Waldsiedlung auf dem Weg zum Welterbe

Waldsiedlung auf dem Weg zum Welterbe

Mehrfamilienhaus in der Waldsiedlung Zehlendorf. Die Geschosswohnungsbauten mit rund 1100 Wohnungen gehören zum Bestand der Deutsche Wohnen.

 

Derzeit wird für die Zehlendorfer Waldsiedlung ein neuer Denkmalpflegeplan erstellt. Mit der öffentlichen Auslegung im Mai nimmt er seine letzte Hürde. Auch die Innenraumgestaltung ist dann keine Privatsache mehr. Ziel der neuen Gestaltungsvorgaben: Der Erhalt des möglichen Weltkulturerbes.

2008 wurden sechs “Siedlungen der Berliner Moderne” in die Welterbeliste der UNESCO eingeschrieben: die Gartenstadt Falkenberg, die Siedlung Schillerpark, die Großsiedlung Britz, die Wohnstadt Carl Legien, die Weiße Stadt und die Großsiedlung Siemensstadt. Ihnen gemeinsam ist die Errichtung zwischen 1913 und 1934 und die Planung durch Architekten der klassischen Moderne, vier der Siedlungen wurden von Bruno Taut entworfen. Als Gegenmodell zur privatwirtschaftlichen Bauspekulation mit ihren Mietskasernen sollten die Siedlungen eine neue Architektur für eine neue Gesellschaft verwirklichen.

Diese Merkmale treffen auch auf die Zehlendorfer Waldsiedlung zu, auch hier war Taut beteiligt. Dass sie trotz ihres bedeutenden architekturhistorischen Stellenwertes 2008 nicht in die Serie aufgenommen wurde, lag an ihrem damaligen schlechten Erhaltungszustand. Seither bemühen sich Politik und Verwaltung darum, das denkmalgeschützte Ensemble welterbetauglich zu machen. Auch die Deutsche Wohnen, die mit rund 1.100 Wohneinheiten etwas mehr als die Hälfte des Wohnungsbestandes der Siedlung besitzt, hat kräftig investiert.

 

In der „Papageiensiedlung“ hat jeder Haustyp ein eigenes Farbkonzept.

 

Das im Volksmund auch „Papageiensiedlung“ genannte Wohnquartier wurde wieder erkennbar: „Die im Vergleich zu den anderen Großsiedlungen der zwanziger Jahre einmalige Bedeutung der Farbe kann durch die umfangreichen Restaurierungsarbeiten der letzten 15 Jahre, die auf genauen farbanalytischen Untersuchungen aufbauen, heute größtenteils wieder nachvollzogen werden“, stellt das Landesdenkmalamt in seinem Eintrag zur Waldsiedlung zufrieden fest. Offenbar trugen die Anstrengungen Früchte; Im Oktober 2021 wurde die Waldsiedlung Zehlendorf schließlich für das deutschlandweite Auswahlverfahren zum UNESCO Weltkulturerbe eingereicht.

Das ist verdammt groß: Es geht um nichts weniger als das Erbe der Menschheit. „Alle Welterbestätten in Deutschland stehen aufgrund ihres außergewöhnlichen universellen Werts für die Menschheit unter besonderem Schutz“, so formuliert es die UNESCO. Das ist ein hoher Anspruch, und es hat Folgen für die Bewohner der Siedlung.

Weil beim Bau des Viertels auf den Erhalt der Bäume geachtet wurde, stehen in der Waldsiedlung Kiefern, die über 100 Jahre alt sind. Gärten spielten bei der Gestaltung des Wohnviertels eine große Rolle, deshalb sehen die neuen Denkmalrichtlinien sehr konkrete Gestaltungsrichtlinien vor, Pflanzlisten helfen bei der Planung und Umsetzung.

 

Mächtige Kiefern gehören zum Bild der Siedlung.

 

Grundsätzlich gilt das „Primat des Originals“, originale aus der Bauzeit stammende Materialien und Abmessungen sollen erhalten werden. Ohne „Denkmalrechtliche Genehmigung“ dürfen die Häuser der Waldsiedlung nicht angefasst werden. Vorgegeben sind Putz, Farbe (hier sogar die Marke), die Art des Klinkers und sogar das Fugenmaterial. Äußere Dämmung ist genauso verboten wie Parabolantennen, Satellitenschüsseln, Markisen oder Rolläden.

Eingangsbereiche sind „in ihrer Gänze mit allen Bauteilen zu erhalten“, Türen und Fenster müssen erhalten werden. Für Dächer gibt es konkrete Gestaltungsvorgaben.

Auch Innenräume sind in einem Weltkulturerbe keine Privatsache mehr, hier gelten die Regeln der Denkmalbehörde: Grundrissveränderungen sind nur bedingt erlaubt. Die Holztreppen müssen erhalten werden, „nach Möglichkeit in ihren historischen Farbschichten“. Alles auf Anfang ist die Devise, das gilt auch für Fensterbänke, Dielenbelag, Terrazzo sowie für die Kückendurchreiche und den Küchenschrank unter dem Küchenfenster.

 

Fenster eines Reihenhauses. Die Waldsiedlung steht bereits seit 1982 unter Denkmalschutz. Ernsthafte Restaurierungsarbeiten gibt es jedoch erst seit rund 15 Jahren.

 

Im gesamten Haus soll idealerweise das ursprüngliche Farbkonzept wieder hergestellt werden. Hierbei hatten die jeweiligen Architekten unterschiedliche Konzepte, die die Denkmalpfleger erhalten sehen wollen: „Ein neuer Anstrich sollte mit einem atmungsaktiven Anstrichsystem als Leimfarbe (nicht als Dispersionsfarbe) erfolgen. Eine Darstellung der bauzeitlichen Farbfassungen mit den entsprechenden NCS-Farbtönen ist bei der Unteren Denkmalschutzbehörde Steglitz-Zehlendorf zu erhalten.“

Ob Mieter und Eigentümer diesen Service zu schätzen lernen, wird sich zeigen. Vielleicht ist es da einfacher, einen Gartenschuppen zu bauen? Farbe darf hier gar nicht sein: „Der Schuppen (Holz) darf maximal 2,00 m lang, 1,80 m breit und 2,20 m (Firsthöhe) hoch sein. Empfohlen wird, den Schuppen zu beranken oder mit Buschwerk bzw. Hecken zu umpflanzen.“

Besonders interessant dürften für viele Bewohner die Vorgaben zur „energetischen Ertüchtigung“ sein. Das Anbringen eines Wärmedämmverbundsystems ist verboten – die Begründung: „Neben dem Verlust von originaler Bausubstanz für künftige Generationen wären durch diese Maßnahme zukünftige restauratorische Untersuchungen zur originalen Farbigkeit nicht mehr möglich. Die Siedlung, die sich durch eine herausragende farbliche Gestaltung auszeichnet, würde diese historische Referenz verlieren.“

Als Alternative wird die Dämmung einzelner Bauteile von innen vorgegeben (Außenwände, Keller, Dach). Die Nutzung von Solarzellen und Wärmepumpen ist möglich, wenn das Erscheinungsbild der Siedlung nicht gestört wird.

 

Reiherbeize, Eisvogelweg, Auerhahnbalz – die kleinen Straßen haben teilweise skurrile Namen.

 

Betroffen von den Bestimmungen ist auch die unmittelbare Nachbarschaft. Nach dem Berliner Denkmalschutzgesetz bedürfen grundsätzlich alle Baumaßnahmen in der unmittelbaren Umgebung von Denkmalen der Zustimmung bzw. Genehmigung. Wer dagegen verstößt muss mit einem Ordnungsgeld bis zu 500.000 Euro rechnen.

Die neuen Richtlinien gelten als vorläufig, bis das Verfahren offiziell abgeschlossen ist. Der Handlungsleitfaden ist bis zum 2. Juni auf den Seiten des Landesdenkmalamtes einsehbar, bis dahin können Betroffene ihre Fragen stellen und Eingaben machen. Die Veröffentlichung der finalen Version ist im Herbst vorgesehen, damit tritt dann auch der neue Denkmalpflegeplan in Kraft.

Ob die Waldsiedlung den Titel Welterbe tragen darf, wird ab 2025 in Paris entschieden. Bis dahin gilt es noch einige Schritte zu durchlaufen: Die Kultusministerkonferenz muss in diesem Jahr aus einer vorläufigen Auswahlliste eine Empfehlung über die zur Nominierung geeigneten Vorschläge aussprechen. Anfang 2024 werden die Vorschläge dann der UNESCO vorgelegt. Auf Basis dieser sogenannten „Tentativliste“ kann von Deutschland ab 2025 der nächste Welterbeantrag zur Aufnahme einer Stätte in die Welterbeliste der UNESCO eingereicht werden.

Derzeit gibt es 1.157 UNESCO-Welterbestätten in 167 Ländern, 51 von ihnen befinden sich in Deutschland. Berlin zählt bereits jetzt weltweit zu den Städten mit den meisten Welterbestätten.

Alle Infos zum Stand des Verfahrens und den vorläufigen Handlungsrichtlinien:

https://www.berlin.de/landesdenkmalamt/welterbe/welterbepotenziale/waldsiedlung-zehlendorf-1179346.php#dpp

 

Fotos und Text:
Daniela von Treuenfels

 

 

 

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