Symbolbild: Pixabay

Sie machen coole Videos auf YouTube und posten interessante Fotos auf Instagram. Und kassieren dafür Likes, auch wenn sie in ihrem Beitrag nichts weiter tun, als sich zu schminken. Influencer sind aus dem Leben vieler Jugendlicher nicht mehr wegzudenken. Trotzdem und vielleicht gerade deswegen sollten Schüler auch einmal kritisch über ihre Vorbilder nachdenken. Dies können sie im Projekt #vieleLeben.

Sophie steht auf der Bühne und wird von Managern umringt, die ihr Anweisungen zurufen. Sie soll die Beine überkreuzen und weitere Posen einnehmen, die ihre Weiblichkeit unterstreichen. Denn das bringt Likes. Tatsächlich stürzt sich wenig später ein regelrechter Mob auf das Mädchen. „I love you!“, schallt es aus der Gruppe. „I love you!“, antwortet Sophie. „Ohne euch wäre ich doch nichts.“

Diese Szene ist Teil der Theaterperformance, welche am Mittwoch, den 4. Dezember im Campus Albert Schweitzer in Steglitz uraufgeführt wurde. Die Darbietung sowie die darauffolgende Talkshow gehören zum Projekt #vieleLeben. Die Idee dazu hatte Ralf Hepprich, der bei der Planungs- und Koordinierungsstelle Gesundheit des Bezirks Steglitz- Zehlendorf  im Bereich der Suchtprävention tätig ist. Gemeinsam mit Tanya d’Agostino vom Jugendamt setzte er sie um.

Eine neue Entwicklungsaufgabe

Er erklärt, dass sich Jugendliche in der Pubertät mit den unterschiedlichsten Dingen beschäftigen müssen. Also beispielsweise mit körperlichen Veränderungen und der nun anderen Beziehung zu Eltern sowie Freunden. Und eben auch mit dem Internet. „Der Umgang mit Medien ist eine neue Entwicklungsaufgabe.“, so Hepprich. Dazu gehöre es, dass die Jugendlichen lernen, versteckte Kosten, beispielsweise bei Online-Spielen, zu erkennen. Sie sollen verstehen, wie sie ihre Privatsphäre schützen können. Und auch die kritische Auseinandersetzung mit Influencern sei wichtig.

Ralf Hepprich erzählt, dass ein Kollege in Tempelhof- Schöneberg bereits ein Projekt zu Influencern und Sozialen Medien durchgeführt habe. Dieses wollte er für den Bezirk Steglitz- Zehlendorf neu aufgreifen. So bewarb er sich mit dem Konzept für sein eigenes Projekt beim Gender-Budgeting-Wettbewerb der Senatsverwaltung für Gesundheit. „Die Idee war, den Jugendlichen die Möglichkeit zu geben mal zu reflektieren, welche Geschlechterrollenstereotype durch Influencer vermittelt werden.“, so Hepprich.

Denn laut einer von der MaLisa Stiftung unterstützten Studienreihe, bedienen Youtuberinnen vor allem stereotype weibliche Themen wie Beauty und Mode. Männliche Youtuber decken hingegen ein viel größeres inhaltliches Spektrum ab. Ob Games oder Comedy, Musik  oder Sport – in vielen Bereichen sind männliche Influencer deutlich überrepräsentiert. Den Studienergebnissen zufolge liegt dies jedoch keinesfalls daran, dass sich Mädchen nicht für Sport oder Comedy interessieren würden. Befragte Youtuberinnen hätten von ganz anderen Hindernissen gesprochen. „Sie berichten von engen Zuschauererwartungen und damit verbunden kritischen, mitunter bösartigen Kommentaren, sobald sie den normierten Erwartungen widersprechen.“ Wenn Influencerinnen stereotype weibliche Themen aufgreifen und sich in einer klischeehaften Art und Weise inszenieren, hat dies natürlich auch Auswirkungen auf ihre Follower. So legen laut einer der Studien jene Mädchen, die auf Instagram Influencerinnen folgen, „größeren Wert darauf, schlank zu sein“.

Bildnachweis: Annika Gebhard

„Seit den 60er Jahren kämpfen FeministInnen für Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und heute verhalten sich Influencerinnen so, als hätte es diesen Kampf nie gegeben.“, sagt Annika Gebhard, die Leiterin des Theaterprojekts. Auch im Theaterstück geht es neben Themen wie Handysucht und der von den sozialen Medien inszenierten Glücklichkeit, vor allem darum, wie Influencer stereotype Frauenbilder vermitteln. Es ist eine moderne Darbietung, in der die Handlung mehr durch die einzelnen Szenen und szenischen Eindrücke als durch eine lineare Geschichte vorangetrieben wird. Drei riesige Handybildschirme zeigen YouTube- Videos, WhatsApp- Chatverläufe und Instagram- Beiträge. Vielleicht braucht es genau solch eine moderne Inszenierung mit überraschenden und aussagekräftigen Szenen, um die Generation Internet wachzurütteln und zum Nachdenken anzuregen.

Von dem von der Senatsverwaltung zur Verfügung gestellten Budget können die Organisatoren verschiedene Vorhaben innerhalb des Projekts #vieleLeben umsetzen. So wird am 29. Januar 2020 noch einmal die gleiche Veranstaltung wie am 4. Dezember stattfinden. Diesmal sind vor allem Schüler von weiterführenden Schulen eingeladen. Bis dahin werden an zwei Schulen Workshops mit Medienpädagogen stattgefunden haben. Die Schüler beschäftigen sich mit der Thematik der Influencer und verwirklichen  sie künstlerisch. Die Fichtenberg- Oberschule gestaltete bereits im November eine Fotostrecke und auch das Werner-von-Siemens-Gymnasium wird Mitte Januar kreativ. Die künstlerischen Ergebnisse beider Schulen werden bei der Veranstaltung am 29. Januar präsentiert. Ralf Hepprich plant außerdem ein Medienpaket für Schulen und Jugendeinrichtungen, damit diese die Möglichkeit haben, das Thema vertiefend zu behandeln.

Influencer als Gefahr?

Ob er persönlich Influencer als Gewinn oder Gefahr für die junge Generation sieht? In seiner freiberuflichen Arbeit als Familientherapeut beobachtete er, wie sich Jugendliche so massiv an Influencern orientierten, dass sie „unrealistische Vorstellungen“ entwickelten. Mitunter stellten sie sich vor, selbst in den sozialen Medien viel Geld verdienen zu können. Mögliche Gefahren einer solchen Einstellung seien laut Hepprich eine „schuldistante Haltung“ bis hin zum Schulabbruch. Tendenziell seien es jedoch Jugendliche mit familiären und schulischen Problemen, die sich derart  von Influencern beeinflussen ließen. Kinder mit einem stabilen Umfeld verfolgten trotz hohen Medienkonsums ihre Ziele weiter. Die Influencerin Nona, die auch in der Talkshow auftrat, sei beispielsweise laut ihrer Lehrerin eine „strebsame Schülerin“. Und auch in der Talkshow sagte sie, dass sie sich gar nicht vorstellen könne, hauptberuflich Influencerin zu sein und „etwas Richtiges machen“ wolle.

Als Problem sieht Ralf Hepprich außerdem den Druck, den die Influencer erzeugen. Denn sie leben bestimmte Ideale vor, die Jugendliche erfüllen müssen, um Anerkennung bei Gleichaltrigen zu bekommen. Wenn die medienkonsumierenden jungen Menschen nun den Idealen nicht gerecht werden, erleben sie eine Frustration, die laut Hepprich die Sucht nach Substanzen oder auch nach einem noch stärkeren Medienkonsum begünstigen kann.

Bildnachweis: Annika Gebhard

Die Talkshow

Nach der Theaterperformance und einer Ansprache von Bezirksstatträtin für Jugend und Gesundheit Carolina Böhm, stand die Jugendtalkshow auf dem Programm. Emma und Rufus, beide 15 Jahre alt, interviewten die Influencer Strify, Nona und Sandi. Los ging es mit den harmlosen Fragen. So erzählten Sandi, Nona und Strify unter anderem, wie sie Influencer wurden oder ob sie denn auch Hasskomentare bekämen. Bald ging es jedoch auch um kontroverse Themen. Ob beispielsweise Politik in ihren Posts eine Rolle spiele? Bei Strify, ja. Er fordert im Netz dazu auf, wählen zu gehen und äußert sich zu Feminismus, Gender-Fragen und LGBTQ-Themen. Nona und Sandi nehmen dagegen so gut wie nie im Netz Stellung zu politischen Themen.

Dann wurden Annika Gebhard und der Schauspieler Leon Fiedler auf die Bühne gebeten. Nun ging es zunächst um die Thematik der Selbstinszenierung. Hier räumte Nona ein, dass man sich stets von der besten Seite zeigen wolle. Fotoshopping hält sie jedoch für übertrieben. Sie selbst zeige sich gelegentlich auch ungeschminkt, um „beide Seiten“ und nicht lediglich die „Fassade“ darzustellen. Dann wurde wieder die Frage aufgegriffen, inwiefern Influencer auf den sozialen Medien Geschlechterrollen vorleben. Haben Männer beispielsweise einen größeren Spielraum, sich feminin zu präsentieren als Frauen, die sich eher männlich darstellen wollen? Haben oberflächliche Influencer eine größere Zahl von Followern als diejenigen, die ihre Meinung erläutern? Auch die Hundertdollarfrage wurde gestellt: Warum folgen Menschen Strify, Nona und Sandi? Die letzteren beiden antworten mit dem Argument, dass sich die Follower mit ihnen identifizierten und ihre Kanäle zur Unterhaltung nutzten. Strify erklärt es sich hingegen damit, dass er „den Weirdos“, also jenen Menschen, die als seltsam oder exzentrisch wahrgenommen werden, „eine Stimme“ gibt. „Und den Jungs, die gemobbt werden, weil sie anders sind“.

(mh)