Abbildung 1. Bahndamm der Doughboy City mit Gleis, Zustand September 2016. Foto: C. Noack

Abbildung 1. Bahndamm der Doughboy City mit Gleis, Zustand September 2016. Foto: C. Noack

Im Kontext der künftigen Nutzung des Geländes Lichterfelde Süd als eines der größten neuen Berliner Wohnungsbaustandorte stellen sich veritable Fragen zum Umgang mit einem zwanzig Jahre alten Biotop und den Spuren längst untergegangener Planungen und Nutzungen als Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) und Truppenübungsgelände der US-Army.

Bis in die 1930er Jahre hinein befand sich hier eine von Gräben und Wegen durchzogene Feldflur, geprägt von Ziegeleien und vor allem Landwirtschaft. Im Verlauf der heutigen Réaumurstraße und des Landweges erschlossen sich Teltow und Marienfelde, im Süden Osdorf und Teltow.

Das Deutsche Reich enteignete 1938 das stadteigene Gebiet, um neben dem hier avisierten „4. (Autobahn-) Ring“ auf ca. 60 Hektar ein Reichsbahnausbesserungswerk für Lokomotiven zu errichten, das im Zusammenhang mit dem sogenannten Südbahnhof und der gigantomanischen „Germania“-Planungen geplant war. Hier sollten außerdem elf dezentral im Reich verteilte Versuchsämter für die Erprobung neuer Bahntechnik in einem Neubau zusammengeführt werden. Sie wurden ausgerichtet auf alle bahntechnischen Innovationsfelder, angefangen vom Lokomotivbau über das Lager- und Gießereiwesen bis hin zur wärme- und energiewirtschaftlichen Forschung. Auf ca. 105.000m2 Nutzfläche sollten 1.100 Arbeitsplätze entstehen. Dazu kam die Planung einer Werkssiedlung mit 450 Wohnungen im Osten und Norden des Geländes (vgl. Reichsbahndirektion Berlin: Neubau der Reichsbahn-Versuchsanstalten Lichterfelde Süd, 1939). Fertiggestellt wurde davon nichts. Die meisten Baulichkeiten verblieben in Fundamenthöhe.

1940 errichtete man auf Befehl des Oberkommandos der Wehrmacht am Landweg und der Osdorfer Straße Baracken für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter. Sie wurden für den Bau des RAW herangezogen. Nach dem Krieg nutzten diese Handwerker für ihre Kleingewerbe. Einzelne sind heute noch vorhanden und dokumentiert (vgl. Goebel, Benedikt: NS-Baracken in Lichterfelde-Süd, 2014).

Abbildung 2. Im Hintergrund: Wallanlage der Doughboy City von Osten, Zustand September 2016. Foto: C. Noack

Abbildung 2. Im Hintergrund: Wallanlage der Doughboy City von Osten, Zustand September 2016. Foto: C. Noack

Auf einem Luftbild von 1944 der Royal Air Force (Abb.3) sind die Strukturen des RAW, der Versuchsanstalten, der Gleisanlagen und des Zwangsarbeiterlagers zu erkennen. Die Ortslage Sigridshorst wurde im Norden für die Bahnkurve nach Schönefeld verkleinert, die vorhandenen Häuser abgerissen. Die Planung dehnte sich deutlich über die Berliner Stadtgrenze hinaus.

Abbildung 3. Luftbild 1944 (Royal Air Force) Abbildung 4. Luftbild 1984 (SenBauWohn Abt. V)

Abbildung 3. Luftbild 1944 (Royal Air Force) / Abbildung 4. Luftbild 1984 (SenBauWohn Abt. V)

Die US-Army nutzte ab 1953 die im Süden an das Gewerbegebiet angrenzende, ca. 72 Hektar große Fläche als Truppenübungsplatz („M.O.U.T. Parks Range“). Im nördlichen Teil des nach dem ersten amerikanischen Stadtkommandanten Floyd L. Parks benannten Geländes befanden sich eine Hindernisbahn und ein Ausbildungsgelände mit 23 Gebäuden, von denen 18 für das Training des Häuserkampfs genutzt wurden. „M.O.U.T“ steht als militärischer Terminus für „Military Operations in Urban Terrain“.

Die Kampfanlage – von der Bevölkerung „Geisterstadt“ genannt – hieß nach der Bezeichnung für den einfachen Soldaten der US Army „Doughboy City“, zu Deutsch: „Landser-Stadt“. Um den Häuserkampf möglichst realistisch nachzubilden, baute die US-Berlin-Brigade einen Abschnitt der Berliner Kanalisation, eine Hochbahnstation auf einem Bahndamm mit Waggon, eine Kirche, ein Rathaus und mehrstöckige Betonhäuser. An der Grenze zur DDR diente der Süden als Gefechtsgelände für Panzer (vgl. Goebel, Benedikt: Kurze Geschichte des Grundstücks Lichterfelde-Süd, RAW & Geisterstadt, 2012).

Abbildung 5. Doughboy City, Betonhäuser, Bahndamm mit Haltestelle, ca. 1985. Foto: wikimapia.org

Abbildung 5. Doughboy City, Betonhäuser, Bahndamm mit Haltestelle, ca. 1985. Foto: wikimapia.org

Noch vor dem Abzug der Alliierten im Jahr 1994 räumte man Doughboy City. Aufschüttungen, Wege, der Bahndamm mit den Gleisen, ein Hubschrauberlandeplatz und Reste unterirdischer Anlagen blieben als Relikte. Das weitgehend von Vegetation überwucherte Gelände nutzen derzeit Pferde als Weidekoppel.

Nach mehrfachen Besitzerwechseln entwickelt die Groth Gruppe aktuell 96 Hektar des Geländes unter Freihaltung der sogenannten „Grünen Mitte“. Grundlage dafür ist ein 2013 in einem städtebaulichen Workshop-Verfahren gekürter Entwurf des Rotterdamer Büros Casanova & Hernandez Architects. „Hybrid City“ lautet nun der Titel für fünf reale Wohn-Quartiere auf ca. 39 Hektar Fläche an den Rändern des ehemaligen Truppenübungsgeländes. Das Bebauungsplanverfahren 6-30 klärt die Umwidmung des Gebietes. Dabei ist vor allem die spannende Frage zu beantworten, wie die junge Weidelandschaft und die Relikte einer sehr bewegten Vergangenheit dieses großflächigen Geschichtsareals Lichterfelde Süd in das Wohnungsbau- und Freiflächenkonzept eingebunden werden.

Christoph Noack

Denkmalschutzbehörde