Symbolbild: Pixabay

Bereits auf dem Weg zum Brandenburger Tor wird spürbar, dass es eine große Demonstration werden soll. Von Bahnstation zu Bahnstation füllt sich die S1 mit immer mehr Menschen. Dichter und dichter aneinandergedrängt sitzen und stehen sie, trotzdem ist die Atmosphäre nicht unangenehm. Eine ältere Frau lächelt einer Grundschülerin zu, die ein selbstgestaltetes Plakat in den Händen hält. „Unser Planet brennt“- heißt es darauf. Warum Sophia mit dem Plakat heute hier ist? – „Weil ich es wichtig finde, dass man sich für die Umwelt einsetzt.“ Sie bemängelt weiterhin „dass Leute den Amazonas anzünden“.

Kinder, Familien, Unternehmer

„Es wäre schade, wenn solche interessanten Tiere wie Eisbären aussterben“, sagt der neunjährige Sam auf dem Weg vom Potsdamer Platz zum Brandenburger Tor, wo für 12.00 Uhr die Auftaktveranstaltung geplant ist. Im Block der Entrepreneurs for Future begleitet er seinen Vater, der für Veolia arbeitet und zum Demonstrieren gekommen ist.

Entrepreneurs for Future ist eine Initiative von Unternehmerinnen und Unternehmern, die sich für das wirtschaftliche Vorantreiben des Klimaschutzes einsetzen. Einige fördern den Klimaschutz schon jetzt durch ihre gewerbliche Tätigkeit. So auch Veolia, ein Umweltdienstleister, der nachhaltige Lösungen zur Energie- und Wasserversorgung sowie zur Entsorgung entwickelt.

Vor dem Brandenburger Tor tummeln sich schon die Menschenmassen. Eine Art geschützten Raum bietet jedoch der Familienblock der Parents for Future. Hier sorgen Ordner dafür, dass auch Grundschul- und Kindergartengruppen, sowie Eltern mit kleinen Kindern innerhalb eines sicheren und etwas ruhigeren Rahmens an der Demonstration teilnehmen können.

In diesem Block halten sich auch Frida (6), Laura (7) und Melodie* (6) auf. Sie sitzen zusammen in einem roten Bollerwagen und machen einen recht vergnügten Eindruck. „Klimaschutz“ und „Artenschutz“ steht auf ihren Bäckchen. Von der Mama, von der Lehrerin und voneinander erfuhren sie jeweils von der Demonstration und wollten, wie sie erzählen, gern teilnehmen. Fridas Mutter und Lauras Mutter, die die drei Kinder begleiten, erklären, wie sie für einen problemlosen Ablauf der Unternehmung sorgen. Zum einen nutzen sie den Bollerwagen, um ihre persönlichen Gegenstände mitzuführen. Auch können sich die Kinder im Bollerwagen ausruhen, wenn sie müde werden. Weiterhin haben die Mütter ein Gummiband mitgebracht. Wenn sie sich mit den Kindern bei der Demo zu Fuß fortbewege, umschließe das Band die Gruppe und halte sie somit beisammen.

Veganismus als Lösung?

Nicht weit vom Familienblock wohnen auch Mitarbeiter der Ernährungsorganisation ProVeg e. V. den Kundgebungen bei. ProVeg ist eine internationale Ernährungsorganisation, die sich für die pflanzliche Lebensweise einsetzt. Sonja E., eine der Mitarbeiterinnen, erklärt, dass sie durch ihre Teilnahme zeigen wolle, dass Tierkonsum dem Klima schade. Laut der Organisation kommen 16 % der von den Menschen erzeugten Treibhausgasemissionen durch die landwirtschaftliche Tierhaltung zustande. Bis zum Jahr 2040 will ProVeg den globalen Konsum von tierischen Erzeugnissen um die Hälfte verringern. Dazu dienen laut Website beispielsweise Aufklärungskampagnen, aber auch vegane Veranstaltungen wie die Fachmesse „Veggieworld“ oder der Kongress „Vegmed“, der sich an Vertreter aus Wissenschaft und Medizin richtet. Weiterhin kooperiert ProVeg mit Unternehmen, um mehr pflanzliche Produkte für Verbraucher zu konzipieren und für eine leichtere Erhältlichkeit dieser Produkte zu sorgen.

Warum die Antiatomkraftbewegung Hoffnung gibt

Es ist erstaunlich, welche klaren politischen Visionen nicht nur Organisationen, sondern auch Einzelpersonen haben. „Ich war auch in jungen Jahren auf Demos.“, sagt Angela H. In den 80er Jahren nahm sie an Protesten der Antiatomkraftbewegung teil. Zwischen der Antiatomkraftbewegung und den Demonstrationen gegen den Klimawandel sieht H. eine Parallele. Denn sowohl die Bedrohung durch die Atomkraft als auch die Bedrohung durch die Klimakrise nimmt sie, wie sie erzählt, als tödlich war. Ihrer Ansicht nach sind es die Proteste der Menschen, die sowohl Politik als auch Gesellschaft wachrütteln. „In dem Zeitraum zwischen Tschernobyl und Fukushima hat sich sehr viel mehr an Wissen und Bewusstsein über die Gefährlichkeit von Atomkraft entwickelt. Und das in der ganzen breiten Bevölkerung quer durch die Generationen und in der Politik.“ Für dieses Wissen und Bewusstsein seien diese großen Demos notwendig. „Ich finde es gut, dass die Schüler und Schülerinnen mit Fridays for Future etwas angestoßen haben, worüber Erwachsene nicht mehr hinweggucken können.“

Wie der Klimawandel Flucht und Gewalt begünstigt

Der Protestmarsch durch das Regierungsviertel beginnt. Mit dabei sind auch Mitarbeiter der NGO „Zentrum Überleben“, die laut Website überlebende Opfer von Kriegsgewalt und Folter unterstützt. Dies geschieht in Form von sozialer Arbeit, medizinischer Versorgung, Psychotherapie und integrativer Unterstützung. Eine an der Demonstration teilnehmende Mitarbeiterin von „Zentrum Überleben“ erklärt, wie der Klimawandel Gewalterfahrungen begünstigt. „Durch Dürren und extremes Wetter und die damit verbundenen Hungersnöte sind Regionen nicht mehr bewohnbar.“ Der Klimawandel erzeuge extreme Bedingungen, die Menschen in die Flucht treiben. Die Mitarbeiterin erklärt, dass einige der Geflüchteten bereits vorher „schlimme Dinge“ erlebt haben. „Andere werden durch die Flucht traumatisiert, da sie z. B. in die Hände von Menschenhändlern fallen oder auf sehr gefährlichen Wegen flüchten.“ Laut der Mitarbeiterin wollen sie und ihre Kollegen im Rahmen ihrer Arbeit darauf aufmerksam machen, „dass Klimawandel und Menschenrechte nicht voneinander zu trennen sind“.

Der Antikapitalismus

Auch Aktivistinnen des Frauen*streik Komitees Wedding sind beim Protestmarsch anwesend und meinen den Klimastreik mit ihren politischen Positionen vereinbaren zu können. Nach eigenen Angaben besteht ihr „politischer Wille“ in einem „Kampf gegen das Patriarchat und gegen kapitalistische Verhältnisse“ sowie in einer „feministischen Befreiung“. Was der Kapitalismus mit der Unterdrückung von Frauen zu tun hat? – Er beute „sehr viele Frauen, die einer bestimmten Klasse angehören aus und beraube sie ihrer Lebensgrundlage“. Stets seien die Frauen an „antikapitalistischen Kämpfen“ beteiligt.

Dass auch der Antikapitalismus innerhalb von Fridays for Future Anklang findet, stimmt zum Teil. Zum einen ist da die antikapitalistische Plattform „Change for Future“ binnen der Fridays for Future- Bewegung. Ein Mitglied dieser Bewegung behauptete in einem Stern-Interview vom 20. September 2019, dass das bestehende Wirtschaftssystem nicht mit ökologischer Nachhaltigkeit vereinbar sei. Die Mitglieder von Change for Future eine die „Einsicht“, dass zum Lösen der Klimakrise der Kapitalismus überwunden werden müsse.

Doch wie bedeutend ist Change for Future wirklich? Noch im Mai dieses Jahres sprach eine Change for Future- Aktivistin gegenüber der sozialistischen Zeitung Neues Deutschland von „rund 200“ Akteuren diverser Ortsgruppen. Im eben genannten Stern-Interview erwähnte der Aktivist Chatgruppen, in denen sich die Unterstützer seit einem Sommerkongress in Dortmund organisieren. In jener Chatgruppe, in der er selbst Mitglied sei, sind nach seinen Angaben ungefähr 300 Menschen. Auch bestätigte er, dass sich Change for Future beim Klimastreik vom 20. September „als linker Flügel“ von Fridays for Future klar zu erkennen geben wolle. Diese Fakten suggerieren, dass die antikapitalistische Plattform auf dem Vormarsch sein könnte, jedoch noch in den Kinderschuhen steckt- wenn sie denn überhaupt wächst. Denn auch die Aufmerksamkeit der etablierten Medien hält sich in Grenzen und Change for Future scheint sie erst vor kurzem erlangt zu haben. Und es ist äußerst fragwürdig, ob die Plattform am 20. September überhaupt eine Rolle gespielt hat, inmitten der in Berlin demonstrierenden 270.000 Demonstranten, von denen viele aus der Mitte der Gesellschaft kamen.

Die Schöpfung bewahren

Wie zum Beispiel Siegfried. Zusammen mit seiner Frau ist er dem Aufruf der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz gefolgt und hat sich dem Block der Landeskirche angeschlossen. Siegfried ist selbst Mitglied in einer Kirchgemeinde und kann seinen christlichen Glauben mit dem Engagement für das Klima vereinbaren. Es gehe darum, die Schöpfung zu erhalten. „Unsern Planeten zu schützen und zu bewahren, muss in der jetzigen Lage unser dringlichstes Anliegen sein.“, äußerte auch der Bischof der Landeskirche Dr. Markus Dröge in seinem Aufruf, der auf der Website der Kirche zu lesen ist. Dazu brauche es „politische Lösungen“, aber man müsse auch die eigene „Lebensweise überdenken“. Außerdem nahm Dröge Bezug auf die Sitzung des Klima- Kabinetts vom 20. September. Diese werde „aufgrund des dringlichen Handlungsbedarfs von großen Erwartungen, einem starken öffentlichen Interesse und von Demonstrationen begleitet“.

Extinction Rebellion

Nicht weit von Siegfried und seiner Frau demonstriert auch Joe, der mit der Extinction Rebellion sympathisiert. Die Extinction Rebellion ist eine Bewegung, die durch gewaltfreien zivilen Ungehorsam auf die Klimakrise sowie auf das Artensterben aufmerksam macht. Laut Website gibt es drei primäre Forderungen: Zum einen solle die Regierung „die Wahrheit über die ökologische Krise offenlegen und den Klimanotstand ausrufen“. Weiterhin müsse sie sofort „handeln, um das Artensterben zu stoppen und die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2025 auf Netto-Null zu senken“. Das dritte Anliegen ist die Einberufung einer Bürgerversammlung durch die Regierung. Diese Bürgerversammlung soll laut Website „die notwendigen Maßnahmen für Klimagerechtigkeit und gegen die ökologische Katastrophe“ ausarbeiten während sich die Regierung zu deren Umsetzung „verpflichtet“. Nach dem Protestmarsch besetzten Aktivisten der Bewegung den Potsdamer Platz. Laut einer Pressemitteilung von Extinction Rebellion Berlin, handelte es sich dabei um mehr als 500 Menschen. Bundesweit scheint Extinction Rebellion durchaus auf Zuspruch zu stoßen. Laut Pressesprecher engagieren sich mittlerweile um die 5.000 Menschen in Ortsgruppen sowie in bundesweiten Arbeitsgruppen. Außerdem gebe es noch jene Personen, die zwar nicht in Gruppen aktiv, jedoch beispielsweise an den Protesten beteiligt sind. Ihre Zahl sei laut Pressesprecher drei bis viermal höher.

Der Landkauf der Huni Kuin

Auch Alexandra Schwarz-Schilling nimmt am Klimastreik teil. Sie ist seit 2013 Vorstandsvorsitzende von Living Gaia e. V. Der gemeinnützige Verein kooperiert mit den Huni Kuin, einem indigenen Volk in dem brasilianischen Bundesstaat Acre. Derzeit sammelt er Geld für ein Landkaufprojekt. Schwarz-Schilling erklärt, dass ein Teil der Huni Kuin an die Zivilisation angebunden sei und in Dörfern lebe. Die Unkontaktierten des Volkes verfolgen jedoch eine nomadische Lebensweise. Sie leben im Wald und hatten bislang keinen Kontakt zur Zivilisation. Ein Farmer stellt nun, wie die Vorstandsvorsitzende berichtet, 14.000 Hektar Land zum Verkauf. Dieses wollen die angebundenen Huni Kuin erwerben. Die dafür erforderlichen 500.000 Euro will Living Gaia e. V. sammeln- es seien bereits 60.000 Euro zusammengekommen. Wie man auf der Website von Living Gaia nachlesen kann, kommt der Landkauf sowohl den unkontaktierten als auch den angebundenen Indigenen zugute. Denn das zu erwerbende Gebiet grenze sowohl an Gelände, in dem sich unkontaktierte Huni Kuin aufhalten, als auch an Land, welches sich im Privatbesitz der Angebundenen des Volkes befinde. Wie auch die Website vermittelt sind aufgrund der Präsidentschaft Bolsonaros „der Regenwald sowie die indigenen Völker massiv bedroht“. Die „Farmer mussten keine Konsequenzen fürchten“ als sie sich „am 10 August zum dia do fogo (zu Deutsch ‚Tag des Feuers‘)“ verabredeten, so Schwarz-Schilling. Mit ihrer Teilnahme am Klimastreik wolle sie ein Bewusstsein dafür schaffen, dass man den Schutz des Waldes und den Schutz der indigenen Bevölkerung nicht voneinander trennen könne. Sie berichtet, dass circa 30 Unterstützer des Vereins hier seien. Einerseits um die Menschen auf ihr Projekt aufmerksam zu machen, andererseits um für das Klima zu demonstrieren. Denn wenn man dem Wald helfe, helfe man auch den Indigenen und umgekehrt.

Kleidung und Klima

Auf dem letzten Kilometer vor dem Brandenburger Tor, welches Start- und Endpunkt des Protestzugs ist, marschiert auch ein Block, der sich das Sujet „Mode & Klima“ auf die Fahne geschrieben hat. Laut der Influencerin Phoenomenal demonstrieren hier „viele Influencer, die sich mit dem Thema der nachhaltigen Mode auseinandersetzen“. Auch private Kleidungsläden, wie zum Beispiel LOVECO seien dabei. Das Ziel des Blocks ist, wie Phoenomenal erzählt, ein „bewusster Konsum von Kleidung“. Der Block beantworte Fragen der anderen Demonstrierenden, es seien Reden gehalten und Flyer verteilt worden. 8 Prozent des globalen Co2 – Ausstoßes sind laut der Influencerin der Bekleidungs- sowie Schuhindustrie zuzuschreiben. Dies komme beispielsweise durch die langen Transportwege bei der Herstellung zustande. Und vor allem Fast Fashion, beispielsweise von H&M sei ein Problem. Sie sei billig produziert und enthalte viel Polyester. Wie auch auf der Website von Greenpeace zu lesen ist, werden Polyesterfasern aus Erdöl gemacht. Wäscht man das polyesterhaltige Kleidungsstück, lösen sich Mikrofasern ab, die, so Greenpeace, „nichts anderes als Mikroplastik“ seien. Das Mikroplastik gelange im Meer, wo es von Fischen verschluckt werde und letztlich auf unserem Teller lande. Außerdem gibt es ein weiteres Problem. Laut dem Wissensmagazin Scinexx, zerfällt Mikroplastik, wenn es von der Sonne bestrahlt wird. Dabei treten Treibhausgase wie Methan aus. „Je kleiner die Plastikpartikel werden, desto stärker ist dieser Effekt“, heißt es weiter. Doch was wären Alternativen zu Fast Fashion? – Laut Phoenomenal könnte man zum Beispiel in Second – Hand – Läden kaufen, Kleidung mit Freunden tauschen oder aber kaputte Kleidungsstücke nähen, statt sie wegzuwerfen.

Scientists for Future

Am Klimastreik nehmen auch zahlreiche Vertreter von Scientists for Future teil. Anfang des Jahres 2019, hatte die Initiative eine Stellungnahme ausgearbeitet, in der die Wissenschaftler ihre Unterstützung für die Schulstreiks der Fridays for Future- Bewegung begründeten. Sie zeigten auf, warum die Klimapolitik Deutschlands, Österreichs sowie der Schweiz unzureichend sei, und forderten ein schnelles und konsequentes Handeln seitens der Regierungen. Laut Website unterzeichneten bis zum 22. März mehr als 26.800 Wissenschaftler die Stellungnahme. Die Internetplattform bietet weiterhin zahlreiche Fakten zum Klimawandel und auch beim Klimastreik halten die Wissenschaftler Schilder in die Höhe, die die Menschen dazu ermutigen sollen, sie anzusprechen. „Jeder, der sich für das Thema interessiert, hat bei Scientists for Future die Möglichkeit auf Aufklärung.“, sagt eine Vertreterin.

Und nun?

Der Berliner Klimastreik vom 20. September zeigt: Das Bewusstsein über den Klimawandel ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Es gibt verschiedene Gruppen und Einzelpersonen mit den unterschiedlichsten Schwerpunktthemen und Lösungsansätzen. Aber eines haben sie alle gemeinsam: Sie sehen dringenden Handlungsbedarf.

 

(mh)