Petition: Unternehmen fordern Reaktivierung der Goerzbahn

Petition: Unternehmen fordern Reaktivierung der Goerzbahn

VT 605 017 des Advanced TrainLab auf der Fahrt von Lichterfelde-West nach Schönow am 10. Februar-2021, Bild: AG Märkische Kleinbahn

 

In einer Mischung aus Hilferuf und Verbreitung einer innovativen Idee setzen sich die Unternehmen des Goerzwerks für ein besseres öffentliches Verkehrsnetz am südlichen Stadtrand ein.

Es ist für ein Unternehmen ein ungewöhnliches Vorgehen: Mit einer Petition, eigentlich eine Beschwerdemöglichkeit für einzelne Bürger oder eine Gruppe, machen die Goerzwerke auf das Defizit der unzureichenden verkehrlichen Erschließung ihres Standortes aufmerksam: In der Eingabe heißt es: „Dorthin führende Straßen, wie der Dahlemer Weg und der Teltower Damm, sind einspurig. PKWs und LKWs stehen dort oft gleichermaßen im Stau und die wenigen Busverbindungen entsprechen in keiner Weise dem Standard einer pulsierenden Metropole. Der Radius von Carsharing-Unternehmen spart die Goerzallee aus.“

Hier, am südlichen Ende der Goerzalle, zuckelt der 285er Bus pflichtschuldig von Steglitz nach Dahlem durch ansonsten sehr mäßig mit öffentlichen Verkehrsmitteln erschlossenes Gebiet. Der Doppeldecker ist oft überfüllt und verspätet, derzeit vor allem bedingt durch die Baustellen am Hindenburgdamm. Wer vom S-Bahnhof Zehlendorf kommt, kann auch mit dem X10er fahren, muss aber in Richtung Gewerbegebiet am Beeskowdamm in den 285er umsteigen.

Die schlechte Verkehrsinfrastruktur entwickelt sich zunehmend zum Standortnachteil. In der Petition heißt es: „Viele ansässige Betriebe suchen händeringend nach qualifiziertem Personal. Doch gerade die ungenügende Verkehrsanbindung macht das Arbeitsumfeld für potentielle Mitarbeitende unattraktiv, erschwert den Unternehmen das Recruiting und damit auch ein gesundes Wachstum. Erste expandierende Firmen sehen sich bereits gezwungen, ihren Sitz Richtung Stadtzentrum zu verlegen.“

 

Dampf auf der Goerzbahn, Die Berliner Runde bereist regelmäßig Industriebahnen in Berlin. Bild: AG Märkische Kleinbahn

 

Um welche Unternehmen es sich konkret handelt, möchte Kommunikationschefin Anusch Guyenz nicht sagen. „Ein großer Photovoltaik-Anbieter aus unserem Netzwerk verlässt schweren Herzens die Goerzallee und zieht in Werk- und Büroflächen in zentraler West-Lage“, so die Pressesprecherin des Goerzwerks. „Alleine hier reden wir von 70 interessanten Fachkräften, die nun unserer Gegend abhandenkommen.“ Entwicklungen wie diese, so die Sorge, bremse ein gesundes Wachstum von Firmen, die sich hier im Südwesten niedergelassen haben. „Potentielle neue Mitarbeitende, die im Innenstadtbereich wohnen, scheuen oftmals den Arbeitsweg nach Lichterfelde, weil sie nicht ein passendes modernes Verkehrskonzept vorfinden“, so Guyenz. Für das Industriegebiet sei durch derlei Abwanderungen mittelfristig ein Imageschaden nicht ausgeschlossen.

Die Petition, sagt Anusch Guyenz, sei der Versuch, dem Thema neuen Schwung zu geben. Viele der 120 Unternehmen, die seit 2015 dem 100 Jahre zuvor gegründeten Goerzwerk neues Leben einhauchen, wünschen sich bereits seit geraumer Zeit eine Reaktivierung der Goerzbahn. Unterstützung finden sie auch bei Entscheiderinnen und Verantwortlichen in Politik und Verwaltung. Im Herbst letzten Jahres kam das Thema ebenfalls zur Sprache, als Wirtschaftssenator Stephan Schwarz dem Eigentümer des Goerzwerks, Silvio Schobinger, einen ersten Besuch abstattete. „Der Senator zeigte sich sichtlich interessiert an dieser Idee“, resumiert Anusch Guyenz.

Bei den Handelnden vor Ort im Bezirk Steglitz-Zehlendorf wird intensiv über die Verkehrswende nachgedacht. Der „Regio-Talk“, eine Veranstaltungsreihe des Bezirksamtes, befasste sich zuletzt mit der „Mobilität der Zukunft“ – vor rund 100 Gästen warben die eingeladenen Experten vor allem für das Zurückdrängen von PKWs zugunsten des Fahrrades, wie es aus einer zusammenfassenden Mitteilung hervorgeht. Es ging um Radrouten, Lastenräder und Pop-up-Radwege – denn: „Die Sättigung der Straßen mit Blech stößt an ihre Grenzen.“

 

Lokomotive MKB 01 macht sich auf den Weg nach Lichterfelde West, Bild: AG Märkische Kleinbahn

 

So sinnvoll der Ausbau des städtischen Radwegenetzes auch erscheinen mag, er löst jedoch das Problem an der Goerzallee nicht. Die Idee eines Radweges über den Dahlemer Weg, die einige grüne Politiker im Bezirk favorisierten, sei nicht zu Ende gedacht, so Pressesprecherin Guyenz. Außerdem ginge es im Falle ihres Unternehmensstandortes um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die beispielsweise in Friedrichshain wohnen und in Lichterfelde arbeiten. „Wenn man zwei Stunden mit den Öffentlichen oder dem eigenen Auto zur Arbeit unterwegs ist, ist das Fahrrad keine Alternative.“

Die Idee der Goerzwerker: „Ein elektrisch betriebener, autonom fahrender, „on demand“ nutzbarer Schienenbus könnte die knapp acht Kilometer-Strecke vom Rathaus Steglitz via S-Bhf. Lichterfelde West bis zur Goerzallee, bzw. die vom S-Bhf. Lichterfelde West rund drei Kilometer, in kurzer und gemessener Zeit erschließen und wieder Personen befördern.“ Ihre Petition schlägt zudem zwei Haltestellen am Dahlemer Weg vor sowie „die Entwicklung eines Gleisparks Zehlendorf-Süd, der den Wald an der Wupperstrasse ebenso einbezieht wie den Museumsstandort Märkische Kleinbahn/ZEUHAG und damit verkehrliche Erschließung, Dokumentation von Geschichte und Naturschutz miteinander verbindet.“

Personenverkehr auf der Strecke der Goerzbahn wäre ein Schritt zurück in die Zukunft. Zwar war die Bahn nie Teil des öffentlichen Verkehrsnetzes, transportierte aber ab 1919 die Arbeiter der „Optischen Anstalt C.P. Goerz“ vom Bahnhof Lichterfelde zu ihren Werkstätten in Schönow. Die Züge hatten 8 bis 11 Wagen und erreichten eine Geschwindigkeit von 45 km/h. Ab 1945 wurde der Personenverkehr eingestellt.

Gegründet wurde die Zehlendorfer Eisenbahn- und Hafen-AG (ZEUHAG) im Jahr 1904 zunächst als Pferdebahn, Dampfloks gab es ab 1915, sie waren bis 1966 im Einsatz. Nach dem Krieg wurden auf der Strecke nur noch Güter transportiert, seit 2018 ist auch dieser Verkehr eingestellt.

 

Goerzbahn Verkehr vor 2018, Bild: AG Märkische Kleinbahn

 

Seit 1981 betreibt der Verein „Märkische Kleinbahn“ im ehemaligen Lokschuppen ein Museum. Von März bis Oktober lassen sich diverse teilweise betriebsfähige Eisenbahnfahrzeuge bestaunen, die jährlich im September zum Tag der offenen Tür auch in Aktion zu erleben sind.

Eine sehr spezielle Sonderfahrt fand im Februar 2021 statt. Die Deutsche Bahn schickte ihr „Advanced Train Lab“ auf die Strecke. Das „Labor auf Schienen“ ist ein Triebzug der ICE-Baureihe 605, die bis 2017 im Einsatz war. Die rund 100 Meter langen Züge haben einen Elektro- und einen Dieselantrieb, sind also auf allen Strecken einsetzbar. Ihr Innenleben ist voller modernster Technik, mit denen sich unterschiedlichste Versuchsreihen durchführen lassen.

Unter anderem wird seit Anfang 2019 der Siemens „Mainline Assistant“ im Rahmen des Siemens-Programms „Assistiertes und führerloses Fahren für Tram und Mainline” getestet. Der Mainline Assistant kann das Auffahren auf Prellböcke oder Hindernisse im Gleis verhindern und soll perspektivisch das teilautomatisierte Fahren zum Ab- und Bereitstellen von Zügen möglich machen, so beschreibt es die Deutsche Bahn auf ihrer Internetseite.

Das Engagement der Deutschen Bahn zeigt, dass die Idee vom autonom fahrenden Goerzzug keine verzweifelte Idee einiger Lichterfelder Unternehmen ist, die vor einigen Jahren eine ungünstige  Standortentscheidung getroffen haben. Im Gegenteil, eine Reaktivierung der Strecke zur Erprobung einer innovativen Verkehrstechnik ist eine Idee, die in Fachkreisen ernsthaft erwogen wird.

Die Bitte an „die politischen Entscheidungsträger im Land Berlin und im Bezirk Steglitz-Zehlendorf, dieses Vorhaben zu unterstützen und dazu beizutragen, dass zeitnah ein Bahnbetrieb über die Goerzbahn zwischen Rathaus Steglitz und der Goerzallee wieder aufgenommen wird“ unterstützten am 29. Januar, acht Tage nach dem Start der Petition, bereits 287 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner. In 105 Kommentaren äußern die Bürger ihre Beweggründe. Darunter erkennbar Menschen, die im Goerzwerk arbeiten, aber auch Anwohnerinnen und Anwohner.

„Ich bin Unternehmer im Goerzwerk und mein Personal hat mit der Anbindung sehr zu kämpfen. Auch zusätzliches Personal lässt sich am Standort nur schwer finden, wegen der schlechten Anbindung“, schreibt Michael Klein, Gründer und Geschäftsführer eines IT-Unternehmens. „Ich wohne dort und würde davon profitieren“, meint Gwendolin Fischer, und auch Vera Sikes sagt: „Diese Verkehrsanbindung ist wichtig für den Dahlemer Weg und die angrenzenden Wohngebiete.“

 

VT 605 017 des Advanced TrainLab und Lok MKB 01 im Bahnhof Schoenow am 10. Februar 2021, Bild: AG Märkische Kleinbahn

 

Auch die Lokalpolitik lässt mitten im Wahlkampf die Gelegenheit nicht aus, ihre Position zur Kenntnis zu geben: „Die Verkehrswende wird nur durch mehr schnellen und zuverlässigen Schienenverkehr gelingen. Die wenigsten Arbeitnehmer möchten täglich mit dem Fahrrad zur Arbeit pendeln. Autos und Busse produzieren Stau. Daher sollte der Schienenverkehr unbedingte Priorität genießen und jeder verfügbare Meter Gleis genutzt werden!“ – formuliert das SPD-Mitglied Roman Gerhardt. Zustimmung signalisiert auch Christian Goiny, Mitglied der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus: „Die Goerzbahn erschließt ein wichtiges Gewerbegebiet und Wohnquartiere mit der Schiene und verbindet diese mit dem Rathaus Steglitz!“

Die Goerzwerker haben ihr erstes Ziel, eine Debatte anzustoßen, schon erreicht. Es könnte also spannend bleiben im südlichen Lichterfelde.

Die Petition:

Reaktivierung der Goerzbahn für Personenverkehr zum Industriestandort Görzallee

Wir bleiben dran und laden ein:
Teilen Sie Ihr Wissen, begründen Sie Ihre Meinung – Gastbeiträge sind uns immer willkommen. Wir freuen uns über Ihren Beitrag zur Goerzbahn!
Kontakt: redaktion[at]stadtrandnachrichten.de

 

 

Daniela von Treuenfels

 

 

 

 

3 Kommentare

  1. Ich würde eine Aktivierung der Görzbahn befürworten. Es sollte aber auch wirtschaftlich möglich sein, wobei zuküftige Entwicklungen zu berücksichtigen sind.

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  2. In den ketzten Jahren wurden so viele Klein und Anschlussbahnen stillgelegt.Die Goerzbahn,auf der ich selbst einige Jahre zum bedienen von einigen Firmen gefahren bin,muss unbedingt erhalten bleiben,auch wegen der Existenz der Museumsbahn.
    R.Grandjean

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  3. Statt einem teuren Umbau für den Personenverkehr würden mehr Leute profitieren, wenn man die Schienen abreißt und an deren Stelle einen Fahrradschnellweg baut. Dann würden die Radfahren im Dahlemer Weg auch nicht mehr den Autofahrern in die Quere kommen. Zudem würde ein Radweg nicht nur den Mitarbeitern im ehemaligen Görzwerk zugute kommen, sondern allen Anwohnern nützen. Zudem sorgt ein Radweg nicht für zusätzliche Lärmbelästigung, ganz im Gegensatz zum Schienenverkehr.

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