BVV Steglitz-Zehlendorf, Foto: eb

Ein persönlicher Kommentar: Es ist eineinhalb Jahre her, als ich das erste Mal in meinem Leben, berufsbedingt, eine Bezirksverordnetenversammlung (BVV) besuchte. Bei einer „richtigen politischen Debatte“ dabei zu sein, versetzte mich zugegebenermaßen in gewisse Aufregung. „Hier wird also über unseren Bezirk entschieden. Hier wird erlebbare Politik gemacht. Diese Menschen haben Durchblick und die Macht, Steglitz-Zehlendorf noch schöner, noch lebenswerter zu machen!“, dachte ich. Nun, spätestens jetzt merken Sie vielleicht, dass ich bis dahin so gar keine Ahnung von Bezirkspolitik hatte.

Seitdem habe ich alle vier Wochen das (wie ich jetzt weiß) eher zweifelhafte Vergnügen, dabei zu sein, wenn die Bezirksverordneten sich ab 17 Uhr im Zehlendorfer Rathaus auf ein fünf- bis siebenstündiges Pläuschchen treffen.

Zugegeben, eine Expertin für bezirkspolitische Themen bin ich noch immer nicht. Doch nach eineinhalb Jahren bekommt man so langsam einen kleinen Durchblick. Zumindest lernt man die Haltungen der Fraktionen und die „wichtigsten“ Charaktere kennen. Wer kann wen nicht leiden? Welche Partei sorgt dafür, dass ein vernünftiger Antrag abgelehnt wird, nur weil er von der „falschen“ Partei kommt? Wer gibt wem die Schuld?

Ach ja, die Schuld … Wenn Sie mich fragen würden, worüber in so einer Bezirksverordnetenversammlung am meisten diskutiert wird, dann würde ich ohne zu zögern sagen: „über die Schuld“ – um genau zu sein, darüber, wer sie trägt. Ich möchte ihnen natürlich nicht die Spannung nehmen, aber so viel sei verraten – es sind immer die anderen. Die andere Fraktion, der oder die VorgängerIn, der Senat. Und wenn nicht diese Drei, dann auf jeden Fall Karnetzki. Was der arme Stadtrat, aktuell für Ordnung, Verkehr und Bürgerdienste zuständig, sich schon alles anhören und eben welche Schuld er sich anlasten lassen musste, ist fast schon einen weiteren Beitrag wert. Doch heute geht es um die Versammlung in ihrer Gänze.

Von der Bühne aus hat man alle Teilnehmer wunderbar im Blick – und sie dich. Ja, alle Pressevertreter sitzen auf einer Bühne. Vermutlich wurde uns dieser Platz zugewiesen, damit wir wirklich nichts verpassen, oder, was viel wahrscheinlicher ist, damit wir nicht bei so manchem Redner still und heimlich einschlafen. Der Platz hätte schon seine Vorzüge haben können, wie eben die gute Sicht, würde es hier nicht immer ziehen. Während unsere Volksvertreter sich unten die Luft zufächeln, um sich abzukühlen, sitzen wir oben mit Strickjacke und Schal, um nicht dem Kältetod zum Opfer zu fallen. Aber das nur so am Rande.

Von diesem Platz aus habe ich die wunderbare Aufgabe, den Gesprächen, ja vielmehr sehr gefühlsgeladenen Diskussionen, unserer Bezirksverordneten zu lauschen, mir viele Notizen zu machen und anschließend über das Gehörte zu berichten. Was sich einfach anhört, wird jedoch oft zu einer Geduldsprobe. In meiner fast schon kindlichen Naivität habe ich nämlich erwartet, dass Politiker sachlich und rational über ein Thema diskutieren können. Doch ich wurde eines Besseren belehrt. Die einfachsten Sachverhalte, wie das Beschneiden der Bäume entlang der S-Bahn-Strecke, werden hier bis zur Absurdität „diskutiert“. Dabei geht es doch darum, zu verhindern, dass die Bäume bei Sturm auf die Gleise fallen. Es ist auch möglich, einen Antrag auf eine papierarme, also vermehrt digitale, BVV zu stellen, während man in der vorangegangenen Sitzung den Antrag auf den Ausbau des freien WLANs im Bezirk (auch im Rathaus gibt es keins) abgelehnt hat. Und man kann auch „verlangen“, dass ein Alternativ-Standort für die MUF am Osteweg gefunden wird, während man gerade gegen den Antrag, welcher genau dieses Vorhaben „dringlich“ forderte, abgelehnt hat. Das ist Bezirkspolitik.

Bei all diesen „Diskussionen“ reicht die Tonart oft von pöbelhaft bis weinerlich. Kein Wunder also, dass ich mich bei so manchem Streitgespräch immer wieder dabei erwische, dass ich an meinen Sohn denken muss. Er ist zweieinhalb und steckt gerade in einer schwierigen Trotzphase. Doch was bei ihm temporär ist, scheint bei so manchem Bezirkspolitiker permanent zu sein. Wie im Kindergarten wird hier mit dem Finger auf die Anderen gezeigt. Es scheint auch in Ordnung zu sein, seine „Versammlungskollegen“ zu beleidigen – nicht ganz offen, aber schon so, dass es alle verstehen. Und genau aus diesen Gründen, wann immer ich diese monatliche Sitzung meinen Freunden beschreibe, komme ich um das Wort „Kindergarten“ einfach nicht umher.

Als Abschluss würde ich nur noch gerne auf einen Antrag aus der letzten BVV eingehen: Bei diesem ging es um ein Alkoholverbot in den Sitzungen. Und ja, bisher dürfen die Verordneten während der Versammlung alkoholische Getränke zu sich nehmen. Diese werden im Foyer zusammen mit Brötchen, Buletten und anderen Snacks verkauft. Um es kurz zu machen – der Antrag wurde abgelehnt. Vielleicht aus Gewohnheit, vielleicht, um sich einfach die Möglichkeit zu bewahren. Liebe Bezirkspolitiker, ich habe noch nie gehört, dass in irgendeinem anderen Berufsfeld über diese Möglichkeit überhaupt nur diskutiert wurde. Oder haben Sie schon mal von Erziehern, Steuerfachangestellten oder auch Putzkräften gehört, die während ihrer Arbeit Alkohol trinken dürften? Und wenn schon Alkohol, dann sollte dieser nur an die Gäste auf der oben genannten Bühne ausgeschenkt werden, damit wir Ihr oft kindisches Verhalten besser ertragen können.

(eb)

Dieser Artikel entstand, wie nicht anders zu erwarten, nach einer langen BVV-Sitzung. Normalerweise lädt die Autorin ihren Frust nach so einer Sitzung bei ihrem Mann ab. Dieses Mal war er jedoch bereits im Bett, sodass das „digitale Papier“ dafür herhalten musste.