Michael Haupt, Dr. Gideon Botsch, Bezirksstadträtin Cerstin Richter-Kotowski und Dr. Hans-Christian Jasch (v.l.) bei der Enthüllung der Informationsstele. Foto: Bavandi

Seit heute gibt eine neue Informationsstele an der Königstraße an der Ecke am Großen Wannsee Einblick in die bewegende Geschichte zur Villenkolonie Alsen.

Im Jahre 1992 wurde die Gedenk- und Bildungsstätte im Haus der Wannsee-Konferenz zum 50. Jahrestag der Wannsee Konferenz eröffnet. Seither kommen in jedem Jahr bis zu 115.000 Menschen, um das Zeit-Dokumentations-Museum zu besuchen. „Das Haus der Wannsee-Konferenz ist vielen Berlin-Besuchern ein besonders wichtiges Ausflugsziel“, bestätigt Dr. Hans-Christian Jasch, Direktor der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz. „Viele wissen aber nicht, dass wir die größte Holocaust-Bibliothek besitzen“, erzählt Dr. Jasch bei der feierlichen Enthüllung einer Informationsstele am Dienstagnachmittag an der Königstreue.

Die Stele wurde nach einem Entwurf von Karin Rosenberg gestaltet. Sie erinnert an die besondere kulturelle Bedeutung der „Colonie Alsen“ und ihrer Rolle während des Regimes des Nationalsozialismus. Die in Rot gefärbte Stele enthält wesentliche Informationen zur bewegenden Geschichte des ehemaligen großbürgerlichen Villenvorortes. Die Beiträge und geschichtliche Dokumentation der bedeutenden Ereignisse zur Entstehung der Colonie, deren Übernahme durch das nationalsozialistische Regime und Enteignung vieler jüdischer Villen-Eigentümer sowie deren Erhalt und Weiterentwicklung nach dem Kriegsterror wurden von zwei Autoren verfasst: Michael Haupt, Leiter der Verwaltung der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, und der Politikwissenschafter Dr. Gideon Botsch vom Moses Mendelssohn Zentrum Europäisch-Jüdische Studien Universität Potsdam verarbeiteten die Geschichtsstränge rund um das Villengebiet zu einem interessanten Lese- und Informationsangebot am Fuße des Wannsees.

Das Haus am Großen Wannsee zum Beispiel, wo die Gedenk- und Bildungsstätte untergebracht ist, ist auch bekannt als Marlier/Minoux-Haus. Es wurde zu Beginn des ersten Weltkrieges von Ernst Marlier erbaut, Friedrich Minoux war der spätere Hauseigentümer. Ab 1943 diente die Villa als NS-Standort.

 

Auch die Geschichte zur Villa des Impressionisten Max Liebermann wird erzählt. Seit 2006 ist sie der Öffentlichkeit als Max-Liebermann-Museum zugänglich, und das Interesse, die Ausstellung zu Liebermanns Werken und Leben und die unter Denkmalschutz stehende Villa am See einmal gesehen zu haben, ist groß. „Wir registrieren dort insgesamt 80.000 Besucher pro Jahr“, berichtet Dr. Jasch.

Initiiert wurde die Villenkolonie Alsen von dem Berliner Bankier Wilhelm Conrad, entworfen von dem Berliner Gartenbaudirektor Gustav Meyer. Das Wahrzeichen der „Colonie“ ist der in der Straße am Großen Wannsee thronende Flensburger Löwe.

Auszüge aus dem Stelentext von Dr. Gideon Botsch:

Die Villenkolonie Alsen

“Mitte des 19. Jahrhunderts fasste der Berliner Bankier Wilhelm Conrad (1822-1899) den Entschluss, sich am Wannsee niederzulassen. Er beauftragte den Berliner Gartenbaudirektor Gustav Meyer (1816-1877), den Gesamtplan einer Villenkolonie in Form eines Hippodroms mit der Königstraße als Längsachse zu entwerfen und erwarb selbst mehrere Parzellen Land auf der Insel Wannsee. Er verkaufte die Grundstücke an Bankiers, Künstler, Industrielle, Wissenschaftler und Verleger und gründete die „Colonie Alsen”, benannt nach der dänischen Ostseeinsel. Keine Parzelle durfte kleiner als ein Preußischer Morgen (2.553 qm) sein.

Bereits 1871 hatte die Villenkolonie ein eigenes Wasserwerk und 1880 ein Elektrizitätswerk. Conrad ließ die Eisenbahnstrecke von der Innenstadt bis nach Wannsee erweitern, die die Bevölkerung spöttisch als „Wahnsinnsbahn, die auf Conrädern rollt” bezeichnete.

1898 wurde aus dem Dorf Stolpe, der Colonie Alsen und der auf der Ostseite des Wannsees gelegenen Colonie Wannsee die Gemeinde Wannsee, die 1920 ein selbständiger Ortsteil des Bezirkes Zehlendorf wurde. Ein eindrucksvolles Wahrzeichen der „Colonie“ ist der in der Straße Am Großen Wannsee, neben der heutigen Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz, der ehemaligen Villa Marlier/Minoux, thronende Flensburger Löwe. Auf dem Neuen Friedhof in der Lindenstraße sind viele der ehemaligen „Colonisten“, Christen wie Juden, begraben.”

(Auszug aus dem Stelentext von Michael Haupt)

Kolonie Alsen 1933-1945

“Nach 1933 wandelte sich der Charakter des großbürgerlichen Villenvororts. In viele Landhäuser zogen Einrichtungen des NS-Regimes. Juden oder „jüdische Mischlinge“ wurden enteignet und vertrieben.

Ins beschlagnahmte Landhaus Oppenheim, Am Großen Wannsee 43/45, zog im Januar 1937 das „geheime Ostforschungs-Institut“ des SD unter dem Tarnnamen „Wannsee-Institut“ ein. Geleitet von Prof. Michael Achmeteli, erstellte es Gutachten über Osteuropa und war an Vorbereitungen zum Überfall auf Polen 1939 und auf die Sowjetunion 1941 sowie an Aktionen der SS-Einsatzgruppen beteiligt.

Das repräsentative „Gästehaus des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD“, die frühere Villa Marlier, bildete seit Herbst 1941 den Mittelpunkt des SD-Standortes. Es diente als kostengünstige Unterkunft für auswärtige SS- und Polizeiführer. Am 20. Januar 1942 fand hier die so genannte Wannsee-Konferenz statt, bei der die SS mit Spitzenbeamten der deutschen Verwaltung die Ermordung der europäischen Juden beriet. In der Königstraße 71 befand sich seit 1937 das Institut für Staatsforschung. Unter Prof. Reinhard Höhn, einem der radikalsten nationalsozialistischen Rechtswissenschaftler, arbeitete das Institut direkt dem Reichsführer-SS Heinrich Himmler zu.

Bei Kriegsende wurde die Gegend um den Großen und Kleinen Wannsee zum Schauplatz sinnloser Abwehrkämpfe.”

 (MiBa)