Das Alfa-Mobil-Team gemeinsam mit den „Lernenden“ bei der Eröffnung des neuen Standortes in Steglitz. Foto: Baumann

Versuchen Sie doch mal das Wort „Paraskavedekatriaphobie“ flüssig zu lesen. Klappt nicht? So wie es Ihnen gerade geht, geht es vielen Erwachsenen schon mit einfachen Wörtern. Über 27.600 Erwachsene in Steglitz-Zehlendorf können nicht richtig lesen und schreiben. Deutschlandweit sind es mehr als 7,5 Millionen. Das Alfa-Mobil, ein Projekt des Bundesverbands Alphabetisierung und Grundbildung e.V., macht die Betroffenen auf zahlreiche Hilfsangebote in der Region aufmerksam. Am vergangenen Freitag wurde der neue Standort des Alfa-Mobils in der Holsteinischen Straße 22 in Steglitz feierlich eröffnet.

Die Paraskavedekatriaphobie bedeutet übrigens Angst vor Freitag dem 13. Unter dieser scheinen die Alfa-Mobil-Mitarbeiter aber nicht zu leiden, denn sie wählten genau diesen Tag aus, um ihre neuen Büro-Räume in Steglitz der Öffentlichkeit vorzustellen. Das ist der zweite Standort des Projekts. Der Erste befindet sich in Münster.

Seit 2015 tourt das Alfa-Mobil von Münster aus durch die Bundesrepublik und macht auf die kostenfreien Bildungsangebote für Menschen, die nicht richtig lesen und schreiben können, aufmerksam. „Wie Sie sich vorstellen können, erreicht man die Betroffenen nicht mit den klassischen Mitteln der Öffentlichkeitsarbeit“, erklärt Tim Henning, Projektleiter des Alfa-Mobils, bei der Eröffnungsfeier, „Hier funktionieren weder Flyer, noch Plakate“.

Mit dem Alfa-Mobil informieren die Mitarbeiter des Bundesverbandes Alphabetisierung und Grundbildung die Menschen auf direktem Weg – an Ständen in den Innenstädten, auf Marktplätzen und Messen oder bei Veranstaltungen. „Die Hilfsangebote sind oft in den Volkshochschulen – quasi um die Ecke – angesiedelt, doch wer nicht lesen kann, erfährt davon nichts“, so Henning. Dafür zu sorgen, dass die Betroffenen von den Angeboten erfahren, ist die Aufgabe des Alfa-Mobils.

Zu den Angeboten des Vereins gehört auch das sogenannte Alfa-Telefon, bei dem man sich anonym beraten lassen kann. Außerdem pflegt der Verein eine bundesweite Kursdatenbank. Interessenten können so gleich die passenden Hilfsangebote in ihrer Nähe vermittelt bekommen.

Besonders wichtig sei dem Alfa-Mobil-Team die Teilnahme einiger „Lernender“ bei den Aktionen, erklärt die Berliner Projektmitarbeiterin Elke Sommerfeld. Lernende sind Menschen, die einst selbst nicht richtig lesen und schreiben konnten, es aber geschafft haben, ihre Situation zu ändern. Eine davon ist Ute H. Die 55-Jährige hat mit 51 Jahren angefangen, Lesen und Schreiben zu lernen. „Als Kind habe ich eine Sonderschule bis zur 8. Klasse besucht. Als ich rauskam, konnte ich es nicht“, erzählt sie. „Dann habe ich irgendwann den Kurs ‚Lesen und Schreiben’ besucht. Seitdem lerne ich immer weiter.“ Dort habe sie auch vom Alfa-Mobil erfahren, erinnert sich die Berlinerin. Jetzt unterstützt sie das Projekt, in dem sie bei zahlreichen Aktionen mitmacht und den Betroffenen vor Ort von ihren eigenen Erfahrungen berichtet. „Lesen und Schreiben zu lernen, hat mein Leben und natürlich auch mich selbst sehr verändert. Heute bin ich viel selbstbewusster und offener. Ich muss mich nicht mehr verstecken“, so die „Lernende“. Auch ihre Tochter sei sehr stolz auf sie. „Früher musste sie alle Papiere für mich ausfüllen, weil ich es selbst nicht konnte. Damit ist es nun vorbei“, sagt sie stolz.

Die Bezeichnung „funktionaler Analphabetismus“ – bei dem zwar Grundkenntnisse vorhanden sind, diese jedoch nicht für schwierigere Wörter oder Texte reichen – versucht man beim Alfa-Mobil übrigens zu vermeiden. Der Begriff sei „zu brutal“, erklärt Friederike Risse, Projektmitarbeiterin. Außerdem seien viele Betroffene schon in der Lage, auch längere Texte zu lesen, sie könnten das Gelesene aber nicht aufnehmen. „Es ist mit dem Lesen in einer Fremdsprache vergleichbar – man kann sie zwar lesen, versteht sie aber nicht“, so Risse.

Circa 140 Aktionen im Jahr veranstaltet das Alfa-Mobil aktuell. „Mit dem neuen Standort können wir nun mit doppelter Schlagkraft agieren“, freut sich der Projektleiter, Tim Henning.

Weitere Informationen zum Alfa-Mobil gibt es unter www.alfa-mobil.de.

(eb)