Symbolbild: Pixabay

Musik-Oehme in der Onkel-Tom-Straße in Zehlendorf schließt. Nach 67 Jahren gibt der Inhaber Andreas Horn seinen Musik-Laden zum 31. Juli auf. Grund für die Schließung sei neben der Internet-Konkurrenz und Personalmangel auch eine „unüberwindbare Mietproblematik mit dem Vermieter“, heißt es.

Musiklehrer und Freund des Hauses Michael Bund kennt diese „Institution im Zehlendorfer Kiez“ schon lange. Jetzt hat er einen Abschiedsbrief, oder in seinen Worten, einen Nachruf auf das Traditionsmusikhaus geschrieben. Diesen veröffentlichen StadtrandNachrichten hier im Wortlaut:

„Das Musikhaus Oehme schließt Ende Juli für immer seine klingelnde Eingangstür – Nachruf auf eine Institution im Zehlendorfer Kiez

Es gibt einige wenige sinnliche Erfahrungen, an die man sich ein Leben lang erinnern kann, wenn sie einem widerfahren. Der erste Kuss, die erste Fahrstunde oder der Kauf der ersten Gitarre sind solch einmalige sinnliche Ereignisse, an die man sich stets bildhaft erinnern können wird. Derartige Sternstunden sollten einem tunlichst nicht irgendwo widerfahren. Der erste Kuss ist auf der städtischen Müllhalde genauso deplatziert wie auf dem stinkenden Bahnhofsklo…!

Ebenso sollte niemand seine erste Gitarre im Internet kaufen müssen. Einer der stilvollsten Orte, an dem man in Ruhe inmitten klassischer Vitrinen aus den 30er Jahren sein erstes Instrument kaufen konnte, schließt in wenigen Tagen seine Eingangstür, deren Glocke dann unwiederbringlich verstummen wird.

Seit etwa zwanzig Jahren schätze ich als Musiker und Musiklehrer die freundliche und fachkundige Beratung des Musikhauses Oehme in Zehlendorf-Mitte. Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass der Mietvertrag des Traditionsmusikhauses unseres Bezirks nicht verlängert und eine nicht zu füllende Lücke für die musikbegeisterten Bewohner unseres Kiezes hinterlassen wird. Viele meiner Schüler wurden von Musik-Oehme und seinen Mitarbeitern an mich weiterempfohlen, deren Eltern in ihren eigenen Kindertagen oft bereits zum Kauf ihres ersten Instruments inspiriert wurden. Dieser Laden war in der Lage, ein Kauferlebnis zu bieten, das ganz sicher in der Erinnerung der Kinder positiv haften bleiben wird. Fraglos gaben viele der in den großzügigen Auslagen feilgebotenen Instrumente den Anstoß, dieses vielleicht mal auszuprobieren. Auch ebneten viele Mietangebote vorab den finanziellen Aufwand, bevor man nach einiger Zeit, gemeinsam mit seinem Musiklehrer, zum Kauf des ersten eigenen Instruments erschien – unter Anrechnung der bereits gezahlten Mieten!

Andreas Horn, der Geschäftsführer des Unternehmens, dessen Eltern bereits lange Jahre das Haus führten, gibt dem veränderten Kaufverhalten der Kunden, der übermächtigen Konkurrenz des Internets und der destruktiven Haltung des Vermieters die Schuld am Niedergang. Ohne Frage haben sich die Freizeitaktivitäten der Kinder in den letzten Jahren deutlich verändert, und dass Computer und Smartphone eine ständige Verlockung darstellen, ist kein Geheimnis. Dennoch hat sich die Fähigkeit der Kinder nicht verändert, sich begeistert auf ein Spiel einzulassen, wenn es ihnen attraktiv erscheint, um dadurch spielerisch musikalische Fähigkeiten an sich zu entdecken, die sie ihr Leben lang begleiten und bereichern werden.

Ganz sicher hat sich das Kaufverhalten vieler Kunden des Einzelhandels dahingehend verändert, dass vorgebliche Käufer das Fachgespräch mit dem kundigen und lohnempfangenden Fachberater suchen, um dann doch, unter Angabe fadenscheiniger Gründe, das „günstigere“ Angebot des Internethändlers zu nutzen. Dass diese Rechnung nicht aufgeht, erkennt man unschwer an der Melange der übriggebliebenen Läden diverser Einkaufsstraßen und Plätze, deren Attraktivität über die Jahre stark nachgelassen hat. Aktuell erscheinen Sanitätshäuser, Hörgerätehändler, Altenpflege- und Bestattungshäuser als die Sieger dieses Wettlaufs … wohl aufgrund der Tatsache, dass deren Kunden altersbedingt (noch) nicht in der Lage sind, ihre Käufe per Internet zu tätigen. Abgerundet wird die Einzelhandelswüste durch Nagelstudios, Telefonläden und Spielhallen, wobei eine Dönerbude bereits als Lichtblick erscheint…!?

Will man diese Versteppung des Einzelhandels aufhalten, muss man als Kunde die Fairness aufbringen, ein paar Euro mehr für das Produkt seiner Wahl auszugeben, um das Überleben der ortsansässigen Läden zu gewährleisten, zumal die zum Kauf angebotenen Waren vom Händler vorfinanziert werden müssen, bevor sie erworben werden können. Andererseits sollte der Einzelhandel ein angemessen breites Sortiment anbieten können, das eine echte Alternative zum Internet darstellt. Dass kein Laden dauerhaft mit einem anämischen, ausgemergelten und halbherzigen Angebot überleben kann, das auch den kaufwilligsten Kunden nicht zu inspirieren vermag, liegt auf der Hand. Händler und Käufer müssen anfangen, sich als Partner zu verstehen, anstatt als Gegner mit diametralen Interessen.

Weiterhin müssen Vermieter gewerblicher Immobilien umdenken, dem gewerbetreibenden Mieter eine Überlebenschance zu gewährleisten. Eine langfristig darstellbare Miete sollte dem Vermieter unschwer als höherwertig einleuchten, als ein kurzfristiges, da überteuertes Mietergebnis, das ohne eine echte Zukunftschance seine Geschäfte bald wieder zum Schließen zwingt. In diesem Zusammenhang haben Vermieter auch eine soziale Verantwortung gegenüber dem Wohnumfeld: Dass beispielsweise eine Bäckerei den Menschen mehr Lebensqualität zu bieten in der Lage ist, als ein Spielsalon, ist selbsterklärend.

Weiterhin kann die Politik vielleicht unterstützend aktiv werden, dass eine nach oben offene Forderung der gewerblichen Mieten gedeckelt werden kann, ähnlich der Mietpreisbremse der privaten Mieter?

All diese Maßnahmen werden dem Musikhaus Oehme in der Onkel-Tom-Straße und seinen Mitarbeitern nicht mehr das Überleben sichern – jede Hilfe kommt zu spät. Für mich als Musiker, Musiklehrer und Freund des Hauses, fühlt sich dieses Fanal an, wie die Aussicht, dass einem guten, langjährigen, jedoch kranken Freund in wenigen Tagen die Herz-Lungenmaschine abgeschaltet wird!

Über die Jahrzehnte habe ich meinen Schülern immer die freundliche und fachkundige Beratung der Firma Oehme empfohlen, weil ich wusste, dass sie dort fair beraten werden. Etliche Abende habe ich dort, für schlanke Gagen, als Musiker einen künstlerischen Beitrag dargeboten, um die Attraktivität des Hauses zu unterstützen. Die Schuld am Untergang des Musikhauses Oehme in Zehlendorf liegt sicherlich anteilig bei allen Beteiligten, dass der Verkauf in Potsdam weitergeht (Der zweite Laden des Unternehmens befindet sich in der Jägerstrasse 8 und wird weitergeführt), tröstet dabei kaum.

Fraglos wird es eine unbekannte Anzahl Kinder aus den Berliner Südbezirken geben, die nicht durch die Auslagen der Firma Oehme dazu verführt werden, ein Instrument zu erlernen. Und eine ebenso unbekannte Anzahl Erwachsener wird noch zu den Glücklichen gehören, die irgendwann bei einem Glas Rotwein ihren Freunden vom stilvollen Kauf ihrer ersten Gitarre im alten Musikhaus Oehme in Zehlendorf-Mitte erzählen dürfen.

Ich danke der Familie Horn und ihren Mitarbeitern für viele großartige Jahre der Zusammenarbeit, die mir meinen künstlerischen wie unterrichtenden Alltag enorm erleichtert und bereichert haben. Herzlichen Dank dafür.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr

Michael Bund“