Erhalt des Rumpelbasars eingesetzt. Wir haben gefordert, dass der Investor an der Truman-Plaza für ein dem Bezirk gehörenden Grundstücksstreifen, den er seit Jahren nutzt, jetzt auch tatsächlich Miete zahlt. Wir haben immer wieder die Situation in der Musikschule zum Thema gemacht und darauf bestanden, dass das Verkehrsgutachten für Lichterfelde-Süd unabhängig durchgeführt und um wichtige Punkte erweitert wird. Unsere Forderung, dass Schulen einen IT-Beauftragten bekommen sollen, ist inzwischen auch von anderen Parteien aufgenommen worden. Manchmal besteht unser Erfolg dann auch darin, dass man von uns klaut.

Neben großen Themen wie Lichterfelde-Süd oder der Musikschule haben wir uns auch immer wieder gerne mit scheinbar kleineren Dingen beschäftigt, die aber für die Lebensqualität wichtig sind. Wir sind für unsere Anträge, durch die mehr öffentliche Toiletten geschaffen werden sollen, manchmal belächelt worden, aber Lebensqualität hängt zu einem großen Teil auch an solchen Kleinigkeiten.

Als kleinste Fraktion in der BVV konnten sie oft Ihre Anliegen nicht durchsetzen. Vor allem bei den Themen Drogen und Transparenz fehlten Ihnen die Mehrheiten. Welche Themen haben Sie sich für die nächste Legislatur vorgenommen und wie wollen Sie sie durchsetzen?

Lüders: Wie eben erwähnt, wurde die Mehrheit unserer Anträge angenommen. Es ist also nicht so, dass wir uns oft nicht durchsetzten konnten. An erster Stelle steht für uns das Thema Transparenz. Dies werden wir auf jeden Fall weiter verfolgen. Die Sitzungen des Bezirksamtes müssen in der Öffentlichkeit statt hinter verschlossenen Türen stattfinden. Informationen müssen für den Bürger einfach zugänglich sein. Unser Bezirk soll sich endlich am OpenData-Portal beteiligen. Dafür haben wir uns eingesetzt und werden es weiter tun.

Transparenz ist zugleich die notwendige Grundlage für unser anderes Hauptthema: Bürgerbeteiligung. Wir wollen, dass die Einwohner des Bezirks die Entwicklung hier stärker mit gestalten können. Sie müssen frühzeitig informiert werden. Wir wollen, dass unterschiedliche Formen der Bürgerbeteiligung stärker gefördert werden. Es muss für die Menschen im Bezirk leicht sein, sich zu beteiligen.

Wir werden auch an den großen und wichtigen Themen im Bezirk dran bleiben, so wenn demnächst der Bebauungsplan für Lichterfelde-Süd beschlossen werden wird. Andere große Themen sind die Schulsanierung und vor allem die Haushaltssanierung, denn ohne Geld können wir gar nichts bewegen. Wir werden dafür sorgen, dass unser Konzept zum Platz des 4. Juli auch tatsächlich umgesetzt wird und wollen uns für die Modernisierung der Verwaltung einsetzen. Auch das „kleine“ Thema „öffentliche Toiletten“ werden wir selbstverständlich weiter verfolgen.

Wie bisher wollen wir das durchsetzen, indem wir gute Anträge einbringen, die wir auch gut begründen, so dass wir Unterstützung dafür finden können. Je mehr Wähler uns ihre Stimme dafür geben, desto einfacher wird es.

Sie werben mit dem Slogan „Wir bleiben, bis Berlin funktioniert“. Was funktioniert denn Ihrer Meinung nach im Bezirk Steglitz-Zehlendorf nicht und was wollen Sie dagegen tun?*

Lüders: Die Frage müsste vielleicht lauten, was überhaupt noch funktioniert. Unsere Bürgerämter auf jeden Fall nicht. Da reagieren die Menschen im Bezirk inzwischen ja nur noch mit Sarkasmus. Berlin ist so inzwischen bundesweit zum Synonym für völliges Verwaltungsversagen geworden. Es ging ja soweit, dass zehn Wochen vor der Wahl nicht klar war, ob sie überhaupt statt finden kann. Das liegt sicher nicht an den Menschen, die in den Bürgerämter arbeiten, sondern am beispiellosen Versagen der politisch Verantwortlichen. Wir wollen, dass die Bürgerämter wieder funktionieren. Dazu müssen sie mit genügend Personal ausgestattet werden. Das kann aber nur ein erster Schritt sein. Die Bürgerämter, wie die ganze Verwaltung, müssen endlich in diesem Jahrtausend ankommen. Dazu müssen alle Verwaltungsvorgänge analysiert, effizient gestaltet und digitalisiert werden, damit möglichst viele Vorgänge beim Bürgeramt auch online verfügbar sind. Die Menschen sollen gar nicht erst zum Bürgeramt gehen und dort warten müssen. Falls jemand dann doch dahin muss, soll er innerhalb von maximal zwei Wochen einen Termin bekommen, in dringenden Fällen auch am gleichen Tag. Die Termine müssen über einen einheitlichen Zugang vergeben werden und nicht, wie heute, über viele verschiedene Wege.

Die Bürgerämter sind dabei nur die Spitze des Eisberges. Deutschlands größte Musikschule wird kaputtgespart und durch eine nicht funktionierende Software sabotiert. Das Jugendamt kann auf Grund von Personalmangel fast nur noch in den schlimmsten Fällen von Kindeswohlgefährdung einschreiten. Für nicht absolut dringende, aber an sich vorgesehene Routineaufgaben sind keine Kapazitäten mehr da. Es gibt immer noch keine funktionierende Marktverwaltung. Das Ordnungsamt schafft es nicht, alles zu kontrollieren, was es eigentlich kontrollieren sollte und müsste. Es fehlt oft an Personal und noch mehr an Konzepten.

Für das mehr an Personal ist natürlich in erster Linie das Land zuständig, deshalb werden wir natürlich darauf drängen, das der Bezirk mit dem Land stärker als bisher nach Lösungen sucht, wie die Verwaltung modernisiert werden kann. Aber auch das zukünftige Bezirksamt muss eigene Konzepte entwickeln, wie die Prozesse in der Verwaltung zu modernisieren sind. Wir werden auch in der nächsten Legislatur diese Konzepte mit Nachdruck einfordern, aber auch eigene Vorschläge machen. Bis unser Bezirk wieder funktioniert.

Wie wollen die Piraten das Haushaltsdefizit bekämpfen und eine Haushaltssperre zukünftig verhindern?

Lüders: Vor allem muss zuerst eine gründliche Analyse erfolgen. Keiner weiß wirklich, wo das strukturelle Defizit von circa drei Millionen Euro pro Jahr herkommt. Diese Frage muss eindeutig beantwortet werden. Dann müssen zügig die richtigen Maßnahmen ergriffen werden, um dieses strukturelle Defizit abzubauen. Durch das Nichthandeln des bisherigen Bezirksamtes müssen 2017 acht Millionen Euro eingespart werden. Am Anfang der Legislaturperiode hatte der Bezirk noch ein Plus von zwölf Millionen Euro. Das ist das Ergebnis von fünf Jahren schwarz-grüner Politik im Bezirk. Mit dieser unsoliden Haushaltsführung muss Schluss sein. Wir wollen auch in diesem Bereich mehr Transparenz schaffen. Der Bürger muss den Haushalt verstehen können. Das ist jetzt nicht der Fall. Deshalb fordern wir, dass der Haushalt den Bürgern vorgestellt und erläutert wird.

Auch auf Landesebene muss die Politik des Senats, welcher die Bezirke nicht auskömmlich finanziert, geändert werden. Statt immer öfter Sonderprogramme aufzulegen, müssen die Bezirke dauerhaft ausreichend mit Mittel ausgestattet werden.

Mehr als 450 Millionen Euro beträgt der Sanierungsstau an den Steglitz-Zehlendorfer Schulen. Wie wollen Sie den abbauen?

Lüders: Die Wahrheit ist, dass dieser riesige Sanierungstau nicht innerhalb der nächsten Legislatur vollständig abgebaut werden kann. Er ist ja auch durch ein jahrzehntelanges Nichtstun entstanden. Wichtig ist, dass dem Bezirk Mittel und Personal vom Land zur Verfügung gestellt werden, damit zügig angefangen werden kann.

Wir sind dagegen, dass das Land zentral für die Schulsanierung zuständig wird, wie von der SPD vorgeschlagen. Der Bezirk kann das vor Ort besser durchführen, und das Land hat sich bei seinen bisherigen Projekten nicht gerade als kompetent dargestellt, als Beispiele nenne ich nur den berühmt-berüchtigten BER, die Staatsoper oder im Bereich Schule das Projekt egovernment@school, durch das die Schulen eine bessere elektronische Verwaltung bekommen sollten und das faktisch gescheitert ist.

Aber der Bezirk muss seine Hausaufgaben machen. Bisher hat sich das Bezirksamt mehr durch gegenseitige Schuldzuweisungen hervorgetan, statt alle Kräfte zu bündeln, um diese große Aufgabe zu bewältigen. Deshalb sollen im nächsten Bezirksamt alle mit der Schulsanierung befassten Ämter nur einem Stadtrat unterstellt werden. Es soll auch einen eigenen Ausschuss geben, der sich nur mit diesem Thema befasst.

Wenn der Schwerpunkt auf der Sanierung der Schulen liegt, wie wollen Sie verhindern, dass nicht die restliche Infrastruktur vernachlässigt wird?

Lüders: Deshalb darf die Schulsanierung auch nicht der einzige Schwerpunkt sein, auch wenn sie besonders wichtig ist. Die restliche Infrastruktur wurde in den letzten Jahren genauso wenig ausfinanziert wie die Schulen. Auch dafür benötigen wir ausreichend Geld und Personal. Es darf da kein entweder oder geben. Berlin ist mit der Politik des Sparens bis es quietscht voll gegen die Wand gefahren worden. Jetzt sieht man, dass das am Ende mehr kostet, als wenn man die Erhaltung der Infrastruktur jedes Jahr ausreichend finanziert hätte. Die Schulsanierung darf nicht zu Lasten der Finanzierung der restlichen Infrastruktur gehen. Sonst haben wir bald einen noch größeren Sanierungsstau als jetzt schon.

Wie denken Sie, unterscheiden Sie sich von den andern Parteien, die ebenfalls in die BVV gewählt werden wollen?

Lüders: Wir haben in den letzten fünf Jahren bewiesen, dass wir eine unabhängige und zugleich konstruktive Opposition in der BVV sind. Wir bieten einen einfachen Zugang für jeden bei uns mitzumachen. Jeder kann online mit OpenAntrag direkt Anliegen an uns richten, die wir in die BVV bringen. Wir wollen, dass jeder Mensch im Bezirk weiß, wie und warum politische Entscheidungen zu Stande kommen. Wir wollen, dass die Menschen in diesem Bezirk mitgestalten und mitbestimmen, und das nicht nur alle fünf Jahre. Wir wollen ein tolerantes Miteinander in diesem Bezirk und nicht alles durch Verbote regeln. Wir wollen einen Bezirk für alle Menschen, nicht nur für die, die es sich leisten können. Wir werden mit neuen Konzepten die  Zukunft des Bezirks mitgestalten und nicht den Bezirk zurück in die Vergangenheit führen. Das alles zusammen gibt es nur mit uns Piraten.

(go)