Seit Mitte Juli wird an der Harnackstraße wieder gegraben. Ein Team vom Institut für Vorderasiatische Archäologie unter der Leitung von Professorin Susan Pollock und Professor Reinhard Bernbeck hebt den Leitungsgraben aus. Foto: Bernd Wannenmacher/FU Berlin

Seit Mitte Juli wird an der Harnackstraße wieder gegraben. Ein Team vom Institut für Vorderasiatische Archäologie unter der Leitung von Professorin Susan Pollock und Professor Reinhard Bernbeck hebt den Leitungsgraben aus. Foto: Bernd Wannenmacher/FU Berlin

Bei Grabungen nahe der Stelle, an der 2014 bei Bauarbeiten auf dem Grundstück der Universitätsbibliothek der Freien Universität an der Harnackstraße menschliche Knochen entdeckt wurden, ist ein Team von Archäologinnen und Archäologen erneut fündig geworden. Die Wissenschaftler entdeckten eine größere Menge Knochen sowie Teile eines nachgeformten menschlichen Körpers aus Gips und kleine runde Marken mit handschriftlichen Zahlen. Nachdem die vor zwei Jahren geborgenen Knochen eingeäschert und bestattet wurden, biete der aktuelle Fund „eine neue Möglichkeit, die Herkunft der ungewöhnlichen Funde und die Umstände aufzuhellen, unter denen sie an der Harnackstraße vergraben wurden“, sagt Professor Dr. Jörg Haspel, der Leiter des Landesdenkmalamtes Berlin. „Denn die Zusammensetzung der aktuellen Funde ist mit denen von 2014 vergleichbar.“

Wenige 100 Meter von der Fundstelle entfernt steht das Gebäude, in dem sich bis 1945 das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik befand. Dorthin hatte der KZ-Arzt Josef Mengele bis Kriegsende Leichenteile von Menschen geschickt, die im Vernichtungslager Auschwitz ermordet worden waren. In dem Gebäude befand sich bis 1945 auch eine Sammlung menschlicher Gebeine aus kolonialen Zeiten. Es ist bisher nicht klar, welchen Hintergrund die gefundenen Knochen haben.

Bei den aktuellen Funden handele es sich um zahlreiche, zerbrochene Schädelknochen, Zähne, Wirbel und Langknochen, erläutert Professorin Susan Pollock vom Institut für Vorderasiatische Archäologie der Freien Universität, die das Grabungsteam gemeinsam mit ihrem Kollegen Professor Reinhard Bernbeck leitet. Darunter seien sowohl Knochen von Erwachsenen als auch von Kindern. Einige der Knochen hätten Klebstoffreste aufgewiesen. Die Archäologin geht deshalb davon aus, „dass zumindest ein Teil der Knochen aus Skelettsammlungen stammt“. Darauf deuteten auch die Überreste des Körpermodells hin.

Die Knochen sollen nun osteologisch untersucht werden. Diese Methode könne in gewissen Grenzen Aufschluss geben über das ungefähre Alter und das Geschlecht der Menschen, von denen die Knochenteile stammten, erläutert Susan Pollock. Außerdem lasse sich so feststellen, um wie viele Personen es sich mindestens handele. Ergebnisse der Untersuchung würden frühestens Ende des Jahres vorliegen.

Seit dem Fund der ersten Knochenteile im Sommer 2014 lässt die Freie Universität alle weiteren Bauarbeiten auf dem betroffenen Areal archäologisch begleiten. Dabei wurden bereits im November 2015 und Februar 2016 kleinere Mengen tierischer und menschlicher Knochenfragmente gefunden. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe, die die Freie Universität gemeinsam mit dem Landesdenkmalamt Berlin und der Max-Planck-Gesellschaft als Nachfolgerin der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft 2015 eingerichtet hatte, entschied sich deshalb auf Empfehlung der Wissenschaftler dafür, am damaligen Fundort erneut zu graben.

Für den Präsidenten der Freien Universität, Professor Dr. Peter-André Alt, zeigt der aktuelle Fund, „dass unsere Entscheidung für eine Grabung richtig war. Sobald die näheren Untersuchungsergebnisse vorliegen, werden wir in der Arbeitsgruppe über das weitere Vorgehen beraten.“

Die Arbeitsgruppe steht auch in engem Kontakt mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland und dem Zentralrat der Sinti und Roma in Deutschland, um die künftigen Schritte mit beiden Opferverbänden abzustimmen. „Die Max-Planck-Gesellschaft hat ein schwieriges Erbe ihrer Vorläuferorganisation, der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, angetreten. Denn deren Geschichte hat Licht und Schatten. Dessen sind wir uns bewusst und daraus erwächst auch eine besondere Verantwortung“, sagt der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Professor Dr. Martin Stratmann. „Wir sind daher an der Einordnung der Funde sehr interessiert und unterstützen die Grabungen und die dazugehörigen Untersuchungen.“

(sn)