Seit August ist der Regionale Soziale Dienst der Region B nicht erreichbar – Personalmangel im Jugendamt Steglitz-Zehlendorf ist der Grund. Mal ist von 16 unbesetzten Stellen die Rede, mal von 44 und sogar von mehr als 60. Um zu klären, wie dramatisch die Personalsituation im Jugendamt nun wirklich ist und welche Folgen das hat, sprach SN-Redakteurin Simone Gogol mit dem stellvertretenden Jugendamtsleiter Oliver Gulitz.

Herr Gulitz, wie viele Stellen fehlen denn nun im Jugendamt?

Gulitz: Wir hatten zum Jahreswechsel 44 unbesetzte Stellen. Durch viele Aktionen und Auswahlverfahren haben wir 26 Menschen finden können, die für unser Jugendamt tätig werden. Das heißt aber nicht, dass die alle schon da sind. Sie werden ab Februar sukzessive bei uns anfangen. Bis Mai wird sich das hinziehen, je nachdem, wann sie von ihren jetzigen Arbeitgebern freigegeben werden. Sie werden dann auch noch ein wenig Einarbeitung benötigen. Bei den anderen Stellen sind wir mit Hochdruck dabei, sie zu besetzen.

Wie lange dauert ein Besetzungsverfahren?

Gulitz: Von der Ausschreibung bis zur Besetzung sind drei bis vier Monate die Regel. Es müssen verschiedene Partner, wie die Personalvertretung und die Personalwirtschaft, beteiligt, und es müssen bestimmte Fristen gewahrt werden. Wenn wir jemanden mit Zeitvertrag einstellen, kann das sehr viel schneller gehen, dann können wir das auch innerhalb eines Monats schaffen.

Bei den 44 Stellen handelt es sich dabei um befristete oder unbefristete Verträge?

Gulitz: Es sind hauptsächlich unbefristete Stellen.

Wo fehlt das Personal am meisten?

Gulitz: Vor allem im Regionalen Sozialen Dienst, genauso viel ist es mittlerweile aber auch im Fachbereich minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Das liegt zum einen daran, dass die Amtsvormundschaft für diesen Personenkreis berlinweit bei unserem Jugendamt liegt und zum anderen, dass die Flüchtlingszahlen in diesem Personenkreis von etwa 400 im Jahre 2014 auf 4.000 2015 angestiegen sind.

Wenn Sie die 44 neuen Mitarbeiter eingestellt haben, ist dann ausreichend Personal im Jugendamt vorhanden oder wird mehr gebraucht?

Gulitz: Doris Lehmann, die Jugendamtsleitung, hat schon vor einem Jahr verkündet, dass das Personal insgesamt zu knapp bemessen ist, selbst wenn alle Stellen besetzt sind. Das ist auch die Meinung aller Jugendamtsleitungen hier in dieser Stadt. Es gab verschiedene Initiativen der Jugendamtsleitungen und der Senatsjugendverwaltung, daran etwas zu ändern. Das ist im Programm „wachsende Stadt“ des Berliner Senats leider nur in einem sehr geringen Maße berücksichtigt worden. Es gibt strukturell eine zu knappe Versorgung mit Personal im Jugendamt, und wenn dann noch Ausfälle, Krankheiten und unbesetzte Stellen dazu kommen, dann ist das eine ganz schwierige Situation.

Fehlendes Personal hat ja Folgen, wie sich beim seit August geschlossenen Regionalen Dienst der Region B zeigt. Es gibt Aussagen, dass das Jugendamt die Betreuung von Kinderschutzfällen an Kooperationspartner abgibt. Ist da was dran?

Gulitz: Nein, das stimmt so nicht. Lediglich die Beratung von Berufsgruppen, die mit Kindern zu tun haben, versuchen wir an Kooperationspartner zu delegieren. Dies hat aber fachliche Gründe. Zum Beispiel für Lehrer und Kinderärzte, aber auch Fußballtrainer hat der Gesetzgeber eine Beratung durch eine insofern erfahrene Fachkraft Kinderschutz zur Verfügung gestellt. Diese Beratung soll das jeweilige Jugendamt sicherstellen. Das heißt aber nicht, dass das Jugendamt diese Beratung selber machen soll. Sicherstellen heißt, sich Kooperationspartner zu suchen und zu schauen, wer kann im Bezirk welche Personengruppen gut beraten. Wenn bei der Beratung herauskommt, dass ein Kinderschutzfall vorliegt, soll jeder sich sofort an das Jugendamt wenden. Dass die Beratungen im Vorfeld von Kooperationspartnern vorgenommen werden sollen, hat gar nichts mit der personellen Situation zu tun, das hat etwas mit Fachlichkeit zu tun. Wenn wir die Beratung machen und gleichzeitig einen Wächterauftrag haben, dann wären gar nicht so frei in unserer Beratung.

Die Verantwortung für Kinderschutzfälle liegt also weiterhin beim Jugendamt. Kann dies auch personell abgedeckt werden?

Gulitz: Es ist unser größtes Anliegen, das auch ohne fachliche Einschränkungen weiter durchführen zu können. Deshalb haben wir überlegt, welche Bereiche man aufgrund der personellen Situation einschränken könnte, um den Kinderschutz davon auszuklammern.

Welches sind denn die Bereiche, in denen Einschränkungen vorgenommen wurden?

Gulitz: Es sind vor allem vier Bereiche. Da ist als erstes das Jobcenter, für das wir Stellungnahmen abgegeben haben für Familien, die von Obdachlosigkeit bedroht sind oder für Jugendliche, die aus bestimmten Gründen nicht mehr im elterlichen Haushalt leben können. Wir hatten auch eine Kooperation mit unserem Sozialamt, für das wir für von Obdachlosigkeit bedrohte Familien Wohnungen gesucht haben. Die haben wir ebenfalls vorläufig eingeschränkt. Der dritte Kooperationspartner, mit dem wir zeitweilig nicht mehr so zusammenarbeiten können wie bisher, ist die Schule. Das schmerzt wirklich sehr, weil wir schon seit einem Jahrzehnt ein tolles Konzept haben. Wir gehen bei Schulhilfekonferenzen frühzeitig mit den Schulen in Kontakt, wenn es um besondere Fördersituationen von einzelnen Schülern geht. Diese Teilnahme an den Konferenzen mussten wir jetzt erst einmal für mehrere Monate aussetzen. Das Vierte ist die Zusammenarbeit mit den Familiengerichten. Bei beschleunigten Familienverfahren waren wir gehalten, bei den Terminen dabei zu sein, um im Vorfeld schnell eine gute Lösung zu finden. Diese Terminübernahme können wir nicht regelmäßig sicherstellen, sondern nur noch in Ausnahmefällen. Dafür stellen wir aber weiterhin schnell den Kontakt zu den Erziehungs- und Familienberatungsstellen sicher. Die Einschränkungen sollen längstens bis Ende Juni dauern.

Wodurch wurde der personelle Notstand ausgelöst?

Gulitz: Es gab aufgrund der schwierigen Haushaltslage im vergangenen Jahr eine Stellenbesetzungssperre.

Aber 44 Stellen scheint mir eine sehr hohe Zahl zu sein. Gibt es im Jugendamt eine große Personalfluktuation?

Gulitz: Es gibt allgemein im öffentlichen Dienst eine große Fluktuation. Das war auch schon lange prognostiziert. Aufgrund des demografischen Wandels gab es einfach sehr viele ältere Mitarbeiter, die im vergangenen Jahr ausgeschieden sind. Dazu kommt, dass aufgrund der Stellensituation für Erzieher, Sozialarbeiter, Lehrer und Pädagogen in dieser Stadt jeder sich ein Stück weit jetzt die Stellen aussuchen kann. Wir haben als Amt derzeit einfach eine große Konkurrenz. Es geht auch anderen Jugendämtern so, dass junge Kollegen anfangen, ein, zwei Jahre dabei sind, und wenn sie eingearbeitet sind, dann schauen sie, was es denn sonst noch an Angeboten gibt.

Es gibt ja dieses Gerücht, dass Absolventen von der Fachhochschule ins Jugendamt kommen und dann hier „verbraten“ werden …

Gulitz: Ich will nicht sagen „verbraten“, aber der Druck im Jugendamt und gerade im Regionalen Sozialen Dienst mit der täglichen Kinderschutzthematik, der ist schon sehr hoch. Was aber nicht heißt, dass man bei anderen Arbeitgebern nicht auch einen stressigen Job hat.

Wie sieht es aus im Bereich Kinder- und Elterngeld? Man hört immer wieder von langen Bearbeitungszeiten. Spielt dort der Personalmangel auch eine Rolle?

Gulitz: Wir sind 2014 durch den demografischen Wandel in ein ziemliches Loch gefallen. Es hatten mehrere Mitarbeiter aus Altersgründen aufgehört, die Stellen konnten aus finanziellen Gründen nicht sofort wieder besetzt werden. Damals hatten wir sehr lange Bearbeitungszeiten. Seit letztem Jahr Ostern aber haben wir das sehr gut wieder im Griff, alle Stellen sind besetzt. Es ist ein superfittes, junges Team, die Bearbeitungszeit liegt je nach Fall und Bearbeiter zwischen zwei Wochen und zweieinhalb Monaten. Wir haben im vergangenen Jahr zudem das Familienbüro eingerichtet, in dem Anträge abgegeben werden können. Wir haben dort drei Sprechzeiten in der Woche eingerichtet, die sehr gut besucht sind. Die Rückmeldungen der Eltern sind positiv. Es ist nicht alles schwieriger geworden.

Es gab auch einen Umbau des Jugendamtes. War das auch eine Folge des Mangels?

Gulitz: Ja. Zum einen gab es eine Zentralisierung bei den Vormündern. Aufgrund des Stellenabbaus hätte es in den einzelnen Regionen zu wenige Mitarbeiter gegeben, um zum Beispiel im Krankheitsfall eine Vertretung zu organisieren. Zum anderen wurden die Regionen von vier auf drei reduziert. Dadurch sind schlagkräftigere Teams entstanden. Außerdem sparen wir so auch Leitungskräfte ein, die dann wieder an der Basis eingesetzt werden können.

Wann denken Sie, werden alle offenen Stellen besetzt sein.

Gulitz: Das ist schwer zu sagen. Wenn es in dem Tempo weitergeht wie bisher, dann müsste es Ende März so weit sein. Aber wie bereits erwähnt, ist das Angebot an Arbeitskräften gering. Es laufen auch noch Ausschreibungen.

Vielen Dank für das Gespräch.