Gisela Meyer mit einem ihrer mehr als 500 Rolltücher. Foto: Gogol

Gisela Meyer mit einem ihrer mehr als 500 Rolltücher. Foto: Gogol

„Rollen gehen“ – eine Redewendung, die heute kaum noch jemand kennt. Dabei war das vor 60 Jahren noch eine normale Aufgabe für jede Hausfrau. Sie nahm die frische Wäsche und ging zum nächsten Seifengeschäft oder der nächsten Drogerie, um ihre Wäsche durch die Mangel zu drehen. Mit dabei immer das „Rolltuch“, das die Wäsche schützte und fixierte. Die zwei Meter mal 80 Zentimeter großen Tücher waren ein Alltagsgegenstand, der in Preußen zwingend zu jeder Aussteuer gehörte, erklärt Gisela Meyer. 553 von diesen Rolltüchern nennt die Lichterfelderin ihr eigen. Sie hat sie in den vergangenen rund 25 Jahren gesammelt. 70 von ihnen sind derzeit in einer Ausstellung im Technikmuseum Ludwigsfelde zu sehen.

Meyer, Jahrgang 1946, kann sich noch gut daran erinnern, wie sie mit ihrer Mutter zur Kaltmangel ging. Damals wohnte die Familie, so wie Meyer auch noch heute, an der Schwelmer Straße. Die nächste Mangel stand um die Ecke, im Keller eines Lebensmittelgeschäfts, erinnert sich die 70-Jährige. Für sie, als kleines Kind, war die „Rolle“ groß und ächzte laut, „die war unheimlich und interessant“, erzählt Meyer. Und eigentlich durften Kinder jünger als 14 Jahre den Mangelraum auch nicht betreten. Doch Kitaplätze habe es damals kaum gegeben, deshalb nahmen Mütter ihre kleinen Kinder meist mit zum „Rollen“.

Meyer gehört bereits zu einer Generation, die keine eigenen Rolltücher mehr hatte, auch die der Mutter schmiss sie nach deren Tod weg. Erst zirka 1990 entdeckte sie sie wieder. Meyer arbeitete damals als Gemeindeschwester und fand beim Aufräumen der Wohnung einer Patientin zwei reich gemusterte Rolltücher im Jugendstil. Die Besitzerin wollte sie wegwerfen, Meyer aber fragte, ob sie die behalten durfte. So wurden diese beiden Tücher die ersten in ihrer Sammlung. Schnell kamen neue hinzu, als sie Familie, Freunden und Patientinnen von den Tüchern berichtete. „Oft lagen die Tücher im Schrank, ohne Funktion“.

Bereits 1992 stellte Meyer das erste Mal ihre Rolltücher im Gemeindehaus ihrer Kirche aus. Und sie begann sich mit der Geschichte der Tücher zu beschäftigen. Rund 200 Museen, Universitäten und Webereien im In- und Ausland schrieb sie an und erfuhr, dass die reich verzierten Rolltücher aus Schlesien stammen. Im Urlaub besuchte sie Gegenden, die für Leinenproduktion und Weberei bekannt sind, die Lausitz, Bielefeld, Bochhold und Dülmen – doch dort fand sie nur einfache Rolltücher, mit keinen oder nur wenigen Mustern.

Nahaufnahme Rolltuch, Foto: Gogol

Nahaufnahme Rolltuch, Foto: Gogol

Fast jedes Wochenende besuchte Meyer Flohmärkte, auf der Suche nach neuen Mustern, heute bestellt sie die Tücher im Internet. Was sie antreibt: „Alle Tücher sind unterschiedlich, haben andere Muster oder Bilder.“ Die will sie finden. „Es gibt nicht mehr viele, die ich nicht habe“, sagt sie nach mehr als zwei Jahrzehnten Sammelleidenschaft. Das älteste Tuch das sie besitzt, stammt aus der Gründerzeit, weitere sind aus der Zeit des Jugendstils, Art deco, einige Tücher im Bauhausstil mit stilisierten Wäscheklammern hat Meyer in ihrer Sammlung. Die jüngsten stammen aus den 1930er Jahren, mit „sehr deutschen Frauen, Schäferhund und der typischen Frakturschrift“. Heinzelmännchen und Engel sind gängige Motive, aber auch Hausfrauen beim Bügeln und Waschen, holländische Mädchen und Mühlen waren eine Zeitlang modern.

Dass es diese gemusterten Rolltücher gibt, ist dem automatischen Webstuhl von Joseph-Marie Jacquard zu verdanken, weiß Meyer. Der erlaubte die Massenproduktion. Für die Frauen wurden sie zum Statussymbol, vermutet die Sammlerin.
Meyer liebt als Motiv vor allem die Heinzelmännchen, aber ein spezielles Lieblingstuch hat sie nicht. „Das ändert sich. Manchmal ist das neuste das liebste.“

Die Ausstellung im Ludwigsfelder Museum zeigt neben den Tüchern von Gisela Meyer auch Mangelbretter und Modelle und den Nachbau einer Mangel. Die Schau ist noch bis 4. September zu sehen, donnerstags ist Gisela Meyer von 11 bis 15 Uhr selbst vor Ort, außer in der ersten und zweiten Juli-Woche, auf Anfrage bietet sie auch Führungen.

(go)