Aufmerksam verfolgten die Schüler, wie Michael Rohrmann die fünf Steine verlegte. Fotos: Gogol

Ruth-Reisel Herzberg war gerade einmal vier Jahre alt, als sie von den Nazis ermordet wurde, weil sie Jüdin war. Für sie, ihre Mutter Elsa, ihren Vater Karl sowie die beiden Großväter Berthold Herzberg und Sindel Zimet verlegte Michael Rohrmann vom Projekt Stolpersteine im Evangelischen Kirchenkreis Teltow-Zehlendorf am Montag fünf Stolpersteine vor ihrem letzte Zuhause, Am Wieselbau 26.

Berthold Herzberg war der erste Eigentümer des von Bruno Taut 1931 errichteten Hauses, hatten die Recherchen des Kirchenkreises ergeben. Er war Kaufmann, dann musste er seine Familie als Bürstenmacher über Wasser halten. Über seine Frau hat man nichts herausbekommen. Mit im Haus lebte sein Sohn Karl mit Frau und Tochter, später zog auch Elsas Vater Sindel Zimet dort ein. Man rückte zusammen in schweren Zeiten. 1942 beziehungsweise 1943 wurden sie deportiert, starben in Theresienstadt, Auschwitz und Riga.

Viele Menschen aus der Nachbarschaft waren gekommen, um bei der Verlegung der Stolpersteine dabei zu sein, vor allem aber zwei Schulklassen, eine vom Rolland-Romain-Gymnasiums aus Berlin-Reinickendorf und eine von der Ecole Massillon Paris. Die beiden Partnerschulen finanzierten drei der Stolpersteine, für die beiden anderen übernahmen eine Universität in Paris und die Freie Universität Berlin die Patenschaft, berichtete Rohrmann.

Aufmerksam lauschten die Schüler, als Ilse Wilke nach vorne gerufen wurde. Sie wurde 1936 nur wenige Häuser weiter die Straße hinunter geboren und konnte sich noch gut an die Familie Herzberg erinnern, vor allem an das kleine vierjährige Mädchen.

Ihr verstorbener Vater habe im Keller Juden versteckt, erzählt Wilke, die sich daran erinnerte, wie eines Tages ein Päckchen aus den USA bei ihnen ankam. Eine der Familien, die Wilkes Vater im Keller versteckt hatte, konnte sich über Brasilien in die USA durchschlagen. Das Paket war ihr Dankeschön. Die Familie Herzberg zu verstecken, aber sei ein zu großes Risiko gewesen, weil man nicht sicher war, ob die Vierjährige sich nicht verplappert, erzählte Wilke. Und so wurde die Familie 1942/1943 abgeholt – und kehrte nicht mehr wieder. Ein Bruder Elsas, Elieza, soll überlebt haben. „Das tröstet etwas: Die Nazis haben es nicht geschafft, die ganze Familie auszurotten“, sagte Rohrmann, bevor er die Steine verlegte.

Dabei half ihm der 14-jährige Chahe aus Paris. Für ihn ist es eine besondere Art an die Toten zu erinnern. Im Unterricht haben sie sich mit dem Leben und dem grausamen Tod der fünf Menschen befasst. Bei jedem Stolperstein könne man nun über das trauern, was passiert ist, sagt der 14-Jährige. Auch seine Klassenkameraden zeigten sich bewegt und beeindruckt. Es sei, als ob man ihnen nun endlich ein Grab gebe, ergänzt ein Schüler. Zudem habe sie die Erzählung Wilkes bewegt, denn Zeitzeugen gebe es heute kaum noch. In Frankreich gebe es diese Form des Erinnerns nicht, sagte ein anderer Schüler. Doch er würde es gut finden, wenn auch dort Stolpersteine verlegt würden.

Seit 1973 wohnt Helga Schmidt in dem Haus der Herzbergs, von den einstigen Bewohnern hat sie erst von Rohrmann erfahren, erzählt sie. Dann sprach sie mit Nachbarn, von denen sich bis auf Ilse Wilke niemand an die Familie erinnern konnte.

Am Dienstag soll an zwei weitere Opfer der Nazis erinnert werden. Um 10 Uhr verlegt Michael Rohrmann vor dem Haus Karolinenstraße 4,  Stolpersteine für Erna und Martin Holdheim, die 1943 nach Auschwitz deportiert und dort im Januar 1945 ermordet wurden. Über die Ermordeten ist wenig bekannt.

 (go)