Vor 100 Jahren wurde der Mittelhof in Nikolassee errichtet, in dem heute das Zentrum Moderner Orient seinen Sitz hat. Foto: ZMO

Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, waren gerade die Grundmauern des von Hermann Muthesius errichteten Mittelhofs in Berlin-Nikolassee fertig gestellt worden. Der deutsche Unternehmer Wilhelm Mertens hatte den bekannten Architekten mit dem Bau seiner Familienresidenz beauftragt, die nur unter großer Mühe in den Kriegsjahren fertig gestellt werden konnte. Seit 1998 sitzt das Forschungsinstitut Zentrum Moderner Orient in dem nach dem Vorbild eines englischen Landhauses entworfenen Bau- und Gartendenkmal. In diesem Jahr jährte sich die Grundsteinlegung zum 100. mal.

Der Mittelhof zählt zu den prominenten Bauten des Berliner Architekten Hermann Muthesius (1861-1927), der als Kritiker des Jugendstils, Vertreter der modernen Architektur und nicht zuletzt durch seine von englischen Vorbildern inspirierten Landhäuser bekannt wurde. Im Gegensatz zu Muthesius ist der Bauherr des Mittelhofes, der deutsche Unternehmer Wilhelm Mertens, weitestgehend in Vergessenheit geraten.

Seit 1904 als selbstständiger Unternehmer tätig, betrieb Mertens in Asien und Afrika Bergbau und Handel. Letzteres vor allem mit tropischen Edelhölzern und Erzeugnissen aus der Plantagenwirtschaft. Die deutschen Kolonien Kamerun, Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Neuguinea und Samoa wurden zu den zentralen Regionen seiner Unternehmungen. Als langjähriger Mitarbeiter und aktiver Unterstützer der Deutschen Kolonialgesellschaft, die eine expansive deutsche Kolonialpolitik propagierte, zielte Mertens‘ unternehmerische Aktivität auf eine systematische wirtschaftliche Ausbeutung der deutschen Kolonien ab.

1909 wurden Mertens‘ Unternehmen von einem Skandal um Verschleierungen und Vorwürfe der Untreue erschüttert. In den folgenden Jahren dehnte sich der Skandal zu einem langwierigen Gerichtsverfahren aus, das erst im Dezember 1912 mit einem überwiegend positiven Urteil für Mertens endete. Ein Jahr später kaufte Mertens das Grundstück des Mittelhofes in der Villenkolonie Nikolassee, die gerade erst 1910 zur preußischen Landgemeinde erklärt worden war und in diesen Jahren immer mehr an Beliebtheit unter dem Berliner Bürgertum gewann.

Mit Bescheidenheit und Schlichtheit für die äußerliche Gestaltung des Gebäudes vom Bauherren Mertens beauftragt, errichtete Muthesius hier den insgesamt 913 Quadratmeter großen Mittelhof für dessen sechsköpfige Familie. Als besonders eindrücklich erscheinen hier die großzügige Gartenanlage mit der langen Birkenallee, die vom Haupttor zum großen Innenhof führt, sowie die große Eingangshalle mit dem imposanten, von geschnitztem Kiefernholz umrahmten Kamin. Mertens, der das Anwesen gerade im Dezember 1918 mit seiner Familie bezogen hatte, verkaufte es bereits im Februar 1920 wieder an eine andere Unternehmerfamilie.

Die folgenden Jahrzehnte gestalteten sich äußerst wechselhaft für den Mittelhof. In der NS-Zeit brachte die Reichskulturkammer eine ihrer Abteilungen in dem Gebäude unter. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges diente der Mittelhof als Clubhaus für amerikanische Soldaten sowie als Domizil der Hilfsorganisation der Quäker. Später beherbergte das Gebäude Mitglieder der Königsberger Diakonie bis schließlich der Mittelhof, mit Mitteln der Volkswagen-Stiftung, in den Besitz der Historischen Kommission zu Berlin überging, die auch heute noch ihren Sitz im Mittelhof hat. In den 1990er Jahren wurde das Gebäude im Auftrag der Berliner Senatsverwaltung restauriert. 1998 bezogen schließlich die WissenschaftlerInnen des Zentrum Moderner Orient das geschichtsträchtige Gebäude.

Anlässlich des Jubiläums erschien 2014 der Aufsatz „Wilhelm Mertens und der Bau des ‚Mittelhofs‘ – Höhepunkt einer Unternehmerkarriere in der Berliner Kolonialwirtschaft“ von Silke Nagel im Jahrbuch der GWZ.

(sn)