Symbolbild: Pixabay

 

Eine Zwischenbilanz der Arbeit der Registerstelle zur Erfassung von rechten und diskriminierenden Vorfällen, rassistische Angriffe, antisemitische Beleidigungen, Einschüchterungsversuche gegen demokratischen AkteurInnen, Deklarierung einzelner Orte als „Nazi-Kiez“ und und und.

All das scheint in Steglitz-Zehlendorf für viele BürgerInnen ziemlich weit weg zu sein und doch sieht die Realität anders aus. Natürlich ist Steglitz-Zehlendorf kein Innenstadt-Bezirk, was ein Grund dafür ist, dass insgesamt weniger passiert. Trotzdem wurden im Bezirk für das Jahr 2018 insgesamt 220 Vorfälle dokumentiert. Das sind mehr Vorfälle als in Lichtenberg (2018:209), wo es immer noch eine starke rechte Szene gibt und auch mehr als bei unseren unmittelbaren NachbarInnen in Tempelhof-Schöneberg (2018:93). Das sind sogar mehr Vorfälle als in Marzahn-Hellersdorf (2018:182), ein Bezirk, der sicherlich öfter einen rechten Stempel aufgedrückt bekommt als Steglitz-Zehlendorf. Spätestens hier sollte man sich fragen, warum das so ist und ob es nicht auch wichtig ist, sich in Bezirken wie Steglitz-Zehlendorf genauer anzusehen, um was für Vorfälle es sich handelt und welche AkteurInnen eine Rolle spielen. Denn nur so kann eine Grundlage für Handlungsstrategien von Politik und Zivilgesellschaft in Steglitz-Zehlendorf entstehen.

Die Arbeit der Berliner Register

In allen Berliner Bezirken gibt es sogenannte Registerstellen, die sich mit den Strukturen und dem Gedankengut der (extremen) Rechten sowie mit Alltagsdiskriminierung befassen. Ihre Aufgabe ist die transparente Dokumentation der Vorfälle, die Weiterleitung von Betroffenen an Beratungsstellen oder, auf Wunsch, auch an die Polizei. Gleichzeitig fördern sie hiermit die Sichtbarkeit von Betroffenen und dadurch die Sichtbarkeit von Diskriminierung. Allerdings war der Anfang der Berliner Registerstellen ein anderer. Die ersten Registerstellen entstanden im Ostberlin der 2000er Jahre, wo Kameradschaften und Parteien wie die NPD nicht nur offen auftraten, sondern mit ihrer Politik, die weite Teile der Gesellschaft ausschließt, auch auf fruchtbaren Boden bei vielen BürgerInnen traf. Seitdem hat sich viel verändert. Dazu gehören auch rechte Strukturen und die Einsicht, dass diskriminierendes Verhalten nicht nur von AkteurInnen aus der extremen Rechte ausgeht.

Neben klassischen „rechtsextremen TäterInnen“ gibt es auch viele „GelegenheitstäterInnen“ und weitverbreitetes rechtes sowie diskriminierendes Gedankengut. Vorurteile haben wir alle, in unterschiedlicher Art und Weise. Einige sind vielleicht berechtigt oder basieren auf negativen Erfahrungen und andere bleiben eben Vorurteile. Zwischen diesen und einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild liegen Welten und auch Fragen wie: „Was mach ich aus meinen Vorurteilen? Was bedeuten sie im Umgang mit anderen?“ Gerade Alltagsdiskriminierung resultiert nicht aus einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild, sondern kann prinzipiell von jedem ausgehen. Bei einer allgemein aufgeheizten Stimmung und einem politischen Diskurs, der diskriminierende Inhalte wie Rassismus „salonfähig“ macht, sinkt auch die Hemmschwelle für diskriminierendes Verhalten im Alltag.

In Steglitz-Zehlendorf gibt es nur wenig AkteurInnen, bei denen man mit Sicherheit sagen kann, dass sie ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben und verbreiten. Vorfälle, die bspw. den Nationalsozialismus verherrlichen oder leugnen (wie Hakenkreuze, Hitlergrüße, positive oder geschichtsrevisionistische Darstellungen der NS-Zeit) sind zumeist Vorfälle, die einem rechtsextremen Gedankengut zuzuordnen sind. Trotzdem muss man bedenken, dass es immer seltener „klassische Neonazis“ gibt, die dementsprechend auch explizit rechtsextremes Gedankengut vertreten. Die Landschaft rechter AkteurInnen hat sich sehr stark verändert, sodass derzeit vor allem AkteurInnen der sog. „Neuen Rechten“ in Bezirken wie Steglitz-Zehlendorf aktiv sind. Sie scheinen auf den ersten Blick anschlussfähiger als die „alte Rechte“ und geben sich gezielt intellektuell sowie rechtskonservativ. Sie vertreten aber ein ebenso völkisches und rassistisches Gedankengut wie es anderen Strukturen, die eher den „klassischen Neonazis“ zuzurechnen sind, tun oder in der Vergangenheit getan haben. Diese Differenzierung sorgt in der Praxis dafür, dass eine breite Vielfalt an AkteurInnen im Bezirk interessant sein können, aber nicht alles als Vorfall dokumentiert wird. Die Grundlage dafür was ein Vorfall ist, geht aus den gemeinsamen Kategorien der Berliner Register hervor:

Inhaltliche Zuordnung

• Rechte Selbstdarstellung (unterteilt in rechtsextreme & rechtspopulistische Selbstdarstellung – meint Infostände etc.), Verharmlosung bzw. Verherrlichung des Nationalsozialismus, politische GegnerInnen (und auch vermeintliche politische GegnerInnen), Rassismus mit den drei Unterkategorien: Antiziganismus, Antimuslimischer Rassismus und Rassismus gegen schwarze Menschen sowie Antisemitismus, LGBTIQ*Feindlichkeit und Sozialchauvinismus (Diskriminierung gegen sozial Benachteiligte, Wohnungslose) und Feindschaft gegenüber Menschen mit Behinderung

Art des Vorfalls

• Propaganda (Aufkleber, Graffitis, etc.), Veranstaltungen, Angriffe, Bedrohungen, Beleidigungen und Pöbeleien, Sachbeschädigungen, BVV und Sonstiges (schwer zuordenbare Fälle, die gemeinsam mit allen Registerstellen diskutiert werden)

Wie kann ich einen Vorfall melden?

Einen Vorfall melden ist einfach. Ebenso wie bei allgemeinen Fragen können sich MelderInnen an die E-Mailadresse der Berliner Register oder der Registerstelle Steglitz-Zehlendorf (szberliner-register.de) wenden. Auf der Internetseite der Berliner Register gibt es außerdem ein Online-Formular, welches man ausfüllen kann:
https://berliner-register.de/sites/default/files/Meldebogen_register.pdf.

Bei Propagandavorfällen ist es am besten, ein Foto mitzuschicken, damit der Vorfall besser eingeordnet, geprüft und ggf. auch mit bereits aufgenommenen Vorfällen verglichen werden kann. Natürlich ist dies bei Angriffen, Beleidigungen etc. schwierig. Da die Berliner Register betroffenenorientiert arbeiten, ist es hier wichtig, den Vorfall sehr detailliert zu schildern (Wo? Wann? Wer? Ggf. Hintergründe? Eigene Einschätzung?). Diese Informationen müssen nicht in der Chronik veröffentlicht werden, können es aber – das entscheidet die betroffene Person selbst. Genauso liegt die Entscheidung, ob Anzeige erstattet wird oder weitere Maßnahmen (Beratungsangebote) eingeleitet werden, in ihrer Hand. Gerade sensible Vorfälle (bspw. aus dem Wohnumfeld oder wenn Kinder involviert sind) werden nicht weiter beschrieben, sodass nur die MelderInnen und die Registerstelle nähere Informationen haben.

Um einen Vorfall zu melden, kann auch direkt Kontakt mit einer der Anlaufstellen aufgenommen werden. Diese sind zumeist Büros von Initiativen, Parteien, o.ä. Eine Übersicht der Anlaufstellen in den einzelnen Bezirken, können Interessierte auf der Seite der Berliner Register, gefiltert nach Bezirk, einsehen.

Die im Jahr gesammelten Vorfälle können in der Chronik der Berliner Register eingesehen werden:
https://www.berliner-register.de/chronik/steglitz-zehlendorf

Hinweis: Es werden auch Nachmeldungen für vergangene Jahre oder Monate aufgenommen.

Fazit der Zwischenbilanz in Steglitz-Zehlendorf

Bis jetzt konnte die Registerstelle Steglitz-Zehlendorf im Bezirk acht Anlaufstellen als PartnerInnen gewinnen. Doch das ist nur die halbe Miete! Denn für eine erfolgreiche Arbeit der Registerstelle ist eine wache Zivilbevölkerung ebenso wichtig wie die Anzahl der Anlaufstellen oder MelderInnen. Nach etwas mehr als drei Jahren befinden sich die Möglichkeiten der Registerstelle noch in den Anfängen. Das Dunkelfeld dürfte dementsprechend hoch sein. Fest steht auch, das sich jegliche Form der Dokumentation dem Dunkelfeld immer nur annähern kann. Trotzdem hat die Registerstelle im Bezirk in den Auswertungen der Jahre 2016-2018 stets über 200 Vorfälle aufgenommen. Die Schwankungen sind u.a. durch Wahljahre, in denen es eine allgemein höhere, politische Aktivität gibt, beeinflusst. Im Jahr 2016 nahm die Registerstelle 247 Vorfälle auf, darauf folgten 236 in 2017 und 220 in 2018.

Steglitz-Zehlendorf war die letzte Registerstelle, die eingerichtet wurde. Das macht sich bis heute bemerkbar. Ebenso wie die vergleichsweise schlecht organisierte Zivilgesellschaft im Bezirk. Wenn es andernorts im Bezirk und in den Kiezen Bündnisse gibt, die sich Demokratie und Weltoffenheit auf die Fahne geschrieben haben, sind die beiden Hauptanknüpfungspunkte in der Zivilgesellschaft das Netzwerk Integration Südwest sowie das Willkommensbündnis, die ihren Fokus mehr auf die Integration und Unterstützung zugewandter Menschen gesetzt haben. Daneben gibt es nur noch ein Bündnis, welches sich ebenso wie die Registerstelle noch im Aufbau befindet. Das „Bündnis für ein weltoffenes Steglitz-Zehlendorf“ könnte hierbei in einigen Jahren zu dem heranwachsen, was es in anderen Bezirken schon lange gibt. Der Bezirk hat in dieser Hinsicht einfach geschlafen, was die späte Einrichtung der Registerstelle im Verhältnis zu den Vorfallszahlen auch zeigen. Dieser Nachholbedarf wird noch auf längere Zeit ein Problem darstellen, wenn das Interesse bei den AkteurInnen im Bezirk und die Zusammenarbeit nicht steigt. Eine höhere Sensibilisierung für den Themenbereich, mehr KooperationspartnerInnen und Anknüpfungspunkte, bspw. durch die Stärkung demokratiefördernder Projekte, wäre wünschenswert.

Die Gesamtauswertung für das Jahr 2018 finden Sie hier:

https://www.berliner-register.de/chronik/steglitz-zehlendorf

(berliner register)