Heute stellen wir im Direktkandidaten-Interview Ute Finckh-Krämer von der SPD vor. Die 56-Jährige ist Doktor der Mathematik und arbeitet im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Finckh-Krämer tritt zwar zum ersten Mal an Direktkandidatin an, hat aber Erfahrungen im Wahlkampf, war sie doch 2009 Wahlkampfbeauftragte im Wahlkreis Steglitz-Zehlendorf.

StadtrandNachrichten: Dr. Finckh-Krämer, woher müsste ich als Steglitz-Zehlendorferin Sie kennen?

Dr. Ute Finckh-Krämer: Aus dem Sportverein, dem SSC Südwest; aus der Stadtbibliothek, weil ich dort häufig Bücher hole; von Schulfesten der Sachsenwald-Grundschule und natürlich von SPD-Infoständen.

SN: Sie waren in der SPD bisher unter anderem Beisitzerin im Kreisvorstand, Kreiskassiererin und 2009 Wahlkampfbeauftragte. Warum zieht es Sie nun in die Bundespolitik?

Finckh-Krämer: Weil mein Hauptpolitikfeld die Friedenspolitik ist, und die liegt in bundespolitischer Kompetenz. Ich mache das seit 40 Jahren, das hat auch mit meinem süddeutschen Studienort zu tun, mit den Protesten, die es dort damals gegen Atomwaffen gab. Es gibt aber auch noch andere Themen, bei denen ich gemerkt habe, dass die letzte Entscheidung in der Bundespolitik liegt. Das sind zum Beispiel die großen Rahmen für die Verkehrspolitik und die soziale Gerechtigkeit.

 SN: Ihre drei Schwerpunkte, oder auch Schlagworte, für den Bundestagswahlkampf sind Frieden, Gerechtigkeit und die Erhaltung natürlicher Lebensgrundlagen. Sie sagten gerade, dass Frieden Ihr Thema ist. Sie sind Mitglied der Friedensbewegung, Sie sind Pazifistin und Mitbegründerin des Bundes für soziale Verteidigung. Was bedeutet „Frieden“ für Sie?

Finckh-Krämer: Frieden ist, aus meiner Sicht, kein Zustand, sondern eher ein Prozess. Ein Prozess, in dem gleichzeitig Gewalt, Ungerechtigkeit und Not reduziert werden.

SN: Für viele ist „Frieden“ ein abstrakter Begriff. Gerade in Deutschland leben wir in einer der längsten Friedensperioden überhaupt, er ist für uns selbstverständlich. Wie bringen Sie dieses Thema denn den Wählern näher?

Finckh-Krämer: Es gibt da zwei Ansatzpunkte. Der eine ist, dass wir in Deutschland ja nicht umsonst den Begriff „sozialen Frieden“ haben. Es gibt viele Menschen, die sich Sorgen um Gewalt im Alltag machen. Mein Verein, der Bund für soziale Verteidigung, ist ein Verein, der sich für Gewaltfreiheit auf allen gesellschaftlichen Ebenen einsetzt. Das geht von der Familie bis in den internationalen Bereich. Der zweite Ansatzpunkt, von dem man merkt, dass er die Leute umtreibt, das sind die Fernsehbilder von Krieg und Gewalt in anderen Ländern. Es gibt eine große Ernüchterung, was die Bundeswehreinsätze und das Eingreifen mit Gewalt angeht. Da sind die Leute sehr neugierig, wenn jemand erzählen, kann, welche Alternativen es gibt, die in den Medien nicht vorkommen.

SN: Ein zweites Schlagwort in Ihrem Programm ist die soziale Gerechtigkeit. Was bedeutet das für Sie?

Finckh-Krämer: Für mich bedeutet soziale Gerechtigkeit, dass alle Menschen gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Es bedeutet, dass jeder genug Geld zum Leben und zur Teilhabe hat, es sich also leisten kann, ins Kino zu gehen, sich leisten kann, Bücher zu lesen, sich leisten kann, Ausflüge zu machen, dass Kinder mit auf Schulausflüge und Klassenfahrten gehen können. Es bedeutet auch, Rentnern, Behinderten und Kranken die Teilhabe zu ermöglichen. Dazu kommt dann auch noch – Stichwort Inklusion –, dass unsere Verkehrssysteme so ausgerichtet sein müssen, dass behinderte Menschen sich in der Stadt bewegen können. Es bedeutet, dass Wohnungen so ausgestattet werden müssen, dass alte und behinderte Menschen ihr Leben darin führen können. Das gehört für mich alles zur sozialen Gerechtigkeit.

SN: Sie sind in den vergangenen Monaten unterwegs gewesen auf der „Tour de Sociale“. Steglitz-Zehlendorf gilt ja immer als Bezirk der Besserverdienenden, der Studierten und Professoren. Was haben Sie bei Ihrer Tour erfahren?

Finckh-Krämer: Die Besserverdienenden sind nur die eine Seite des Bezirks. Wenn man an Lankwitz denkt, an Zehlendorf Süd oder Lichterfelde Süd, dann haben wir auch soziale Brennpunkte. Dann haben wir Schulen, in denen mehr als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler von der Zuzahlung für Lernmittel befreit ist, das heißt, dass diese Familien sehr wenig Geld haben. Da haben wir Wohnblocks, in denen Menschen mit Migrationshintergrund Unterstützung brauchen, um sich in unserer Gesellschaft, im Umgang mit unseren Behörden zurecht zu finden. Wir haben an vielen Stellen Gewalt. Wir haben die Situation derer, die pflegebedürftig oder behindert sind. Das trifft auf jeden Bezirk zu. Wenn ich schaue, zu welchen Kandidatenpodien ich Einladungen bekommen habe, dann war das unter anderem zu den Themen Inklusion und Pflege. Und es gibt ein Podium, da geht es darum, wie wir die Wahl und die Themen, um die es in der Wahl geht, Menschen mit geistiger Behinderung nahe bringen.

SN: Es ist eines, hinzufahren, sich das anzuschauen und mit den Menschen zu reden. Was können Sie denn tun, wenn Sie im Bundestag sind?

Finckh-Krämer: Im Augenblick sammele ich Informationen. Zum Beispiel beim Thema Pflege spielen die bundesgesetzlichen Regelungen eine ganz große Rolle. Das haben alle Einrichtungen, bei denen ich war, gesagt. Da geht es um den Pflegebegiff, die Frage des Umgangs mit Demenzkranken, die Frage wie viel die Pflegekräfte dokumentieren müssen und wie viel Zeit sie tatsächlich für die Pflege haben. Dazu gehört auch die Abgrenzung zwischen der medizinischen Pflege und der normalen Versorgung, die auch durch Angehörige geleistet werden könnte, aber nicht immer geleistet werden kann, weil die Angehörigen nicht da sind oder zeitlich dazu nicht in der Lage sind. Da gibt es ganz viel, was bundesgesetzlich geregelt wird. Die Sozialgesetzbücher sind Bundesrecht.

Auch das Thema Integration, die Frage, wie viele Hilfen zur Integration bekommen Menschen, die hier ankommen oder hier schon lange leben und nicht richtig Deutsch sprechen, die unsicher sind im Umgang mit Behörden. Auch das ist eine Bundeszuständigkeit. Die Verkehrspolitik, die Frage, was aus der S-Bahn wird, ist Bundeszuständigkeit. Es gibt viel, was man in die Bundespolitik mitnehmen kann. Wir haben es deshalb so organisiert, dass immer auch jemand aus der Bezirksverordnetenversammlung mitgeht zu diesen Einrichtungen. Gemeinsam überlegen wir dann, was sind bezirkliche Anliegen, was sind landespolitische Anliegen, was sind bundespolitische Anliegen und geben diese dann an die jeweiligen Fachpolitiker weiter.

SN: Unser Stichwort war ja Gerechtigkeit. Sie sind Tochter eines Pfarrers, Sie haben studiert, arbeiten im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Wo ist Ihnen in Ihrem Leben Ungerechtigkeit widerfahren?

Finckh-Krämer: Wo ich das erste Mal das Gefühl hatte, dass ich strukturell benachteiligt bin, war in der ersten Klasse (lacht). Dort habe ich gelernt, dass es Dinge gibt, die die Jungen dürfen und die Mädchen nicht. Seitdem kämpfe ich darum, dass ich alles darf, was auch Jungs und Männer dürfen. Jedenfalls dort, wo ich das Gefühl habe, dass es etwas ist, was ich mir wünsche. Ich habe nie darum gekämpft, ein Gewehr in die Hand nehmen zu dürfen. Ich habe einen gewissen Dickkopf. Ich habe viel und intensiv gefragt, „Warum darf ich das nicht?“. Ich habe mich mit der Begründung „weil Du ein Mädchen bist“ nicht zufrieden gegeben. Und dann durfte ich schließlich auch, was andere Mädchen nicht durften.

SN: Zur sozialen Gerechtigkeit gehört auch das Thema bezahlbare Mieten und sozialer Wohnungsbau. Haben Sie das Gefühl, dass da in Steglitz-Zehlendorf noch Nachholbedarf besteht?

Finckh-Krämer: Ich bin keine Wohnungsbauexpertin. Aber wenn ich mir als zur Miete Wohnende den Mietspiegel anschaue, dann sind wir, obwohl wir ein wohlhabender Bezirk sind – vom Einkommen her der wohlhabendste –, nicht der teuerste im Mietspiegel. Insofern hat da jemand gut Arbeit geleistet. Es ist aber auch klar, dass es bei Menschen, die arbeitslos sind und Hartz IV bekommen, Härten gibt. Bei den Gesprächen, die wir mit den beiden Kirchenkreisen geführt haben, war das ein Thema, das uns die Superintendenten mitgegeben haben, dass wir bitte darauf achten sollen, dass Bewohnerinnen und Bewohner des Bezirks, wenn sie arbeitslos werden, den Bezirk nicht verlassen müssen.

SN: Ihr drittes Thema ist Erhalt natürlicher Lebensgrundlagen. Das kollidiert aber manchmal mit dem Wohnungsbau. Zum Beispiel auf Parks Range. Wie stehen Sie zu einer Bebauung?

Finckh-Krämer: Wir müssen aufpassen, was da gebaut wird. Wir laufen in Berlin sehenden Auges in ein Überangebot an teurem Wohnraum hinein, bei weiterbestehendem Mangel an preiswertem Wohnraum. Das dass Kerngebiet von Parks Range als Erholungsfläche erhalten wird, das ist Konsens aller Parteien im Bezirk. Dann ist eben die Frage, wie kann man am Rand so bauen, dass es sich einerseits für den, der das Gebiet erworben hat, rechnet, anderseits auch preiswerte Wohnungen dabei rauskommen. Das ist die große Herausforderung. Für mich ist immer der beste Weg, alle Beteiligten an einen runden Tisch zu holen und zu überlegen, was kann man machen, dass es für alle eine gute Lösung ist.

SN: Sie sind bei Abgeordnetenwatch, haben auch die Selbstverpflichtung zur Transparenz unterschrieben und sind dafür, offenzulegen, welche Nebeneinkünfte ein Abgeordneter hat. Welche Nebeneinkünfte müssten Sie denn angeben?

Finckh-Krämer: Ich müsste zur Zeit als Nebeneinkommen die Übungsleiterentschädigung angeben, die ich beim Aikido bekomme. Das ist aber ein sehr überschaubarer Betrag, dreistellig im Jahr. Was ich gegebenenfalls auch offenlegen würde, ist, was ich an Kapitalerträgen erziele. Ich muss mich, wenn ich den Bundestag komme, beim Bundespresseamt beurlauben lassen; und ich habe nicht vor, weitere Nebentätigkeiten aufzunehmen. Ich habe in der Vergangenheit gelegentlich ein paar Vortragshonorare bekommen. Das war dann auf das Jahr gerechnet maximal ein niedriger vierstelliger Betrag.

SN: Die SPD hat in den Umfragen bundesweit derzeit keine guten Werte, auch in Berlin sinkt die Sympathie, und Steglitz-Zehlendorf gilt als CDU-Hochburg. Sie sind studierte Mathematikerin, wie schätzen Sie denn die Wahrscheinlichkeit ein, dass Sie das Direktmandat gewinnen?

Finckh-Krämer: (lacht) Das ist etwas, das ich momentan eher nicht in der Zeitung lesen will, weil es mit einem so großen Risiko behaftet ist. Ich sage es mal andersherum: Ich habe, als ich aufgestellt worden bin, in meinem Umfeld von „Mensch, Du bist ’ne tolle Kandidatin. Mit Dir holen wir den Wahlkreis zurück“ bis „Es ist klar, dass Du keine Chance hast“ alles gehört. Und meine eigene Einschätzung liegt irgendwo in der Mitte.

Jetzt mal ernsthaft: Ich habe den Eindruck – wenn ich das mit 2009 vergleiche, dass die Umfragen die Realität dieses Mal nicht so gut widerspiegeln, wie sie es rückblickend 2009 getan haben. Das könnte damit zusammenhängen, dass die Gruppe derer, die mit den herkömmlichen Umfragen per Festnetztelefon gar nicht erreicht wird, größer geworden ist. Wer nur ein Handy hat, und dazu gehören viele Jüngere, kommt nie in eine solche Stichprobe rein. Es kann aber auch damit zusammenhängen, dass falsche Annahmen gemacht werden über die 40 Prozent, die sagen, dass sie noch unentschlossen sind. Die Leute sind eigentlich noch voll in der Sommerpause, ich habe schon x-mal erklärt, wann Bundestagswahl ist. Das, was seit knapp einem Jahr mein Leben bestimmt, dieser Wahltermin am 22. September, ist für viele Menschen noch etwas ganz Vages. Ich würde mich nicht wundern, wenn sich in den nächsten Wochen die Umfragen drastisch ändern, oder wenn sich dann am Wahltag herausstellen würde, dass dieses Mal die Umfragen völlig falsch gelegen haben. Ich habe zudem eine zweite Chance über die Liste. Ich habe Listenplatz sieben, das ist nicht ganz ausgeschlossen.

 (go)