Atelierhaus von Hilde Westström, Teltower Damm 139 in Berlin-Zehlendorf. Foto: Denkmalschutzbehörde Steglitz-Zehlendorf

„Die Maße! Den Maßstab, Maßhalten, Mäßigung, das rechte Maß in allen Dingen – edle Tugenden; das hielt sie uns entgegen, mit kleinen geballten Fäusten“, erinnert sich Hilde Weström mit 88 Jahren an ihre Lehrerin, die ihrer Schülerin das Richtmaß als Tugend eingepflanzt hatte.* So behauptete sich Weström als Architektin. Bereits in der Nachkriegszeit fallen ihre Entwürfe durch Klarheit, Funktionalität und bescheidenes, eher unauffälliges Erscheinungsbild auf. „Die zerstörte Stadt war meine Chance“, stellte sie fest und lieferte damit den Titel zu ihrer Sonderausstellung in der Berlinischen Galerie anlässlich des 100. Geburtstages.

Hilde Weström (geb. Eberle am 31. Oktober 1912 in Neisse, Oberschlesien, gest. 10. Februar 2013 in Berlin) absolviert nach dem Abitur ein Tischler- und Maurerpraktikum. 1932 beginnt das Architekturstudium an der Technischen Hochschule in Charlottenburg. Nach dem Vordiplom ist sie sieben Wochen mit Fahrrad und Skizzenblock unterwegs, 1500 Kilometer von Jugendherberge zu Jugendherberge durch Brandenburg, entlang der Ostseeküste, durch Sachsen und Schlesien. Danach, beauftragt durch den Landeskonservator, inventarisiert sie die Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Tost/Gleiwitz und der Stadt Oppeln. Sie setzt ihr Studium in Dresden fort und schließt es 1938 mit dem Hauptdiplom ab.

Kurz darauf heiratet sie den Juristen Jürgen Weström, es folgen vier Kinder. Ende des Krieges ist die Familie sechsköpfig und lebt in einer kleinen Wohnung in der Beuckestraße in Berlin. In der Nachkriegsnot sind Ideen gefragt und notwendig.

Hilde Weström entwirft und fertigt mit ihrem Mann Holzspielzeug, für die Kinder aber auch zum Verkauf an Kunstgewerbeläden. Sie erhält Aufträge zur Kriegsschadenserhebung und zum Wiederaufbau von Wohngebäuden. Auf dem Grundstück Teltower Damm 139 in Zehlendorf baut sie für ihre eigene Familie eine Behelfsbaracke, die sie als Sommerhaus nutzen.

1948 setzt sie als eine der ersten Frauen ihre Aufnahme im Bund Deutscher Architekten (BDA) durch und gründet 1949 ihr erstes eigenes Büro. 1953 findet die Familie in der Meisenstraße 2 in Dahlem ihr neues Zuhause, Hilde Weström baut die Brandruine wieder auf und richtet sich im Keller ihr Büro ein. Die räumliche Verbindung von Arbeitsplatz und Wohnen ist eine günstige Arbeitsbedingung für sie als freischaffende, berufstätige Frau und Mutter. Sie erhält Unterstützung durch Haushaltshilfen und vor allem auch von ihrem Mann, der teilweise allein mit den Kindern in die Ferien fährt. „Der Garten (in der Meisenstraße) ähnelt meinen Bauten: aus einer inneren Notwendigkeit heraus genügsam, zweckmäßig, farbenfroh, die Pflanzen dem Jahresrhythmus folgend aufeinander abgestimmt…“ Eine wichtige Station wird 1957 die Internationale Bauausstellung, INTERBAU, die Neugestaltung des im Krieg zerstörten Hansaviertels im Stile der Nachkriegsmoderne. Zusammen mit der Bauhausabsolventin Wera Meyer-Waldeck entwickelt Hilde Weström Musterwohnungen für die Entwurfs-Schau der INTERBAU „Die Stadt von Morgen“.

Auf 120 Quadratmeter werden variable Grundrisse für eine sechsköpfige Familie vorgestellt – mit einem Flur so groß, dass Kinder darin Roller fahren können. Durch Schiebewände und geschickte Schrankeinbauten kann der Gemeinschaftsbereich unterteilt werden, jedes Familienmitglied erhält einen eigenen Bereich. Weström erarbeitet für den bauwirtschaftlichen Beirat des Berliner Senats das „Küchenblatt“, die Mindestanforderungen an eine Küche im sozialen Wohnungsbau, die erstaunlicherweise noch heute gelten: DIN 18022.

Als begeisterte Künstlerin und Kunstinteressierte tritt sie der GEDOK, einer Gemeinschaft von Künstlerinnen und Kunstförderern, bei. Sie öffnet ihr Haus für die Künstlerfrauen. Es werden Ausstellungen und Lesungen organisiert. Hier begegnet sie auch den Freundinnen, für die sie später baut: ihre Lieblingsprojekte – „dann und wann ein weißer Elefant…“ zitiert sie Rainer Maria Rilke.

So baut sie 1963 in der Stubenrauchstraße 52 einen Bungalow für die Keramikerin Liselotte Küster mit einer Töpferwerkstatt im Keller. Wenig später folgt 1965 am Teltower Damm 139 das Wohn- und Atelierhaus für die Bildhauerin Ursula Hanke-Förster und ihren Ehemann Günther Hanke. Es gilt als eines ihrer Hauptwerke. Das Haus mit seiner klaren, fast strengen Form behauptet sich zeitgenössisch, fügt sich aber gleichzeitig ein in die Nachbarbebauung mit traditionellen Satteldächern. Es gab Nachbarbeschwerden, das Haus ähnle doch mehr „einer Fabrik“ als einem Wohnhaus. Auch verwendet sie für die Außenwände weiß geschlämmte Kalksandsteine. Fensterbänder, vertikal und horizontal, mit dunklen Rahmen, ergänzt durch farbige Putzflächen, gliedern die Fassade.

Ganz bewusst ist zur Straße hin das fast acht Meter hohe Atelier angeordnet: Es soll den zweigeschossigen Wohnbereich abschirmen. Zur Vermeidung der Staubaufwirbelung, dem Abfall bei der Bearbeitung der Stein- und Holzobjekte, wird im Atelier eine Deckenheizung installiert.

Seit dem Eigentümerwechsel vor wenigen Jahren wird das hohe Atelier als Wohnraum genutzt. An die Bildhauerwerkstatt erinnert die Kranbahn. Erhalten sind im Wohnbereich das für die Zeit typische Würfelparkett (7/7cm mit 7 schmalen Stäben je Quadrat), ebenso der Einbauschrank in der kleinen Küche, der Kamin und das einfache Treppengeländer mit knallblauem Handlauf. Ein Highlight an zentraler Stelle ist die Glaswand, in einem Stahlrahmen gefasst, die den Essplatz vom Flur trennt, aber gleichzeitig Licht in den Flur lässt. Die Gestaltung stammt von der Künstlerin Hella Santarossa. Sie hat unter anderem den blauen Obelisken auf dem Theodor-Heuss-Platz entworfen.

Kleine Kunstwerke im Haus erinnern auch noch heute an die Bildhauerin Ursula Hanke-Förster. Ihre eigentlichen Werke sind im öffentlichen Raum zu bewundern, unter anderem ganz in der Nähe vor dem Altersheim Biesestraße 7/9 eine Freiplastik aus Bronze „Pan II“. 2011 zog Hilde Weström 99jährig in das Altersheim „Haus Christophorus“, das sie 1963/64 entworfen hatte.

* Hilde Wildström: Mein Anliegen an die Architektur, IN: Die Berliner Architektin Hilde Wildstöm, Ausst.Kat. Berlin, 2000, S.39-42

Text: Michaele Brunk
Redaktion: Dr. Jörg Rüter