Brandenburger Tor im Advent, Foto: Tilo Grellmann

 

Wie oder was soll ich über etwas schreiben, was gleichzeitig, fest im kollektiven Denken verankert, unser Bild von Weihnachten prägt, aber andererseits bei mir jedes Jahr gleichgültiges Schulterzucken auslöst? Etwas, das leichte Beklommenheit darüber entstehen lässt, dass Jahre bis Jahrzehnte gewachsene Lebewesen ihr Dasein beenden müssen, um dann vollgepackt mit Glanz und Schmuck langsam aber sicher in den Weihnachtsstuben der Welt einzugehen.

Ein merkwürdiger Brauch, wie ich finde. Und trotzdem gehört er für mich einfach dazu. Dank Wilhelm Mannhardts „Der Baumkultus von Germanen und ihrer Nachbarstämme“ weiß man, dass ähnlich ambivalent schon um 1647 Johan Conrad Dannhauer – seines Zeichens evangelischer Prediger im Straßburger Münster – auf den Tannenbaum schimpfte:

„Unter anderen Lappalien, damit man die alte Weihnachtszeit oft mehr als mit Gottes Wort begehet, ist auch der Weihnachts- oder Tannenbaum, den man zu Hause aufrichtet, denselben mit Puppen und Zucker behängt, und ihn hernach abschüttelt und abblühen (abräumen) lässt. Wo die Gewohnheit herkommt, weiß ich nicht; ist ein Kinderspiel.“

Woher stammt also die Gewohnheit? Wenn schon im 17. Jahrhundert ein Bruder im Geiste meine eigene Betrachtungsweise reflektiert, dann habe ich es mit einer äußerst alten Gepflogenheit zu tun. Wen wundert es also, dass die Tradition bis in die Antike zurückreicht, wo nach römischer Tradition Lorbeerzweige in den Häusern zum Jahreswechsel aufgehängt wurden.

Im Mittelalter war der 24. Dezember hauptsächlich als Festtag für Adam und Eva gedacht. So wurden Bäume mit Äpfeln geschmückt und zu einem Paradiesbaum umgewandelt. Der Apfel als Symbol des Sündenfalls und der somit geschlossene Kreis zum Erlöser Jesu, welcher die Menschen von der Erbsünde befreite, bringen die Verbundenheit zum heutigen Weihnachten – da wo Glaskugeln die Tanne schmücken und Jesus den Tag komplett für sich vereinnahmt. Dietmar Sehn bestätigt in seinem Buch „Weihnachten in der Oberlausitz“, dass noch bis ins 19. Jahrhundert norddeutsche Christbäume mit hölzernen Adam und Evas und Schlangen aus Backwaren geschmückt wurden.

Im Jahre 2013 erfuhr die Welt, dass die älteste schriftliche Erwähnung des Weihnachtsbaums im Würzburger Staatsarchiv entdeckt wurde. Sie stammt aus dem Jahre 1527. Eine Notiz eines „weiennacht baum“ im Hübnerwald, die in der Akte der Mainzer Herrscher gefunden wurde. Dass es sich laut damaligen Staatsarchivdirektor Werner Wagenhöfer höchstwahrscheinlich nur um Bauholz handelte, welches zur Weihnachtszeit geschlagen als Weihnachtsbaum bezeichnet wurde, verminderte die Freude über den historischen Fund ein wenig. Das Weihnachtsfest aus den Gotteshäusern heraus in die heimische Stube zu verlagern, war interessanterweise das Ziel Martin Luthers und so hat sich der traditionelle Weihnachtsbaum zunächst bei den Protestanten durchgesetzt. In den protestantischen Weihnachtsstuben wurde das Evangelium vorgelesen und gesungen.Der festlich geschmückte Weihnachtsbaum etablierte sich dabei zum evangelischen Äquivalent der kirchlich katholischen Paradiesspiele um Adam und Eva und den ausgedehnten Krippen- und Hirtenzeremonien.

Die deutsche Volkskundlerin Ingeborg Weber Kellermann erklärte, dass um 1570 im Norden von einem Weihnachtsbaum die Rede war. In einem Bremer Zunfthaus befand sich ein Baum, welcher mit Äpfeln, Nüssen, Brezeln und Papierblumen behängt war. Astrid Fritz beschreibt in ihrem Buch „Wie der Weihnachtsbaum in die Welt kam“ dass im Jahre 1611 schließlich erstmals Baumkerzen erwähnt wurden. So kam die Herzogin Dorothea Sybille von Schlesien auf den Gedanken, ihren Weihnachtsbaum mit äußerst kostspieligen Wachskerzen zu schmücken, welche die Allgemeinheit sonst nur aus Gotteshäusern kannte. Im Jahre 1765 erblickte Goethe als Student in Leipzig ein Christbäumchen mit Süßigkeiten behangen und einem Christkind aus Zucker. Dieser klassische Weihnachtsbaum fand laut Astrid Fritz, seine erste literarische Erwähnung in Goethes „Die Leiden des jungen Werthers“ aus dem Jahre 1774:

„Er redete von dem Vergnügen, das die Kleinen haben würden, und von den Zeiten, da einen die unerwartete Öffnung der Türe, und die Erscheinung eines aufgeputzten Baums mit Wachslichtern, Zuckerwerk und Äpfeln, in paradiesische Entzückung setzte.“

Ich als weihnachtlicher Griesgram finde es doch arg übertrieben, beim Betrachten einer geschmückten Tanne von „paradiesischer Entzückung“ zu sprechen. Doch beeindruckt mich die Wirkung, welche ein geschmückter Baum selbst auf Goethe zu haben schien. Offensichtlich war aber nicht nur die Literaturgröße beeindruckt, denn die Tradition des geschmückten Baumes breitete sich immer weiter aus.

Der eingangs erwähnte Bibliothekar und Volkskundler Wilhelm Mannhardt beschrieb 1875 die Expansion des Weihnachtsbaumes im europäischen Raum. Er erwähnt, dass der Baum in Skandinavien relativ unbekannt war, aber auf Vormsi und Dagö zumindest die Inselschweden Anfang des 19. Jahrhundert die Tradition pflegten. Von einer mit Nüssen und Äpfeln behangenen Tanne mit je fünf kleinen Wachslichtern ist die Rede. Dagegen behaupten Philippe Aries, Georges Duby und Michelle Perrot 1991 in ihrem Werk „Geschichte des privaten Lebens: Von der Revolution zum Grossen Krieg“ das der Weihnachtsbaum vermutlich aus den skandinavischen Ländern stammt und während des dreißigjährigen Krieges durch Schweden nach Deutschland kam.

Laut Mannhardt soll im protestantischen Norddeutschland Ende des 18. Jahrhunderts der Christbaum nach Oldenburg gelangt sein. Wobei er in den Provinzen Preußen, Pommern, Mecklenburg und Holstein in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts unbekannt war. Ebenso bezieht sich Mannhardt auch auf die sächsischen Regionen des Erzgebirges und des Vogtlandes, wo der Baum noch nicht zum Allgemeingut gehörte.

In Diskrepanz dazu beschreibt Wilhelm von Kügelgen die mit glitzernden Rauschgold, bunten Papierschnitzeln, und goldenen Früchten versehenen Weihnachtsbäume auf dem Christmarkt in Dresden im Jahre 1807. In der Novelle „Weihnachtsabend“ von Friedrich Schleiermacher aus dem Jahre 1805 wird der Baum noch nicht als Teil der Festfeier in Berlin erwähnt.

Um 1815 erreichte die Christbaumtradition die Stadt Danzig durch preußische Beamte und Offiziere. Zur gleichen Zeit wuchs die Popularität der Tanne auch im Münsterland, ebenfalls dank der preußischen Herrschaft. Und dies trotz Mannhardts vorheriger Aussage, dass in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts der Baum in Preußen unbekannt war. Mannhardt selbst gelingt es somit nicht, eine mustergültige Antwort auf den Sachverhalt der Herkunft des uns bekannten Weihnachtsbaumes zu beschreiben, da seiner Aussage nach: „…für diese das Material noch kaum in hinreichender Vollständigkeit vorliegt, um die Frage spruchreif zu machen“.

Ebenfalls schildert Mannhardt, das in der Schweiz schon am Nikolausabend, also dem 5. Dezember die Geschenke für die Kleinen an einen mit Goldflitter und Wachskerzen geschmückten Baum gehangen wurden. Auch in vielen tschechischen Familien in Böhmen, bildet der Baum, Tanne oder Fichte, mit Obst, Backwerk, Papiergirlanden und Kleidungstücken behangen sowie mit Lichtern besteckt, das Zentrum des Weihnachtsfestes. In Ungarn pflegen deutsche Bürgerfamilien und die hohe magyarische Gesellschaft etwa seit dem Jahre 1830 den Christbaum.

Langsam begann der Lichterbaum seinen Siegeszug um die Welt. Die Herzogin Helene von Orléans, welche aus Mecklenburg stammte, veranlasste 1837 in Frankreich die Aufstellung des Weihnachtsbaums auf den Tuilerien und Prinz Albert von Sachsen Coburg und Gotha importierte den Weihnachtsbaum nach London. Dank dem Harvard Dozenten Ken Gewertz wissen wir, dass 1832 ein deutschstämmiger Harvard-Professor namens Charles Follen einen Weihnachtsbaum in seinem Wohnhaus in Massachusetts aufstellte und somit den Brauch nach Nordamerika brachte. Im Jahre 1982 schaffte es der weihnachtliche Lichterbaum schließlich ins Zentrum der Katholischen Kirche, wo dieser seither auf dem Petersplatz aufgestellt wird. Der Weihnachtsbaum als deutscher Exportschlager, dies beschriebt schon im 19. Jahrhundert Mannhardt vollmundig und aus heutiger Zeit sichtlich überspitzt:

„Heutzutage ein Abzeichen deutscher Abstammung und Gesinnung, begleitet er unsere Volksgenossen über Gebirge und Meere und zeugt in fernen Weltteilen von deutschem Gemüt und deutscher Geistestiefe.“

Nun, diese kleine nostalgische Reise durch die Zeit hat mir ein neues Bild vom Weihnachtsbaum vermittelt. Doch Dannhauers Frage, woher diese Gewohnheit nun genau stammt, bleibe ich dem Straßburger Prediger noch immer schuldig. Fehlt es denn doch noch heute wie schon damals durch Mannhardt beschrieben: „ … an Untersuchungen über sein erstes Auftreten und seine ältere Verbreitung“. Für mich wird der gefällte Baum in der Stube ein sterbender Baum bleiben. Ein Weihnachtsbaum mit Wurzelballen ist da schon eher die versöhnliche Lösung und mit meinem hinzugewonnen Wissen über den Mythos, kann selbst ein schön geschmückter lebendiger Christbaum nun doch „paradiesische Entzückung“ in mir auslösen.

In diesem Sinne: Fröhliche Weihnachten!

 

Michael Filip Schaffhauser