Einsamkeit im Alter muss nicht sein

Einsamkeit im Alter muss nicht sein

Aufbruch aus der Einsamkeit, Foto: Heidemarie Kück

 

Seit Beginn der Pandemie rückt das Thema Einsamkeit immer mehr in den Fokus. Kein neues Thema, denn natürlich gab es auch vorher schon einsame Menschen. Doch während es lange Zeit ein Tabu war, offen darüber zu sprechen, wird Einsamkeit inzwischen als ernstzunehmendes Problem wahrgenommen. 

Momente, in denen man sich einsam fühlt, kennen sicher alle – was aber, wenn dieses Gefühl zu einer dauerhaften Belastung wird? Wenn man es irgendwann nicht mehr schafft, wieder Anschluss zu anderen Menschen zu finden? Auch wenn es inzwischen immer mehr Einsamkeit unter jüngeren Menschen gibt, so steigt das Risiko der Vereinsamung aufgrund sozialer und gesundheitlicher Faktoren mit zunehmendem Alter. Oft schleicht sich die Einsamkeit ein, wenn beispielsweise der Lebenspartner oder Freunde sterben oder Freundschaften zerbrechen, und die Kinder längst aus dem Haus und vorrangig mit ihrem eigenen Leben beschäftigt sind. Manchmal wird es mit zunehmendem Alter aufgrund eingeschränkter Mobilität auch schwieriger, soziale Kontakte zu pflegen und aufrechtzuerhalten. Und älteren Menschen fällt es dann besonders schwer, sich aus eigener Kraft über Angebote zu informieren, die ihnen wieder zu mehr oder intensiveren Kontakten zu anderen Menschen verhelfen können. Dabei könnte oft schon ein einfacher Anruf hilfreich und der erste Schritt sein.

So kann man beispielsweise kostenlos und anonym unter der Hotline 0800 4 70 80 90 Mitarbeiter*innen des Silbernetz e.V. erreichen. Ein gemeinnütziger Verein, der vorrangig Menschen über 60 Jahren bei dem Weg aus ihrer Einsamkeit unterstützt. Hier kann man einfach mal mit jemandem reden, regelmäßige Anrufe einmal pro Woche vereinbaren oder individuelle Angebote zu Wegen aus der Einsamkeit bekommen. Diese Nummer ist inzwischen bundesweit täglich von 8 – 22 Uhr erreichbar, an Feiertagen – besonders zum Jahresende auch rund um die Uhr. Gegründet wurde der Verein 2016 in Berlin durch die Initiatorin Elke Schilling nach einem Schlüsselerlebnis mit einem Nachbarn, der einsam verstarb. Seit dem 24.09.2018 ist Silbernetz am Markt telefonisch tätig.

Nicht selten wird die Hotline von Mitarbeiter*innen unterstützt, die das Gefühl der Einsamkeit auch aus eigener Erfahrung kennen wie z.B. Eveline Harder, die mit rüstigen 80 Jahren weiterhin einige Projekte dieser Art aktiv unterstützt. Frau Harder stand freundlicherweise für ein Interview zur Verfügung.

Eveline Harder, Foto: Anna Moll


Frage:
Frau Harder, wie lange hat es bei Ihnen gedauert, bis Sie festgestellt haben: Ich bin einsam und muss das ändern?
Frau Harder: Seit 2015 häuften sich bei mir die Beerdigungen, auf die ich gegangen bin. Und zu Geburtstagen und Weihnachten waren dann irgendwann keine Menschen mehr da, so dass ich mich an diesen Tagen besonders einsam fühlte. Da habe ich mir Anfang 2018 gesagt, ich muss das ändern.

Frage: Wie sind Sie gerade auf Silbernetz gekommen?
Frau Harder: Ich kannte Elke Schilling schon vorher und habe die Entwicklung von Silbernetz immer im Auge behalten. Elke hat mir dann empfohlen, mich als Mitarbeiterin ausbilden zu lassen und dort aktiv mitzuwirken. Dadurch konnte ich nicht nur anderen helfen, sondern auch mir selbst.

Frage: Die Mehrheit der Anrufenden ist über 60 Jahre alt und 80-85 Prozent leben allein. Was sind Ihrer Erfahrung nach bei den übrigen 15-20 Prozent die hauptsächlichen Gründe für Einsamkeit?
Frau Harder: Viele wohnen mit einem Partner oder einem erwachsenen Kind zusammen, können mit diesen aber nicht mehr so reden wie früher. Man lebt nebeneinander her, aber es gibt kein Miteinander mehr. Oft darf der oder die andere noch nicht einmal wissen, dass der einsame Mensch uns anruft, weil es dann wieder Ärger geben könnte.
Nicht selten ist auch das Impfproblem ein zunehmender Grund für Vereinsamung. Sie ist beispielsweise geimpft, aber er will sich nicht impfen lassen. Oder Alleinstehende wollen sich nicht impfen lassen und verlieren nach und nach ihre Kontakte.

Frage: Wie gehen Sie damit um, wenn Menschen aufgrund ihrer Impfverweigerung vereinsamen?
Frau Harder: Ich versuche, ihnen trotzdem zu helfen, aber ich muss zugeben, dass ich für eine Impfverweigerung wenig Verständnis habe. Mein Bruder kam Anfang April 2021 ins Krankenhaus, da ihm aufgrund einer Thrombose das linke Bein abgenommen werden musste. Dort hat er sich mit COVID-19 infiziert. Dann wollte man ihm auch noch das rechte Bein abnehmen, aber dazu ist es nicht mehr gekommen, denn nach drei Wochen ist er verstorben. Das war dann meine 16. Beerdigung in den letzten drei Jahren.

Frage: Letztes Jahr hat Frau Schilling in einem ZDF-Beitrag erwähnt, dass seit der Pandemie mehr Männer anrufen, auch wenn der überwiegende Teil der Anrufenden weiterhin Frauen sind. Das mag wohl zum einen daran liegen, dass durch die Pandemie auch Männer vermehrt einsam sind. Zum anderen erfährt ja inzwischen die Einsamkeit mehr Akzeptanz und die Hemmschwelle, darüber zu reden, ist inzwischen gesunken.
Können Sie sich an einen besonders bewegenden Gesprächsinhalt eines Anrufenden erinnern?
Frau Harder: Ja, mich rief an den Feiertagen zu Weihnachten einmal ein älterer Herr an, der alleinstehend zuhause wohnte und gerne mit jemandem reden wollte. Seine Tochter hatte sich im Streit von ihm abgewandt, da er trotz anhaltender Schmerzen nicht zu einer OP ins Krankenhaus wollte. Und so erzählte er mir sein Leid und war froh, endlich mit jemandem darüber reden zu können. Bis ich langsam darauf hinweisen musste, dass wir angehalten sind, alle Gespräche auf 20 Minuten zu begrenzen, damit andere Anrufer auch die Chance zu einem Gespräch bekommen. Da bat er mich inständig, noch einen kleinen Moment zu warten, da er mir noch etwas vortragen wollte. Und so holte er schnell seine Gitarre und spielte mir ein selbstgeschriebenes Lied vor, in dem er die Liebe zu seiner Tochter besang. Das macht dann schon sehr betroffen und man kann nur hoffen, dass er einen Weg aus seiner Einsamkeit gefunden hat und sich Vater und Tochter wieder näher gekommen sind.

Frage: Was kann man Ihrer Meinung nach grundsätzlich gegen Einsamkeit tun?
Frau Harder: Na ja, ein Allheilmittel gibt es nicht. Aber es gibt einige Hilfsangebote wie z.B. Silbernetz, wo man zunächst ganz unverbindlich und anonym einfach mal anrufen kann. Damit ist oft schon der erste Schritt getan. Man kommt wieder mit Menschen ins Gespräch, kann auch eine Verabredung treffen, damit man einmal die Woche angerufen wird. Und wer dann weitere Möglichkeiten aus der Einsamkeit sucht, kann von uns entsprechende Angebote bekommen, auch während der Pandemie.

Wer jetzt gerne Kontakt zu Silbernetz aufnehmen möchte, um Hilfe zu bekommen oder Hilfe anzubieten, hier noch einmal die Kontaktdaten:

Silbernetz e.V.www.silbernetz.orgHotline 0800 4 70 80 90

 

Heidemarie Kück

 

 

 

 

1 Kommentar

  1. Ich erfahre gerade erst von dem Silbernetz e.V., bin aber ganz begeistert. Schön, dass Menschen wie Frau Harder so älteren Menschen helfen. Meine Oma ist seit dem Tod meines Opas auch ziemlich einsam. Wir haben schon eine Seniorenbetreuung, die unter der Woche vorbeikommt, aber ich werde ihr mal die 0800 4 70 80 90 geben, damit sie noch jemanden hat, mit dem sie reden kann, wenn sie einsam ist.

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