Denkmal des Monats Oktober: Poelzig-Haus Am Fischtal

1928 errichtete Hans Poelzig für die Ausstellung „Bauen und Wohnen“ Wohnhäuser in der Siedlung Am Fischtalgrund in Berlin-Zehlendorf. Nummer 72 A ist eines davon. Das Gebäude wurde grundlegend saniert. Fotos: Kirsten Hertzberg, GAGFAH, Denkmalschutzbehörde

Die Häuser, die den Fischtalpark auf der Nordseite säumen, haben geneigte Dächer und stehen traufständig (Firste verlaufen parallel zur Straße). Ihre ziegelroten Biberschwanzdeckungen schließen bündig mit den Giebelwänden ab (Kanten- oder Ortgangsteine gab es nicht). Die straßenseitigen Dächer zeigen kaum Öffnungen, auf den Gartenseiten finden sich kleinteilige Gauben. Die Fassaden sind entweder hell geputzt oder das Mauerwerk zeigt seine Struktur unter einer beigen Schlämme. Knie- bis mannshohe Mauern verbinden die Häuser und trennen die privaten Gärten von den zur Straße offenen Rasenflächen. Einige Hauseingänge und Terrassen werden überfasst von hölzernen Dachkonstruktionen und Pergolen. Viele Fenster sind kleinteilig und von Sprossen gegliedert.

Der traditionsverhaftete Stil ist nicht zu übersehen und spiegelt bis heute die Idee für den Bau der Siedlung: Bezahlbarer Wohnraum für den Mittelstand, variierende Größen und Formen, zweckmäßige Ausstattung, freie Grundrissgestaltung. Eine bevorzugte Wohnlage am Fischtalpark sollte Angestellten möglich gemacht werden. Bedingung Nr. 1 jedoch war das geneigte (Sattel-) Dach.

Für das Bauprogramm ließ die GAGFAH (Gemeinnützige Aktiengesellschaft für Angestellten-Heimstätten, gegr. 1918) 1928 eben jene Versuchssiedlung Am Fischtalgrund bauen. 17 namenhafte Architekten stellten sich dieser Aufgabe unter der selbst gewählten Oberleitung Heinrich Tessenows.

Zeitgleich ließ die Gehag (Gemeinnützige Heimstätten-, Spar- und Bau-Aktiengesellschaft, gegr. 1924) gegenüber eine avantgardistisch orientierte Siedlung bauen. Unter der Leitung von Bruno Taut zusammen mit Hugo Häring und Otto Rudolf Salvisberg entstand die dank intensiver Farben und ihrer Flachdächer bekannte Onkel-Tom-Siedlung.

Damit war der Grundstein für den legendären „Zehlendorfer Dächerkrieg“ gelegt: Spitzdach gegen Flachdach, Tradition versus Moderne!

Die Form des Daches wurde zu einem Synonym für dezidierte Erwartungshaltungen. Sehnsucht nach Geborgenheit und flächenverschwenderisches Bauen unterstellte man dem Satteldach, auch die Verweigerung, die grassierende Wohnungsnot entschärfen zu wollen. Das Flachdach hingegen stand für das Neue Bauen, Aufgeschlossenheit, Moderne und Fortschritt.

Im Zentralblatt der Bauverwaltung vom November 1928 kritisiert Gustav Lampmann die Fischtalsiedlung
in Grund und Boden. Ähnlich negativ äußert sich Hugo Häring und zieht mit Berechnungen und Vergleichen kritisch Bilanz. Die Bauwelt widmet (Heft 34, 23.08.1928) der Siedlung gar eine ganze Ausgabe,
inklusive Dokumentation der einzelnen Häuser. In einem Atemzug wird die Anlage mit berühmten Siedlungen der jüngeren Baugeschichte genannt (tatsächlich vergleichbar waren die jeweils verhältnismäßig eng begrenzten Rahmenbedingungen, die Beteiligung verschiedener Architekten unter frei gewählter künstlerischer Oberleitung, dessen Name zu einem Synonym für die bauliche Haltung wurde und vor allem der jeweilige Ausstellungscharakter mit didaktisch werbender Absicht). Z.B. die Künstlerkolonie Mathildenhöhe in Darmstadt von 1901 unter der Leitung von Joseph Maria Olbrich oder die Weißenhof-Siedlung 1927 in Stuttgart unter Mies van der Rohe. In Darmstadt und Stuttgart setzte man bewusst auf neue Mittel und Formen, am Fischtalgrund hingegen auf handwerkliche Solidität und Tradition.

Allerdings stehen am Fischtal Moderne und Tradition durchaus auch nebeneinander. Das Büro von Walter Gropius (Direktor am Dessauer Bauhaus) entwarf und baute mit Adolf Sommerfeld die transportable Ausstellungshalle für die Modelle und das Restaurant sowie das Eingangsgebäude der Ausstellung (September bis Oktober 1928). Deutlich auf Fotos zu erkennen: ein Haus mit flachem Dach. Krasser Gegensatz zu den übrigen Ausstellungshäusern, der so manchen Kommentar provozierte.

Trotz des Siedlungsthemas wurde jedes Haus zu einem Unikat, so auch das Doppelhaus von Hans Poelzig. In der Stuttgarter Weißenhofsiedlung unterwarf Poelzig sich noch der Avantgarde, Am Fischtalgrund setzte er konservative Forderungen um, die er dann schriftlich zu erläutern suchte. Genauer betrachtet jedoch, vereint sein Entwurf beide Richtungen. Poelzig bewies, dass die klaren Vorgaben zu Material und Dachform nicht notgedrungen Heimatstil bedeuten, sondern durchaus Raum für Kreativität und Eigenständigkeit bieten: symmetrische Gliederungen, klaren Linien, die Betonung der Horizontalen in der Reihung der Fenster, die sehr flach und lang gezogenen Gauben, eine ununterbrochen durchlaufende Traufkante, die über die komplette Breite geschlossene Balkonbrüstung, der Einsatz von Klinkerkonturen im Sockel und als verbindendes Band, das den Giebel rahmt und die Fassaden seitlich abschließt.

Das Doppelhaus von Hans Poelzig erfuhr in seiner Nutzungsgeschichte Überformungen, die die ursprüngliche Haptik und Proportion ignoriert haben. Doch neuerlich überzeugt zumindest die rechte Hälfte wieder als ureigener Poelzig! Nummer 72 A wurde grundlegend saniert. Die beschriebenen Details des Poelzig-Entwurfs sind wieder lesbar. Eine gelungene Sanierung, die Ansporn für weitere Wiederentdeckungen Am Fischtalgrund sein möge

Dr. Jörg Rüter/Denkmalschutzbehörde