Der Hahn-Meitner-Campus in Wannsee von oben. Hier steht der umstrittene Forschungsreaktor. Archiv-Foto: HZB/DirkLaubner

Es ist einer der umstrittenen Orte in Steglitz-Zehlendorf: der Forschungsreaktor in Wannsee. Mitten im Wohngebiet liegt er am Hahn-Meitner-Platz. Atom-Gegner und Anwohner würden ihn gern sofort abschalten, doch Forscher nutzen den Reaktor des Helmholtz Zentrums Berlin (HZB) gern für ihre Experimente.

Will man den Reaktor besuchen, braucht es mindestens drei Tage Vorlaufzeit – so lange braucht es bis ein Anmeldebogen, den man vorher zugesandt bekommt hat, überprüft wurde. Nun, da ich vorher polizeilich noch nie in Erscheinung getreten bin, stehe ich also zum vereinbarten Termin vor dem Tor des Helmholtz-Zentrums, lege meinen Ausweis vor, trage mich in die Besucherliste ein und bekomme mein Besucherkärtchen. Dass das gerade einmal der Anfang der Sicherheitskontrollen ist, ahne ich da noch nicht. Zu erst geht es zu Ina Helms, der Pressesprecherin des HZB. Sie wird mich an diesem Tag durch den Reaktorbau und die Leiterhalle führen. Sie wird nicht meine einzige Begleitung sein. Im Forschungsreaktor werden uns noch zwei Sicherheitsleute an die Seite gestellt. Ich werde mit einem Detektor untersucht, anschließend noch abgetastet. Bevor ich eine weitere Besucherkarte bekomme, wird noch einmal mein Ausweis kontrolliert und ein Foto von mir gemacht. So soll sichergestellt werden, dass ich auch ich bin, wenn ich durch eine Sicherheitsschleuse gehe. Damit ich mich nicht von meinen drei Begleitern trennen kann, werden wir als eine Gruppe zusammen gebucht. Heißt: Gehen wir in einen Sicherheitsbereich oder verlassen ihn, müssen wir vier innerhalb einer bestimmten Zeit unsere Karten scannen. Zu guter Letzt erhalte ich noch ein Dosimeter, das die Strahlung in meinem Umfeld misst. Spätestens jetzt ist es Zeit einmal nachzufragen, wie gefährlich es eigentlich ist, sich hier aufzuhalten. „In einem Flugzeug bekommen Sie bei einem Langstreckenflug mehr Strahlung ab als hier“, sagt Helms.

Der Forschungsreaktor im Modell:
 
Und schon geht es durch die Schleuse hinauf auf die „Kommandobrücke“, die direkt über dem Forschungsreaktor liegt. Von hier oben kann man direkt in das Becken mit den Brennstäben schauen. Die liegen zehn Meter tief unter Wasser. Die Stäbe lassen es blau leuchten. Das Wasser kühlt die Brennstäbe und schirmt zugleich ab, sagt Helms. Deshalb trage hier niemand Strahlenschutzanzüge. Auch Schichtleiter Georg Stanischewski und der erste Operateur Nico Hertel sitzen in Jeans, Shirt und Pullover vor ihren Monitoren. Die leuchten grün – alles in Ordnung.

Der Reaktor kann jederzeit herunter gefahren werden, wenn sich zum Beispiel die Temperatur zu sehr erhöht oder bei Stromschwankungen. Die passieren gern mal nachts um vier, sagt der Schichtleiter. Bei Stromausfall laufen die Pumpen zunächst weiter, dann springt eine Batterie an bis die Notstromversorgung startet. Doch selbst die wäre nicht nötig, aufgrund der natürlichen Konvektion, die dafür sorge, dass das Wasser weiter im Fluss bleibt „Fukushima kann hier nicht passieren durch den Naturumlauf“, sagt Stanischewski. Fährt der Reaktor herunter, finden genaue Überprüfungen statt bevor er wieder in Betrieb geht. Gibt es am Reaktor etwas zu reparieren oder sollen die Brennstäbe neu positioniert werden, was zweimal jährlich vorkommt, um den Neutronenfluss zu optimieren, ist Handarbeit gefragt. Mit langen Stangen gehen die Mitarbeiter dann zu Werke. „Das ist schon Fummeln“, gesteht Hertel. Für Arbeiten am Strahlrohr 2011 habe man zuvor einen Testreaktor aufgebaut, um die Arbeitsabläufe zu trainieren, erzählt Helms.

Mit dem Fahrstuhl geht es dann weiter direkt an den Reaktor – oder besser an die zwei Meter dicke Betonschicht, durch die dieser geschützt ist.

Der Forschungsreaktor erzeugt Neutronen für die Forschung. „Die Kernspaltung wird gerade so aufrecht erhalten“, erläutert Helms. Heruntergefahren wird er  regelmäßig. Drei Wochen ist er in Betrieb, dann wird er eine Woche lang gewartet. In den drei Woche, in denen der Reaktor läuft, finden um ihn herum beziehungsweise in der Leiterhalle Experimente statt. Die heißbegehrten Plätze müssen beantragt werden. Ein externes Gremium erstellt dann aufgrund der wissenschaftlichen Qualität der Anträge eine Prioritätenliste, wer wann Messzeit erhält, erläutert Helms. 30 Prozent der Zeit forscht das HZB selbst, etwa an der Verbesserung seiner Instrumente, der Rest wird vergeben. Zirka 20 Experimente können gleichzeitig stattfinden, rund um die Uhr wird dann geforscht. Meist geht es um Materialprüfungen, etwa die Untersuchung von Brennstoff- oder Solarzellen, auch wie Magnetismus in Supraleitern erzeugt wird, wird in der Leiterhalle erforscht. Mit Hilfe der Neutronentomografie werden aber auch Kunstwerke durchleuchtet.

Experimentierhalle:

An zwei Orten können die Forschungen stattfinden, erklärt Helms. Einmal in der Reaktorhalle, wo die Neutronen schnell und ungebremst auf das zu prüfende Material stoßen, oder in der Leiterhalle, zu der die Neutronen durch ein konisches Strahlrohr per Reflexion geleitet werden. Dort umgeben Cryomagneten das zu untersuchende Material, verschiedene Instrumente zur Untersuchung stehen bereit. Zu ihnen gehört seit einiger Zeit ein Hochleistungsmagnet mit einer Leistung von 25 Tesla, mit dem die Quantenphysik in Festkörpern untersucht werden kann – Grundlagenforschung, wie mir Ina Helms erklärt.

In der Leiterhalle darf ich dann auch zum ersten Mal fotografieren, vorher ist das aus Sicherheitsgründen nicht gestattet. Niemand soll sich ein zu genaues Bild machen können, wo welche Kameras stehen und ob es möglicherweise blinde Flecken gibt.

Die größte Gefahr im Forschungsreaktor geht von den Stahlrohren aus, die aus den Becken herausführen. Dort, am Übergang, ist der Beton dünner. Die Gefahr, dass ein Flugzeugabsturz – ob geplant oder nicht – zur Kernschmelze und einem Super-GAU in Wannsee führt, hält Helms nur für hypothetisch. Denn das Flugzeug müsste genau dort an diesen Strahlrohren einschlagen – also ebenerdig und in einem bestimmten Winkel. Das sieht das Anti-Atombündnis anders. Der Forschungsreaktor sei nicht gegen Flugzeugabstürze beziehungsweise Terrorangriffe geschützt. Es reiche eine einfache panzerbrechende Waffe, um das Reaktorbecken zu zerstören, warnte das Bündnis in der Vergangenheit mehrfach und forderte die Abschaltung des Reaktors. Die ist absehbar. 2020 will das Helmholtz-Zentrum den Standort verlassen. Der Reaktor wird an interessierte Partner abgegeben. Das gilt allerdings nicht für die Zentralstelle für radioaktive Abfälle (ZRA). Die gehört dem Land Berlin, für das das HZB den Betrieb übernommen hatte. Dort werden schwach- und mittelradioaktive Abfälle, die etwa in der Industrie, in der Medizin, in der Forschung und Lehre des Landes Berlin anfallen, gesammelt. Was mit dem Lager nach 2020 geschehen wird, kann auch Helms nicht sagen. Darum muss sich das Land kümmern.

Bevor ich die Reaktorräume verlasse, werde ich noch einmal gescannt. Duschenähnlich sieht der Scanner aus, der jetzt nicht testet, ob ich irgendwelche Waffen hineinbringe, sondern ob ich zu viel Strahlung abbekommen habe. Die Dusche sagt nein und ich kann gehen.

 (go)