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Das Studentendorf Schlachtensee feiert Geburtstag. Im grünen Zehlendorf und nahe der Freien Universität gelegen, bietet es jungen Menschen aus aller Welt ein bezahlbares Zuhause und Anschluss an eine offene Gemeinschaft von Gleichgesinnten. Beim Festakt vom 10. Dezember erinnerten die Beteiligten vor allem an die Geschichte des Studentendorfs. Diese wurde in erster Linie von mündigen Student*innen geschrieben, welche die Möglichkeiten der Demokratie nutzten, um für ihre Interessen zu kämpfen.

Im Jahre 1988 bekam das Studentendorf Schlachtensee zwei neue Bewohner. Birgit, ursprünglich aus München, hatte die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen nach Berlin geschickt, wo sie das Studium der Zahnmedizin begann. Ad, der aus Holland kam, war nach Berlin gezogen, um Betriebswirtschaft zu studieren. Jetzt sitzen Birgit und Ad zusammen an einem Tisch im Club A 18 und blicken gern auf jene Zeit zurück, in der sie das Studentendorf Schlachtensee ihr Zuhause nannten.

Ein Geschenk an die Demokratie

„Ich glaube, wir haben das Leben im Studentendorf so gelebt, wie es ursprünglich von den Amerikanern gedacht war.“, sagt Ad. Es war nämlich die Regierung der USA, die das Studentendorf West-Berlin schenkte. Am 10. Oktober 1957 legten die Berlin-Beauftragte des US-Außenministeriums Eleanor L. Dulles und Willy Brandt, der damalige Berliner Bürgermeister, den Grundstein für das Studentendorf. Am 1. November 1959 wurde es in Betrieb genommen.

Die jungen Männer und Frauen, die nun hier wohnten, sollten zur Demokratie erzogen werden. Dazu diente nicht zuletzt die Architektur. Wer heute ins Studentendorf geht und die Wohnhäuser genauer betrachtet, merkt, dass sie doch sehr unterschiedlich aussehen. Manche sind quaderförmig und stehen einzeln. Andere sind zusammengesetzt. Die Architekten Hermann Fehling, Daniel Gogel und Peter Pfankuch schufen die unterschiedlichsten Formen. Weiterhin wurden neben den Privaträumen auch Gemeinschaftsbereiche konstruiert. Der Garten- und Landschaftsplaner Hermann Mattern, der den Landschaftsraum des Studentendorfs gestaltete, verlieh ihm außerdem den zentralen Dorfplatz.

Man kann wahrhaftig davon sprechen, dass das Studentendorf die Bewohner*innen anregte und bis heute anregt, aufeinanderzutreffen, miteinander zu sprechen und Freundschaften zu knüpfen. Fragt man Birgit, was ihr in ihrer Zeit im Studentendorf denn am besten gefallen habe, antwortet sie, dass es „das Miteinander“ gewesen sei. Die Student*innen hätten gemeinsam gekocht und gefeiert. Ad erzählt, wie er in den Genuss kam, den Ramadan mitzuerleben. Sein muslimischer Mitbewohner hatte abends nach dem Fasten eine große Mahlzeit vorbereitet und lud Ad und weitere Studenten dazu ein. Bei dieser Gelegenheit hätten sie eine Menge gelernt, da der Mitbewohner ihnen den Ramadan erklärte.

Neben der Architektur sollten auch Einrichtungen wie die Bibliothek, der Dorfrat, die Arbeitsgruppen oder das Tutorenprogramm der Demokratieerziehung dienen. Wie das nun mal so ist, waren die frühen Bewohner*innen des Studentendorfs jedoch eher an Partys als an der demokratischen Partizipation interessiert.

Der Aktivismus erwacht

Dies änderte sich jedoch im Zuge der Studentenbewegung. 1968 fand die berühmte Schlüsseltauschaktion statt, wodurch die Studierenden erreichten, dass die strenge Geschlechtertrennung aufgehoben wurde. Richard Mann, der im selben Jahr von Florida nach Berlin gekommen war, um an der FU Politologie zu studieren, beschreibt in seiner Autobiografie, wie rigoros besagte Geschlechtertrennung durchgesetzt wurde: Der Hausmeister sei nachts durchs Studentendorf gestreift, und habe in die Zimmer der Studierenden gespäht. Möglich gemacht hätte dies eine Lücke zwischen Vorhang und dem unteren Rand des Fensters. 1968 tauschten jedoch einige der Bewohner in Eigeninitiative Schlüssel und Zimmer, sodass letztlich sowohl Frauen als auch Männer in den beteiligten Häusern wohnten. 1969 begann ein Mietstreik gegen das damalige Wohngeldgesetzt, wonach Studierende kein Wohngeld beantragen konnten. An den Protesten beteiligten sich auch Bewohner*innen des Studentendorfs Schlachtensee.

Kampf ums Bestehen

Im Jahre 1971 wurde das Studentendorf ins Studentenwerk integriert. Von nun an war der Senat mittelbar für Verwaltung und Betrieb verantwortlich. Aufgrund von zunehmendem Leerstand und nicht vorhandenen Investitionen, von denen Baumängel hätten beseitigt werden können, verfiel das Studentendorf. 1985 beschloss das Berliner Abgeordnetenhaus, es abzureißen. Die Reaktionen der Bewohner*innen fielen unterschiedlich aus. Während die einen auszogen, beschlossen andere, gegen den drohenden Abriss zu kämpfen.

Einer von ihnen war Ad, der sich im Vorstand der studentischen Selbstverwaltung des Dorfs engagierte. Er erzählt, wie er und seine Mitstreiter*innen Pamphlete schrieben und Versammlungen organisierten, um mit den anderen Dorfbewohnern über den Abriss ins Gespräch zu kommen und sie möglicherweise für den Widerstand zu gewinnen. Aber auch die Behörden wollten die Studierenden umstimmen. Ad erzählt, wie sie ihnen Briefe schrieben und auch persönlich hingingen. Ein für ihn offenbar denkwürdiges Erlebnis war der Besuch beim damaligen regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen.

Dass das Studentendorf letztlich doch nicht abgerissen wurde, liegt jedoch auch am Mauerfall. Andreas Barz, Vorstandsvorsitzender der Studentendorf Schlachtensee eG, schrieb in einem Essay, dass dadurch „andere Aufgaben im Rahmen des Zusammenwachsens der beiden Stadthälften nunmehr im Vordergrund standen“.

1991 wurde das Studentendorf als Bau- und Gartendenkmal in die Berliner Denkmalliste aufgenommen und wie Barz es ausdrückt „notdürftig, aber nur wenig behutsam repariert“. Ende der 90er Jahre war es jedoch schon wieder in Gefahr, denn eine Investorengruppe machte dem Kultursenator Radunski ein Angebot: Der Eiskeller der Kreuzberger Schultheiss- Brauerei sollte Standort für die Berlinische Galerie werden. Finanziert werden sollte das Ganze durch einen Grundstückstausch mit dem Studentendorf Schlachtensee.

Im Oktober 1998 erfuhren die Bewohner*innen von dem Verkauf, der drohte. Und wieder nutzten sie alle Waffen, die ihnen die moderne Demokratie zur Verfügung stellte. Sie beriefen eine Vollversammlung ein, sammelten Unterschriften und beteiligten sich Anfang 1999 an einer Podiumsdiskussion mit Radunski, dem Geschäftsführer des Studentenwerks Fink und dem damaligen Präsidenten der FU. Weiterhin fanden jene Initiativen statt, die der damalige Aktivist Jens- Uwe Köhler in einem Beitrag als „kreative Protestaktionen“ bezeichnete. Dazu gehörten seinen Angaben nach nicht nur die Störung eines Treffens zwischen Fink, Senatsbaudirektor Stimmann und Landeskonservator Engel, sondern auch die im Juni 1999 stattgefundene Demonstration unter dem Motto „Wir sprengen das Brandenburger Tor“. Ungeachtet der Räumungsklage des Studentenwerks wohnten laut Köhler „an die 30 Personen“ weiterhin im Studentendorf.

Die Rettung

2001 wurde im Club A18 der „Freundeskreis des Studentendorfs Schlachtensee“ gegründet, welcher von nun an den Protest gegen den Abriss organisierte. In ihm hat auch die Genossenschaft Studentendorf Schlachtensee eG ihren Ursprung. Diese gründete sich im Jahre 2002, laut Website „mit dem Ziel, das gleichnamige Studentendorf zu sichern, zu sanieren und zu betreiben“.
Nach langen Verhandlungen mit den Liegenschaftsfonds, kaufte die Genossenschaft 2003 das Studentendorf und war bald darauf für Verwaltung und Vermietung zuständig. Seit 2006 wird das Studentendorf Schlachtensee denkmalgerecht erneuert. Diese Erneuerung wird nach Angaben der Website des Studentendorfes Schlachtensee 2023/24 beendetsein.

(mh)