Symbolbild: Alejandro Tuzzi / Pixabay

 

Im Rahmen des Projekts #vieleLeben hat im Campus Albert Schweitzer am 29. Januar die zweite große Veranstaltung stattgefunden. Laut Projekturheber Ralf Hepprich sahen mehr als 100 Schüler das Theaterstück und die anschließende Talkshow, welche sich kritisch mit dem Thema Influencer auseinandersetzen.

Kurz vor 11 Uhr herrscht im Campus Albert Schweitzer bereits lebhafter Trubel. Zahlreiche Schüler*innen sind gekommen und tummeln sich im Foyer. Die meisten stehen im Pulk beieinander und schwatzen. Einige wenige Gruppen scheinen jedoch für ihr Gespräch das Handy zu brauchen. Der eine daddelt am Smartphone, der andere schaut zu, geredet wird über das Spiel. Von außen betrachtet, grenzt diese Szene an Ironie, fast schon an Komik. Denn in nur wenigen Minuten werden die Schüler eine Veranstaltung besuchen, die einen weiteren Aspekt der neuen Medien kritisch reflektiert: Es geht um Influencer.

Vorhang auf für die Prinzessin

Der erste Programmpunkt ist ein Theaterstück, welches neben Handysucht und der von den sozialen Medien inszenierten Glücklichkeit vor allem die stereotypen Frauenbilder untersucht, die die Stars der sozialen Medien vermitteln. Dabei ist es vor allem die Zusammensetzung der Szenen, welche nachdenklich macht.

So sitzen in der ersten Szene drei Figuren auf der Bühne. Jede hält ein Buch in den Händen, sie lesen abwechselnd Märchen vor: Dornröschen, Rapunzel und die Prinzessin auf der Erbse. Im Grunde ist es aber immer wieder dieselbe Geschichte. Die Prinzessin ist schön, die Prinzessin ist verletzlich, die Prinzessin braucht einen Prinzen. Wie sehr diese Vorstellungen auf YouTube oder Instagram fortleben, das wird im Verlauf des Stücks deutlich. So googelt beispielsweise ein junges Mädchen, was Jungs beim ersten Date wollen und YouTube liefert die Antworten: ganz wichtig seien die Brust, das Haar und andere Äußerlichkeiten. In einer weiteren Szene soll eine Influencerin Teil einer Produktvermarktung werden. Auf Anweisung von Managern posiert sie im Tanktop, verrenkt ihren Körper so, dass es möglichst weiblich aussieht.

Gegen Ende der Performance rufen die Figuren Statistiken durch den Raum. Sie stammen aus einer von der MaLisa Stiftung unterstützten Studienreihe. Diese belegt, dass YouTuberinnen vordergründig stereotype weibliche Themen wie Mode oder Beauty bedienen, während männliche YouTuber in Bereichen wie Sport, Musik oder Comedy deutlich überrepräsentiert sind. Dies liege jedoch weniger daran, dass sich Mädchen nicht für Comedy oder Sport interessieren würden. Die befragten YouTuberinnen erzählten von „engen Zuschauererwartungen und damit verbundenen kritischen, mitunter bösartigen Kommentaren, sobald sie den normierten Erwartungen widersprechen“.

Das Theaterstück spielt sowohl in der realen als auch in der virtuellen Welt. Die drei Handybildschirme sind die Bühne für Instagram und YouTube, auf dem Parkett findet das reale Leben statt, in dem sich jedoch auch alles ums Internet dreht. Die Schüler verfolgen das Bühnengeschehen mit Interesse. Am Ende wird gejohlt und geklatscht.

Let’s talk

Nach einer kurzen Umbaupause beginnt die Talkshow, diesmal moderiert von Lea und Lucia. Wie auch schon am 4. Dezember stellen sie den Influencerinnen Strify, Nona und Sandi Fragen. Die meisten davon sind diesmal persönlich, einige auch kritisch. Wäre die Talkshow eine Unterrichtsstunde, wären die Lehrer wahrscheinlich zufrieden. Denn als die Schüler Fragen stellen dürfen, zeigen sich ehrliche Neugier sowie auch kritische Denkansätze. Würden Strify, Nona und Sandi ihre Meinung verändern, nur um eine größere Anzahl von Likes zu erhalten? Denken sie selbst, dass sie eher einen negativen oder einen positiven Einfluss haben? Und: Wie viele Menschen müssen einen eigentlich abonnieren, damit man weiß, ob man Influencer ist?

Auch Ralf Hepprich ist mit der regen Publikumsbeteiligung bei der Talkshow zufrieden. Er arbeitet bei der Planungs- und Koordinierungsstelle Gesundheit des Bezirks Steglitz-Zehlendorf und ist dort im Bereich der Suchtprävention tätig. Hepprich hatte die Idee zum Projekt #vieleLeben und realisierte sie zusammen mit Tanya d’Agostino vom Jugendamt.

Zum Projekt gehören auch Workshops mit Medienpädagogen, an denen Schulklassen des Siemens- sowie des Fichtenberggymnasiums teilgenommen haben. Dabei entstanden Fotos sowie kurze Videos.

Soziale Medien im Alltag der Schüler

Petra Kneip ist Lehrerin am Dreilinden-Gymnasium und hat die Veranstaltung mit einigen ihrer Zehntklässler*innen besucht. In der Schule, so Kneip, dürften die Schüler*innen ihre Handys derzeit nur in der Cafeteria benutzen. Dort hätten die Lehrer beobachtet, dass besonders die Siebtklässler in den Pausen und Freistunden viel Zeit an ihren Handys verbringen, wobei die Lehrer nicht wüssten, womit genau sich die Kinder befassen. Da sich Theaterstück und Talkshow aus ihrer Sicht eher an Schüler ab der 9. Klasse richten, stelle sich Kneip die Frage, wie das Projekt #vieleLeben speziell für Siebtklässler gestaltet werden könne.

Lara, Leonie und Niklas (Namen von der Redaktion geändert), die mit Frau Kneip zur Veranstaltung gekommen sind, nutzen zwar alle drei die sozialen Medien. Ihr Umgang mit dem Internet scheint jedoch in einem vernünftigen Rahmen zu erfolgen oder wenigstens so, dass sie ihr Verhalten bewusst reflektieren können. Niklas, dem vor allem das Theaterstück gefallen hat, erzählt von zwei Influencern, denen er folgt: Einer fährt Autorennen, der andere macht Unterhaltung. Leonie interessiert sich gar nicht für YouTuberinnen, welche Beauty- Videos machen. Sie schaut lieber Dokumentationen sowie Clips über Videospiele oder Musik.

Lara ist hingegen der Ansicht, dass es sich überhaupt nicht vermeiden ließe, Freunden auf Instagram zu folgen. Denn die laden dort Kurzvideos oder Bilder von sich selbst hoch. Weil Lara gern zeichnet, folgt sie Influencern, die auch zeichnen. Außerdem schaut sie die Videos bekannter YouTuber. Auf den sozialen Plattformen ist sie meist dann unterwegs, wenn sie sich langweilt und nichts anderes zu tun hat. YouTube scheint für sie eine Art optimiertes Fernsehen zu sein. Denn man habe eine viel größere Auswahl von Videos, die jederzeit abrufbar sind.

Die Fortsetzung des Projekts

Im Rahmen des Projekts #vieleLeben möchte Ralf Hepprich ein Medienpaket zusammenstellen. Es soll Schüler über jene Gefahren aufklären, die von sozialen Medien ausgehen und einen besseren Umgang damit fördern. Das Medienpaket richte sich aber auch an Eltern, Lehrkräfte sowie Mitarbeiter im Bereich der Jugendförderung. Eine weitere denkbare Fortsetzung des Projekts ist laut Hepprich die Möglichkeit für Schulen, die Theatergruppe zu buchen. Eine Idee sei auch eine Fortbildung zum Thema „geschlechtersensible Arbeit“ für Lehrkräfte und Mitarbeiter von Jugendeinrichtungen.

(mh)