Das Privat-Hospital an der Königsberger Straße bietet derzeit 130 psychisch erkrankten Bewohnern ein Zuhause. Foto: Gogol

„Es ist eine enorme Belastung für uns alle“, sagt Marianne Raspe und zieht noch einmal an ihrer Zigarette. Außen scheint sie ganz ruhig zu sein, doch der Druck, der auf der Inhaberin und Leiterin des Privat-Hospitals für psychisch Erkrankte lastet, ist hoch. Denn mit einem Bein steht sie auf der Straße – und mit ihr 130 psychisch schwer erkrankte Patienten sowie 85 Mitarbeiter – Ärzte, Pflegepersonal, Therapeuten. Bis zum 30. September 2013 muss sie das Haus an der Königsberger Straße 36 a in Lichterfelde verlassen. Ihr droht die Räumung durch ihren Vermieter, die Graf Schwerin Forschungs-Gesellschaft mbH. Was für eine Familie schon schwer ist, ist für eine Einrichtung wie die von Marianne Raspe fast unmöglich zu schultern. „Wer hat schon Platz für 130 Leute?“ fragt sie.

Grund für die Räumungsklage: Mietrückstände. Im Jahr 2011 war Raspe mit zwei Monatsmieten in Verzug. „Ich bin auf öffentliche Gelder angewiesen“, erklärt sie. Es habe Verzögerungen bei den Zahlungen der Bezirksämter gegeben. Doch innerhalb der genannten Frist habe sie die Miete – rund 157.000 Euro – nachgezahlt. Gekündigt wurde ihr trotzdem. Fristlos. „Anzumerken ist, dass der fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses in den vergangenen mehr als zehn Jahren gut ein Dutzend Rechtsstreitigkeiten, vornehmlich um die Zahlung der Miete, vorausgegangen sind, die Frau Raspe sämtlichst verloren hat“, antwortet der Anwalt der Graf Schwerin Forschungs-Gesellschaft auf Anfrage.

Auch gegen die fristlose Kündigung 2011 klagte Raspe, sie gewann in der ersten Instanz, ihr Vermieter in der zweiten. Gegen die Versagung der Revision gegen dieses Urteil des Kammergerichts vom 27. Dezember 2012 hat Raspe vor dem Bundesgerichtshof eine Nichtzulassungsklage eingereicht, die in der vergangenen Woche zugelassen wurde.

1996 ist das Privat-Hospital in das ehemalige Krankenhaus an der Königsberger Straße eingezogen. Das Hospital aber gibt es schon seit 1954. Bis 1996 war es in vier Häusern Am Sandwerder untergebracht, doch aufgrund neuer rechtlicher Vorschriften in der Heimmindestbauverordnung musste es umziehen.

Zuhause für 130 psychisch Schwersterkrankte

130 Bewohner mit schwersten psychischen Erkrankungen werden derzeit in Lichterfelde betreut. Sie leiden an schweren, chronischen Psychosen und Verhaltensauffälligkeiten, erklärt Dr. Richard Kettler, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, Psychotherapie und Psychoanalyse. Aber auch Demenzkranke mit gravierenden Verhaltensstörungen, ehemalige Suchtkranke, die schwere Schädigungen davon getragen haben, sowie geistig behinderte Menschen werden in der Einrichtung versorgt. Die Selbsterhaltungskräfte seien bei ihnen nur schwach ausgeprägt, so Dr. Kettler, der die Einrichtung seit 32 Jahren kennt und betreut.

Der Mietvertrag für das ehemalige Krankenhaus sollte ursprünglich Ende 2014 auslaufen. Und so gibt es auch schon ein neues Domizil für das Privat-Hospital. Am Heckeshorn zieht man in das Alten- und Pflegeheim, das der Arbeiter-Samariter-Bund 2007 verlassen hat. Doch der Mietvertrag beginnt erst am 1. Januar 2015. Bis dahin muss das Haus entkernt und saniert werden, so dass es den gesetzlichen Bestimmungen entspricht.

Doch was soll in den 15 Monaten bis dahin mit dem Privat-Hospital und den Patienten passieren?

„Ein Umzug bedeutet Stress“

Sie habe sich um ein Gebäude bemüht, das als Zwischenstation vor dem Umzug nach Heckeshorn dienen könnte, betont Raspe. Sie habe mit dem Bezirksamt gesprochen, ebenso mit dem Liegenschaftsfonds und Maklern, aber ein Gebäude, das sowohl von der Größe – man bräuchte mindestens 4.500 Quadratmeter Nutzfläche – als auch von der Ausstattung passt, gebe es einfach nicht in Steglitz-Zehlendorf. Zudem würde ein Umzug negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Patienten haben, betont Dr. Kettler. Sie bräuchten Kontinuität in der pflegerischen Versorgung und die Beständigkeit ihrer gewohnten Umgebung. „Die Bewohner haben in der Pflegeeinrichtung ihren Wohnsitz.“ Ein Umzug bedeute Stress, weil sie die gewohnte Umgebung gegen ihren Willen verlassen müssten. „Die Anpassungsfähigkeit der Patienten ist schwer beeinträchtigt“, erläutert Dr. Kettler. Es würden Krisensituationen entstehen, die nicht abzufangen seien, so der Psychiater. Und auch Dr. Barbara Wittke-Rose, die Heimfürsprecherin und Bewohnervertreterin, schreibt in ihrer Stellungnahme an das Gericht, dass als Reaktion auf eine Interimslösung „anhaltende Niedergeschlagenheit, Rückzug, Passivität und eine gravierende Verstärkung des bereits vorhandenen Krankheitsbilds“ die Folgen sein könnten. „Ein nicht kalkulierbarer Wechsel von jetzt stabilen, teilweise symptomfreien Abschnitten zu einer instabile Krisensituation wäre zu erwarten“, so Dr. Wittke-Rose weiter.

Das dies die Folgen eines Umzugs sein sollen, will der Anwalt des Vermieters nicht gelten lassen. „Die Behauptung, ein Umzug der Bewohner würde erhebliche Auswirkungen auf den gesundheitlichen Zustand der Patienten haben, ist offensichtlich vorgeschoben. Wenn bereits ein Umzug als solcher erhebliche Auswirkungen auf den gesundheitlichen Zustand der Patienten haben sollte, so würde dies auch bei dem von Frau Raspe geplanten Umzug im Januar 2015 der Fall sein. Das Problem würde also nur zeitlich hinausgeschoben.“ Raspe und Dr. Kettler weisen allerdings darauf hin, dass bei einer Räumung die Patienten gleich zweimal innerhalb von 15 Monaten umziehen müssten, was den Stress verdoppele.

Alternative: Bewohner verteilen

Der Vorschlag der Graf von Schwerin Forschungs-Gesellschaft lautet Aufteilung der Bewohner. „Es gibt, wie auf der Webseite der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales nachzulesen ist, in Berlin hunderte von Pflegeeinrichtungen, von denen eine hinreichende Zahl in der Lage sein dürfte, die Patienten genauso gut zu betreuen, wie Frau Raspe. Frau Raspe kann nicht für sich in Anspruch nehmen, als einzige für die ordnungsgemäße und angemessene Pflege und Versorgung der derzeit im Privathospital untergebrachten Patienten in der Lage zu sein“.

Dem widerspricht Dr. Kettler. „Es gibt keine alternative Pflegeeinrichtung, in der eine angemessene Betreuung möglich wäre“, betont er. In „normalen“ Pflegeheimen sei man auf Patienten mit solch ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten nicht eingestellt. „Diese Heime würden mit der Betreuung zum Schaden der Bewohner scheitern“, betont er. In Raspes Privat-Hospital gebe es ein Rundum-Programm für die Bewohner, „das hat keine andere Pflegeeinrichtung“. So verweist er unter anderem darauf, dass Raspe neun Therapeuten beschäftige – andere Pflegeheime hätten oft nicht mal einen eigenen. Doch das ist nur ein Aspekt. Durch eine Aufteilung der Patienten würden bestehende Beziehungen zwischen den Patienten und dem Pflegepersonal sowie zur Inhaberin abgebrochen. Dies würde eine schwere psychische Belastung für die Patienten bedeuten, die plötzlich ihre Bezugspersonen verlieren würden. „Wir sind wie eine Familie“, betont Raspe. Der Anwalt der Graf Schwerin Forschungs-Gesellschaft hingegen betont, dass Raspe mit der Pflegeeinrichtung vor allem wirtschaftliche Interessen verfolge.

„Die menschliche Härte der Graf Schwerin Forschungs-Gesellschaft und ihres Bevollmächtigten Hans-Jörg-Sturm hat uns alle entsetzt“, sagt Dr. Kettler zur fristlosen Kündigung. Zumal die Forschungs-Gesellschaft selbst Seniorenpflege- und -wohnheime betreibt, von denen einige sogar Mitglied der Diakonie sind. „Wo bleibt die Humanität?“, fragt Raspe.

Unterstützung von den Bezirksverordneten

Unterstützung für die Inhaberin des Privat-Hospitals kommt vom Bezirk Steglitz-Zehlendorf. Die Bezirksverordneten beschlossen jüngst eine Resolution, in der sie beide Parteien auffordern, eine für die Patienten „tragfähige Zwischenlösung“ zu finden. Zudem appellieren sie an den Vermieter „jenseits seiner erstrittenen Rechte einen Akt der Barmherzigkeit zu üben und die Einrichtung nicht vor Januar 2015 zwangsweise zu räumen“.

Doch der Vermieter sieht keine Möglichkeit der Einigung, teilt der Anwalt mit, da „mangelnde(s) Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Frau Raspe“ bestehe. Die Graf Schwerin Forschungs-Gesellschaft vertraue nicht darauf, dass Raspe ihren Mietzahlungen pünktlich nachkommen werde, zudem habe sie Zweifel daran, dass die neuen Räumlichkeiten rechtzeitig fertiggestellt sein werden, so dass ein Umzug im Dezember 2014 nicht gesichert sei.

Doch genau auf den freut sich Raspe derzeit besonders. Die neue Umgebung am Wannsee sei sehr idyllisch, zudem würden die Bewohner in Ein- und Zweibettzimmern untergebracht. „Das ist eine neue Wohnqualität.“

Was allerdings in den fraglichen 15 Monaten geschehen soll, da ist sie ratlos und hofft auf ein Urteil des BGH zu ihren Gunsten. Wie eine Räumung am 30. September aussehen soll, dass kann und das will sie sich derzeit nicht vorstellen. „Mein Sternzeichen ist Stier“, sagt Raspe, „ich kämpfe“.

 (go)