Pygmalion auf dem Père Lachaise

Pygmalion auf dem Père Lachaise

Frauenskulptur auf dem Père Lachaise Copyright: Yvonne Schwarz / Semiramis Photoart

 

Ein vielzitierter und häufig verarbeiteter antiker Mythos ist der des Bildhauers Pygmalion. Pygmalion soll sich in die von ihm selbst geschaffene Statue verliebt haben und wurden von den Göttern belohnt, indem sie die Statue zum Leben erweckten. Der römische Dichter Ovid verarbeitete den Mythos in seinen Liebesgedichten ebenso wie Leopold von Sacher-Masoch in seiner berühmten Novelle Venus im Pelz.

„Ihr Kopf war wunderbar trotz der toten Steinaugen, aber das war auch alles, was ich von ihr sah. Die Hehre hatte ihren Marmorleib in einen großen Pelz gewickelt und sich zitternd wie eine Katze zusammengerollt. »Ich begreife nicht, gnädige Frau«, rief ich, »es ist doch wahrhaftig nicht mehr kalt, wir haben seit zwei Wochen das herrlichste Frühjahr. Sie sind offenbar nervös.« »Ich danke für euer Frühjahr«, sprach sie mit tiefer steinerner Stimme und nieste gleich darnach himmlisch, und zwar zweimal rasch nacheinander; »da kann ich es wahrhaftig nicht aushalten, und ich fange an zu verstehen –«“, heißt es eingangs in jener Novelle.

Beim Schlendern über den Pariser Friedhof Père Lachaise fragt man sich häufiger, ob es den Steinmetzen und Bildhauern ähnlich ging, die die meist weiblichen Grabskulpturen gestaltet haben. Sicherlich hat der eine oder andere hier sein Idealbild einer Frau in den Stein gemeißelt. Sie wirken auch auf heutige Betrachter_innen manchmal so lebendig und begehrenswert, dass diese Überlegung naheliegt.

Der im Jahr 1804 eröffnete Pariser Ostfriedhof, dessen Namen sich vom Beichtvater des Sonnenkönigs Ludwig XIV. ableitet, gilt als einer der ersten und der bedeutendsten Friedhöfe in Bezug auf die Gestaltung von Gräbern mit Skulpturen in Europa. Nach seinem Vorbild wurden europaweit Friedhöfe angelegt und gestaltet. Er ist bekannt für seine erotisierten Frauenskulpturen, die im 19. Jahrhundert entstanden.

Im Gegensatz zum klassischen Mythos, in dem Pygmalion sich auch von den Propoetiden (= sexuell-ausschweifend lebende Frauen) abwendet und die Sittlichkeit in einer Darstellung von Aphrodite sucht, strotzen die Frauendarstellung auf den französischen Friedhöfen, die im ausgehenden 19. Jahrhundert entstanden, von vitaler Erotik. Sie bilden damit einen Gegenpart zur Tristesse des Ortes. Gerade in jener Zeit wurde die Gestaltung von Grabskulpturen genutzt, um Erotik abzubilden, während gleichzeitig erotische Malereien wie Manets Olympia zu großen gesellschaftlichen Skandalen führten. Die Grabgestaltung bot somit eine gewisse Nische, um sich auszuleben.

Die Berliner Künstlerin Semiramis zeigt derzeit eine Reihe von Aufnahmen solcher Grabskulpturen aus feministischer Perspektive im Haus der Demokratie und Menschenrechte (Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin). Diese Darstellung von weiblicher Erotik – meist aus einer männlichen Perspektive heraus – , die sie in ihren Fotos abbildet, inspiriert zum Nachdenken über den männlichen Blick auf Frauen – über den Tod hinaus.

Mehr Informationen unter: https://hausderdemokratie.de/Ausstellungen

Die Ausstellung läuft bis zum 30. April und kann werktags zu den Geschäftszeiten von 10.00 bis 17.00 Uhr besucht werden. Der Eintritt ist frei.

Haus der Demokratie und Menschenrechte
Greifswalder Straße 4
10405 Berlin
Tram M4 / Bus 142 oder 200: „Am Friedrichshain“

 

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Dr. Maurice Schuhmann

 

 

 

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