Ganz im Zeichen des Erinnerns und Gedenkens stand der Freitag, 8. Mai, in Steglitz-Zehlendorf. In zwei großen Gedenkveranstaltungen wurde an das Ende des Zweiten Weltkrieges und der Herrschaft des Nationalsozialismus in Deutschland erinnert. Rudolf Welskopf, Sohn eines Häftlings des KZ-Außenlagers Lichterfelde, wollte allerdings lieber von Faschismus sprechen denn von Nationalsozialismus, sagte er bei der Feierstunde an der Säule der Gefangenen an der Wismarer Straße. „Nation“ und „Sozialismus“ seien „zu edle Begriffe für diese Verbrecher“, fand er. Seinem Vater war 1944 die Flucht aus dem Außenlager Lichterfelde gelungen mit Hilfe eines Fräulein Lieselotte Heinrichs. Sie hatte ein Netzwerk aufgebaut, um Gefangenen und Flüchtlingen zu helfen. Bis zum Ende des Krieges versteckte sie Welskopf, den sie später heiratete und mit dem sie eine Familie gründete. „Das Schicksal meiner Familie ist existenziell mit diesem Ort verbunden“, so Welskopf. Er appellierte, junge Menschen – viele Schüler waren zur Gedenkveranstaltung gekommen – gegen das „faschistische Gift zu immunisieren“, denn Ausländerfeindlichkeit und Rassismus führten weg von der Menschlichkeit und hin zu Hass und Faschismus, sagte Welskopf angesichts der aktuellen Entwicklungen in Deutschland.
Während Welskopf quasi nur aus zweiter Hand die Schrecken des Lagers kannte, hatte Peter Josef Snep sie miterlebt. Trotz seiner 94 Jahre war er aus den Niederlanden angereist, um als einer der letzten Überlebenden des Lichterfelder Außenlagers an der Gedenkveranstaltung teilzunehmen. Vor 73 Jahren waren er und sein Vater in Amsterdam von der Gestapo festgenommen worden, weil sie Juden zur Flucht in die Schweiz verhalfen. Fast den Tränen nahe dankte der der „Initiative KZ-Außenlager Lichterfelde“ für diese Gedenkveranstaltung. Dessen Vorsitzende Annette Pohlke erinnerte daran, dass mit diesem Tag vor 70 Jahren all die KZ-Häftlinge, die Menschen, die im Exil oder im Untergrund lebten endlich wieder als freie Menschen leben konnten, und es war der Beginn der bisher längsten Friedensperiode in Europa.
Beim Erinnern ginge es nicht um Schuld, sagte Uwe Neumärcker, Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, sondern um Verantwortung und darum, Zivilcourage zu zeigen gegen jede Art von Ausgrenzung. Für den Schutz verfolgter Menschen habe Deutschland eine besondere Verantwortung.
Um die „Verantwortung zum Frieden“ ging es bei der Gedenkveranstaltung auf dem Hermann-Ehlers-Platz in Steglitz, veranstaltet vom Initiativkreis 8. Mai 1945/2015 in Steglitz-Zehlendorf.
Der Vorsitzende der Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf, René Rögner-Francke, würdigte den 8. Mai 1945 als einen Tag der Zäsur in der deutschen und der europäischen Geschichte. Für viele Deutsche sei er damals ein Tiefpunkt gewesen, für die Gefangenen aber Rettung in allerletzter Minute. Eine Diktatur sei zwar besiegt gewesen, doch das Vertrauen in die Menschheit erschüttert. Die Konzentrationslager seien Synonym für millionenfachen Mord und die totale Entwürdigung des Menschen, sagte Rögner-Francke. Was damals im Namen Deutschlands geschehen sei, dürfe nicht vergessen werden, es sei ein Vermächtnis, das man annehmen und verstehen müsse, und es zeige wie wertvoll die Güter Demokratie, Frieden und Wahrung der Menschenrechte sind – und wie gefährdet.
Ein „Tag der Befreiung“ sei der 8. Mai erst im Rückblick, damals hätten das viele Menschen nicht so gesehen, führte Dr. Andreas Nachama, Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, aus. Für viele Juden sei der 8. Mai auch ein Tag der Trauer gewesen. „Ich hatte unverhofft überlebt, aber ich musste erkennen, dass ich niemanden mehr hatte“, las Nachama aus den Erinnerungen eines jüdischen Überlebenden an den 8.Mai 1945 vor. Für andere hingegen bedeutete er, endlich wieder auf die Straße gehen zu können.
Heute lebe Deutschland in Frieden mit seinen Nachbarn, es sei ein Land, von dem Frieden ausgehe, betonte die Bundestagsabgeordnete Dr. Ute Finckh-Krämer. Als einziges Parlament habe der Deutsche Bundestag einen Unterausschuss Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sowie einen Unterausschuss zivile Krisenprävention. Dass zeige, dass Deutschland aus seiner Vergangenheit gelernt habe und sich für Frieden einsetze, betonte Finckh-Krämer.
Nachdem an der Gedenktafel „Der erhängte Soldat – Tödlicher Verdacht“ Kerzen entzündet und Rosen niedergelegt worden waren, machte sich ein großer Teil der auf dem Hermann-Ehlers-Platz Versammelten mit einer Prozession auf den Weg zur Lukas-Kirche am Friedrichsruher Platz, in der ein ökumenischer Gedenkgottesdienst stattfand.
(go)