Pacelliallee: Auf dem Weg zum Geschichtslehrpfad

Pacelliallee: Auf dem Weg zum Geschichtslehrpfad

Gedenkstele für die Eheleute Semmel, Bewohner der Cecilienallee 19/21 (jetzt Pacelliallee). In dem repräsentativen Gebäude befindet sich heute die irakische Botschaft. Foto: Daniela von Treuenfels

 

Das Heimatmuseum Zehlendorf zeigt ab 24. April die Ausstellung „Die Pacelliallee – Eine Dahlemer Straße im Nationalsozialismus“.

Die Mähroboter drehen die ersten Kreise auf frühlingssprießendem Rasen in großen bis parkähnlich anmutenden Grundstücken. Wenige Gärten sind offen einsehbar, wie beispielsweise jener mit Bänken, Wegen und Birken – vielleicht eine Anspielung auf den Garten der Villa Liebermann in Wannsee. Dem jüdischen Künstler, in der Nazizeit enteignet und vertrieben, hätte das bestimmt gefallen.

So liegt ein Hauch von „Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte“ in der österlichen Feiertagsluft. Das macht die Suche nach den Spuren jüdischer Geschichte in der großbürgerlichen Dahlemer Prachtstraße zu einem Ausflug der besonderen Art.

Die 1949 nach Papst Pius XII. benannte Pacelliallee gehört bis heute zu den Prachtstraßen im Berliner Südwesten. In der Weimarer Republik baute sich das Berliner Großbürgertum auf dem Gebiet der ehemaligen Staatsdomäne Dahlem neue Häuser. So auch in der damaligen Cecilienallee, wo 1933 rund ein Viertel der Anwohner jüdischer Herkunft war.

Wir laufen auf dem baumbestandenen Grünstreifen in der Mitte der Allee – der ausgetretene Pfad ist ein sicheres Zeichen dafür, dass viele Spaziergänger und Jogger das auch so tun. Auf der ersten Hälfte der Strecke zwischen Königin-Luise-Straße und dem Platz am Wilden Eber haben die Anlieger auf der Westseite der Allee einen unverbaubaren Grünblick: Gegenüber befindet sich das Gelände der Domäne Dahlem.

Ab der Straße Im Dol findet sich eine beidseitige Bebauung. Vor allem die älteren Häuser aus der Weimarer Zeit sind repräsentativ bis schlossähnlich. Einige stehen auf der aktuellen Berliner Denkmalliste.

Die Villa Semmel gehört in die Kategorie „kleines Schloss“, am Eingang der Hausnummer 19/21 befindet sich seit einigen Wochen ein Hinweis auf die Bauherren und ersten Bewohner, die jüdischen Eheleute Clara und Richard Semmel. Das Unternehmerpaar musste nach nur wenigen Jahren ihr Anwesen billig „verkaufen“. Die Familie floh in die USA, Richard Semmel verstarb 1950 nahezu mittellos.

Sein Haus gehört heute dem Irak, also einem Staat, der sich völkerrechtlich gesehen mit Israel im Kriegszustand befindet. Das Land unterhält hier eine diplomatische Vertretung. Welchen Spott Max Liebermann angesichts einer irakischen Botschaft in der Villa Semmel wohl auf den Lippen gehabt hätte?

Dass Familie Semmel nun Aufmerksamkeit zuteil wurde, geht auf eine Diskussion über Berliner Straßenumbenennungen zurück, an der auch eine im Dezember 2021 veröffentlichte Studie einen Anteil hat. Diese listete 290 Straßen- und Platznamen in der Hauptstadt auf, bei denen sich antisemitische Bezüge feststellen ließen, darunter die Martin-Luther-Straße, die Richard-Wagner-Straße oder der Kaiserdamm. Das Gutachten empfahl in etwa 40 Fällen eine Umbenennung. Umbenannt wurde in diesem Zusammenhang auch in Zehlendorf der nach dem Freicorpsführer Georg Ludwig Rudolf Maercker (1865-1924) benannte Maerckerweg in Maria Rimkus-Weg, eine „Gerechte unter den Völkern“.

Bereits 2020 hatten die Historiker Ralf Balke und Julien Reitzenstein eine Petition zur Umbenennung der Pacelliallee in Golda-Meir-Allee auf den Weg gebracht. Ihre Fachkollegen Hesemann und Gumpel hielten mit einer eigenen Petition dagegen. Im Kern ging es um die Frage, ob Papst Pius XII (mit bürgerlichem Namen Eugenio Pacelli) ein Nazi-Freund und Antisemit war oder nicht.

Die Bezirksverordnetenversammlung entschied in ihrer Abwägung: eher nicht. Die Politiker nahmen die Debatte jedoch zum Anlass, einen „Geschichtslehrpfad“ aufs Gleis zu setzen. Dazu gibt es nun erste Ideen. Eine Ausstellung im Heimatmuseum Zehlendorf zeichnet die Geschichte der Allee und ihrer Bewohnerinnen und Bewohner im Nationalsozialismus nach.

Anhand von sieben exemplarischen Liegenschaften zeigt die von Studierenden der Touro University erarbeitete Ausstellung wie unter einem Brennglas das Nebeneinander von Verfolgten, Tätern und Zuschauenden während der Shoa und lädt dazu ein, über die Sichtbarkeit der Vergangenheit im öffentlichen Raum nachzudenken. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt dabei auf den von „Arisierungen“ betroffenen Familien Cramer, Edelstein, Semmel und Wallach, ihrem Schicksal und dem teils langem Kampf um Restitution.

Ausstellung „Die Pacelliallee – Eine Dahlemer Straße im Nationalsozialismus“
des Fachbereichs Kultur Steglitz-Zehlendorf in Kooperation mit der Touro University

Heimatmuseum Zehlendorf
24. April bis 10. September 2023
Mi und So 11-15 Uhr, Do 15-18 Uhr
Eröffnung: 23. April 2023, 14 Uhr im Heimatmuseum Zehlendorf
Einführung: Prof. Dr. Stephan Lehnstaedt (Touro University)

 

Häuser und Schicksale, zwei Beispiele:

 

Haus Cramer

Das Eckgrundstück Pacelliallee 18, Im Dol, wird von Haus Cramer, einem der bekanntesten Werke von Hermann Muthesius geprägt. Mit seinen Bruchsteinmauerwerkfassaden aus Rüdersdorfer Kalkstein und seinen in Anklängen an Bauformen der Renaissance entworfenen Giebeln, Ausluchten und Balkonstützen gehört es zu den eindrucksvollsten großen Landhäusern in Dahlem. Der im Getreidehandel tätige Kaufmann Hans Cramer ließ es 1912-13 auf einem 4.100 Quadratmeter großen Grundstück erbauen.
Die individuelle Anordnung eines über 30 Quadratmeter großen Kinderspielzimmers im Erdgeschoss neben den Repräsentationsräumen geht auf Empfehlungen von Muthesius zurück. Ebenso ungewöhnlich ist der Einbau einer über dem Wirtschaftstrakt befindlichen Turnhalle.

Anfang der 1930er Jahre, rund 20 Jahre nach Bezug des Hauses, verließ auch die zum Christentum konvertierte Familie Cramer wegen ihrer jüdischen Abstammung Deutschland und emigrierte in die USA. Nach einer Gasexplosion in den 1950er Jahren blieb das Haus lange Zeit Ruine und war dem Verfall preisgegeben. Der drohende Abriss wurde auf Intervention des bekannten Architekturkritikers Julius Posener abgewendet. Das bedeutende Landhaus konnte in den 1970er Jahren – innen teilweise verändert – wiederaufgebaut werden. Seitdem dient es als Außenstelle der Stanford University.

Quelle: Landesdenkmalamt

Villa Semmel

Das Eckgrundstück zwischen Pacelliallee, Im Dol und Max-Eyth-Straße wird vom eindrucksvollen Anwesen des Haus Semmel, Pacelliallee 19/21, eingenommen. Der Architekt Adolf Wollenberg schuf die äußerst repräsentative Anlage für den Fabrikanten, Minenbesitzer und Kunstsammler Richard Semmel in den Jahren 1925-26.

Das rund 10.000 Quadratmeter große parkartige Areal mit altem Baumbestand ist von einer hohen Stabgittereinfriedung eingefasst. Die hinter einem tiefen Vorgarten zurückliegende, an eine ländliche Schlossanlage erinnernde Bebauung besteht aus einem breit gelagerten Haupthaus und einem rechtwinklig dazu an die Straße gestellten großen Wirtschaftsgebäude.

Richard Semmel verblieben nur wenige Jahre in seinem neuen Haus. Er verließ Deutschland mit seiner Familie bereits 1933 wegen seiner jüdischen Abstammung und seiner engen Einbindung in die Deutsche Demokratische Partei. Er emigrierte über Holland in die USA, wo er 1950 verarmt starb. Die Villa wurde 1934 von der Hamburger Familie Kühne erworben, die sie ab 1940 vermietete und 1956 wieder veräußerte. Seitdem als Kranken- und Behindertenheim genutzt, erfolgte ab 1998 eine umfassende Restaurierung und Wiederherstellung.

Quelle: Landesdenkmalamt


Fotos und Text von Daniela von Treuenfels

 

 

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