Die Direktkandidaten von Steglitz-Zehlendorf und deren Vertreter stellten sich den Fragen des Publikums. Foto: Gogol

Der Forschungsreaktor des Hemholtz-Zentrums Berlin (HZB) ist für die Wannseer ein sehr emotionales Thema. Sie wollen, dass er geschlossen wird – nicht erst 2020, wie vom HZB angekündigt, sondern sofort. Sie haben Angst: vor einem möglichen Unfall, einem Anschlag, vor zunehmenden Krebserkrankungen, um die Gesundheit ihrer Kinder. Und so war es auch kein Wunder, dass sich bei der Podiumsdiskussion zum Forschungsreaktor, zu dem das Anti-Atom-Bündnis Berlin/Potsdam am Donnerstagabend ins „Mutter Fourage“ eingeladen hatte, teils heftige Diskussionen ergaben.

Während die Direktkandidaten von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Linkspartei und Piratenpartei oft Beifall für ihre Statements bekamen, mit denen sie für die sofortige Abschaltung des Reaktors plädierten, war das zahlreich erschienene Publikum Karl-Georg Wellmann (CDU) und Helmut Metzner (FDP), als Vertretung für Martin Lindner, weniger wohl gesonnen. Nicht ernstgenommen und belächelt fühlten sich einige der Anwesenden von den beiden Politikern. Dafür sorgten vor allem Metzners und Wellmanns Vertrauen in die Arbeit des HZB und der zuständigen Kontrollgremien, aber auch ihr Unverständnis für die Aufregung. „Sie wohnen doch trotzdem hier“, sagte Metzner und nannte dies „persönliche Lebensrisikoabwägung“. Als Wellmann den Anwesenden empfahl, Strafanzeige zu erstatten, wenn man der Meinung sei, dass es im Forschungsreaktor Verstöße gebe, klang es schon fast verzweifelt, als eine Anwohnerin ihn bat: „Bitte tun Sie doch mal was für uns“.

Einige der Anwesenden nutzten die Gelegenheit, um den Politikern ihre Unwissenheit vorzuwerfen. Ob er denn wisse, wer die Strahlung des Forschungsreaktors messe und wann, wollte ein Anwohner von Wellmann wissen. Der wusste es nicht und musste sich belehren lassen, dass dies das HZB selbst tut. Es veröffentliche auch nur Durchschnittswerte. Und selbst die entsprächen denen um das Kernkraftwerk Brockdorf, ergänzte eine Noch-Wannseerin und überraschte damit den CDU-Mann.

Viel diskutiert an diesem Abend wurde die Frage nach der Wirksamkeit des Katastrophenplans. An die glaubte niemand im Raum. Frank Thiesen, Direktkandidat der Piratenpartei für Spandau und Charlottenburg Nord, ist Feuerwehrmann. Er kennt den Plan einigermaßen und weiß, in den entscheidenden ersten 20 Minuten, nach denen eine Kernschmelze eintreten könnte, „sind gerade einmal sechs Mann vor Ort. Von ABC-Einheiten ist da noch keine Rede“. Er sprach von einem mittleren Desaster. Und auch Wellmann betonte, dass der Plan im Notfall „Schall und Rauch“ sei, weil man dann einer „apokalyptischen Situation“ gegenüberstehe. Wenn es so sei, dass es keinen effektiven Katastrophenplan geben kann, dann könne man einen solchen Reaktor auch nicht betreiben, schlussfolgerte eine Zuhörerin.

Dass man offene Türen bei ihr einrenne, betonte Ute Finckh-Krämer (SPD). Sie sei in der Friedensbewegung sozialisiert worden, berichtete sie. Und die sei eng mit der Anti-Atomkraftbewegung verknüpft. Sie sei für eine sofortige Schließung des Forschungsreaktor, sagte sie. Die Einrichtung sei gefährlich. „Es geht nicht um den größten anzunehmenden Unfall, sondern um das, woran man nicht denkt“, also die kleinen Fehler, die täglich passieren können. Sie hatte auch einen Vorschlag. Statt Geld in die Nachrüstung des 40 Jahre alten Reaktors zu stecken, sollte das HZB es verwenden, um neue Forschungsfelder zu erschließen. „Dann haben wir vielleicht einen Übergang von zwei Jahren statt sieben.“

Darauf angesprochen, dass sie damit nicht die Linie der SPD vertrete, bestätigte Finckh-Krämer, dass sie mit dieser Meinung in ihrer Partei zu einer Minderheit gehöre.

Für Lampros Savvidis (Linke) war es ganz einfach: Er hatte unter anderem auf Störfälle hingewiesen, die Möglichkeit von Anschlägen und Flugzeugabstürzen, auf die mangelnden Sicherheitsprüfungen. Doch letztlich zählte für ihn nur eins. „Der Reaktor liegt in einem Wohngebiet. Allein das reicht, um ihn zu schließen.“

Nina Stahr (Bündnis 90/Die Grünen) betonte, dass die Sicherheitsstandards, die der TÜV nicht einmal vor Ort sondern nach Aktenlage geprüft habe, nicht ausreichend seien. Und da sei unerheblich, ob es Flugrouten über dem Wannsee gebe oder nicht. „Der Reaktor muss sicher sein, auch ohne Flugrouten“ betonte sie. Da es der Reaktor aber nicht sei, müsse er abgeschaltet werden. Zudem sprach sich Stahr dafür aus, die Krebsfälle zu erfassen, um zu dokumentieren, „was es bedeute, im Umfeld eines Reaktors zu wohnen.“

Dass ein Abschalten des Reaktors die Probleme nicht lösen würde, darauf wies Metzner hin. Denn zurück bleibe das radioaktive Material, das entsorgt werden muss – ein Thema für Jahrzehnte. Doch Rückbau sei auch eine Chance, merkte ein ehemaliger HZB-Mitarbeiter an, der im Publikum saß. In Wannsee könnten junge Ingenieure Erfahrungen damit sammeln.

Hart ins Gericht mit allen Parteien ging Alf Jarosch. Der Pirat und Atomkraftgegner warf aber vor allem Wellmann, der seit acht Jahren für Steglitz-Zehlendorf im Bundestag sitzt, vor, die Gefahr zu unterschätzen, nicht richtig informiert zu sein und nichts zu tun. Doch auch die anderen Parteien seien tatenlos. Keiner kümmere sich darum, dass es immer noch kein Gutachten darüber gebe, was passiert, wenn es in Wannsee gleichzeitig zu einem Treibstoffbrand und einer Wasserstoffexplosion komme. Wenn diese Untersuchung vorläge, da war sich Jarosch sicher, könnten die Parteien gar nicht anders, als den Reaktor schließen. Deshalb erteilte das Anti-Atom-Bündnis allen anwesenden Politikern einen überparteilichen Wählerauftrag: Sie sollen sich dafür einsetzen, dass dieses Gutachten endlich erstellt und so mit die Risiken, die vom Forschungsreaktor ausgehen, realistisch eingeschätzt werden können.