Mit seiner Kamera hielt Andreas Springer den Mauerfall fest. Foto: Gogol

Am Sonntag jährt sich der Fall der Berliner Mauer zum 25. Mal. Der Zehlendorfer Andreas Springer hat die Freude und den Jubel der folgenden Tage in Bildern festgehalten. Mit der Mauer verbindet Springer allerdings viel mehr. „Ich bin gebunden hat dieses Objekt“, sagt der 71-Jährige, der 1964 durch einen Tunnel unter der Mauer aus der DDR geflohen war.

Andreas Springer hat sich an der Machnower Straße in Zehlendorf ein Zuhause geschaffen. An den Wänden seiner 60 Quadratmeter großen Remise hängen Malereien und Zeichnungen, Landschaften und Akte, dazu lagern auf dem Boden und in Kisten zahlreiche weitere Werke, vor allem Bilder von Tennisspielerinnen. Die Werke zeugen von einem schaffensreichen Leben als Grafiker. Schon als Jugendlicher wusste Springer, dass er Grafikdesign studieren wollte. Es gab nur jemanden, der etwas dagegen hatte: die Stasi. Und so flüchtete Springer am 4. Oktober 1964 nach Westberlin.

Katholisch, weder Pionier noch Mitglied der FDJ, drei Brüder im Westen und nicht mal bereit, sein Land mit der Waffe zu verteidigen – für Springer gab es in der DDR keine Zukunft. Dass er nicht studieren dürfe, hatten ihm Mitarbeiter der Stasi offen ins Gesicht gesagt, dreimal wurden seine Bewerbungen abgelehnt

1958 war das Ehepaar Gerda und Richard Springer mit ihren sechs Söhnen von Coswig zur Großmutter nach Dreilinden gezogen. Im gleichen Jahr ging der älteste Sohn zum Studium nach Westdeutschland, zwei weitere Brüder von Andreas Springer nutzten die offene Grenze, um im Westen der Stadt ein Abendstudium zu absolvieren, weil ihnen ein Studium in der DDR verwehrt worden war. Als sie 1961 von einer Reise nach Paris zurückkamen, stand die Mauer. Sie entschlossen sich, in West-Berlin zu bleiben. Von dort aus organisierten sie die Flucht ihres Bruders. Um die Eltern zu schützen, zog Andreas Springer bei den Eltern aus. „Wir erzählten, ich hätte mich mit meinem Vater zerstritten.“

Postkarten gingen zwischen Andreas Springer und seinen Brüdern hin und her, in „Sklavensprache“, wie der 71-Jährige erklärt, damit die Stasi keinen Verdacht schöpfen konnte.

Am 4. Oktober war es dann Zeit für die Flucht, die schon fast daran gescheitert wäre, dass ein Telegramm, das Springer aufforderte nach Berlin zu kommen, nicht persönlich zugestellt worden war, sondern in seinem Briefkasten gelandet war. Doch der damals 21-Jährige schaftte es rechtzeitig. Gegen 23 Uhr ging es für ihn los – durch einen Tunnel von der Strelitzer Straße 55 aus. Vorher musste sich Springer allerdings noch seiner „Nato-Pelle“ entledigen, eines dunkelblauen Nylonmantels, der furchtbar raschelte und ihn vielleicht verraten würde. Er versteckte sie in einem Gebüsch.

Der Plan sah ganz einfach aus: in den Hauseingang der 55 reingehen, Licht anmachen, die Treppe runter zum Hof nehmen; die Losung lautete „Tokyo“. Doch es wurde schwieriger als gedacht. Nur wenige Meter neben dem Haus gab es einen Grenzposten. Andreas Springer ignorierte ihn, „ich habe versucht so zu tun, als ob ich dort wohne.“ Aber er findet das Haus mit der Nummer 55 nicht, geht stattdessen in die 54. Also alles wieder auf Anfang. Er geht zurück zum Gebüsch, um seine „Nato-Pelle“ wieder hervorzuholen, macht seine Harre nass, um anders auszusehen. Nach 20 Minuten startete er den nächsten Versuch. Dieses Mal findet er das richtige Haus. Er wird erwartet. Dann geht alles ganz schnell: Schuhe aus, auf Socken über den Hof. Vor der Toilette ist ein Loch, dort wird Springer „reingestopft“, sagt er. Auf dem Rücken krabbelte er vorwärts durch den schmalen Tunnel. „Sobald ich im anderen Haus war, habe ich mich beschützt gefühlt“, erinnert er sich. Von dort aus hört er den Schusswechsel. Der Tunnel wurde verraten, ein Fluchthelfer stirbt.

Im West-Berlin holte Springer alles nach, was ihm in der DDR versagt blieb, er studierte Grafikdesign/Fotografie/Werbung und Drucktechnik an der Hochschule der Künste, ging auf Reisen durch die USA und Indien. „Mir sind Flügel gewachsen“ sagt er. Darüber, dass er aus der DDR geflohen ist, aber sprach er kaum. Zum einen, um seine Familie im Osten nicht zu gefährden, zum anderen weil er nicht abgestempelt werden wollte. Regelrecht gezittert habe er, wenn er um das Thema ging. “Der Osten war für mich abgeschlossen“, sagt Springer. Zurück wollte er nie. Einen Blick über die Mauer allerdings riskiert des Öfteren von Wannsee und Steinstücken aus – etwas, was er von der anderen Seite nie tun durfte. „Es war so eine Leere dort, das war gruselig.“

Die Nachricht vom Fall der Mauer erreicht Springer in der Disko „Eierschale“ in Zehlendorf. Es trifft ihn unvorbereitet. Erst am nächsten Tag macht er sich mit der Kamera in der Hand auf den Weg zu den Mauerdurchbrüchen. Durchs Radio erfährt er, wann wo die Mauer geöffnet wird . Er hält sie alle fest mit seiner Nikon F 801: die Mauerspechte und -kletterer, die feiernden Berliner und überforderten Grenzsoldaten. Gefreut habe er sich über die Mauerspechte, die mit Steinen gegen die Mauer vorgingen, sagt Springer.

In seiner früheren Heimatstadt Kleinmachnow sind einige seiner Bilder noch bis 9. November im Rathaus in einer Ausstellung zu sehen.

(go)