Keine Gitter, sondern Fallschutzstangen zäumen die Fenster der JVA Robert-von-Ostertag-Straße. Foto: Michaela Bavandi

In den Justizanstalten des Offenen Vollzuges (JVA) Berlin werden die Insaßen auf das Leben nach dem Freiheitsentzug vorbereitet. Die Stadtrand-Nachrichten besichtigten die JVA Robert-von-Ostertag-Straße in Zehlendorf, um einen Eindruck vom Leben hinter Gittern gewinnen zu können.

Die Neugierde der Bevölkerung an der Vorstellung von Freiheitsentzug, vom Leben in Gefangenschaft, ist groß, nicht geringer das Interesse der Medien daran. Der mediale Andrang zur Besichtigung der JVA Landsberg, wo der ehemalige FC-Bayern-Chef Uli Hoeneß bald Quartier beziehen wird, war enorm. Diejenigen hinter Gittern wollen eigentlich so schnell wie möglich wieder zurück in die Freiheit. In den Justizvollzugsanstalten des offenen Vollzugs werden die Gefangenen auf diesen Zeitpunkt vorbereitet.

Wer kommt in die JVA Robert-von-Ostertag-Straße?

Häftlinge, die in eine dieser vier Bereiche des offenen Männervollzugs in Berlin überstellt werden, befinden sich grundsätzlich nach einer Verurteilung auf freiem Fuß oder stellen sich selbst zum Strafantritt. Oder sie werden, wie bei einer Überstellung in die JVA Robert-von-Ostertag-Straße, besser bekannt als JVA Düppel, aus dem geschlossenen in den offenen Vollzug verlegt. Auftrag der Bediensteten im allgemeinen Vollzugsdienst lautet, das Leben der Gefangenen den äußeren Gegebenheiten so gut wie möglich anzupassen, um jene bestmöglich für den Wiedereinstieg vorzubereiten, sie zu resozialisieren. Bevor Häftlinge nach Düppel verlegt werden, muss sichergestellt sein, dass weder Fluchtgefahr noch Missbrauch bestehen, eine persönliche „Vereinbarungsfähigkeit“ vorliegt, mit der Hausordnung, Vollzugslockerungen sowie wenigen Sicherheitsvorkehrungen umgehen zu können.

Balanceakt zwischen Freiheit und Vollzug

Es gilt, „den Aufenthalt im offenen Vollzug nicht unendlich auszudehnen“, so die Teilanstaltsleiterin Robert-von-Ostertag-Straße. Der Spagat zwischen Freiheit und Vollzug sei ein großer Balanceakt. Die Bewältigung erfordere eine hohe Anpassungsleistung und Frustrationstoleranz, gerade weil es keine zeitliche Begrenzung für den offenen Vollzug in Berlin gibt. Dieser Balanceakt zwischen drinnen und draußen ist die eigentliche Herausforderung. Die Begleitung, auch bei längerer Verweildauer, durch die verschiedenen hier tätigen Berufsgruppen – allgemeiner Vollzugsdienst, SozialarbeiterInnen, PsychologInnen und JuristInnen – ist enorm wichtig und werde sehr ernst genommen. Handys wandern am Empfang in Schließfächer, telefoniert wird nur an Telefon-Apparaten, und der Vorhang für den Internetauftritt fällt hinter den Mauern. Ein Gläschen in Ehren? Durch Stichproben, Alkoholtests, Urin- und Haftraum-Kontrollen wird das absolute Alkoholverbot überprüft. Für den Kontakt zu Familie und Freunden ist ein großzügiger Besucherraum mit Kinderspielecke vorgesehen.

Zug um Zug mehr Freiheit durch Vollzugslockerungen im offenen Vollzug

Der Begriff des „Übergangsmanagements“ bezieht sich auf die Situation der Gefangenen zwischen „drinnen und draußen“, die Vorbereitung auf die Entlassung mit Vollzugslockerungen als Maßnahme zur Resozialisierung steht hierbei im Mittelpunkt. In der JVA Robert-von-Ostertag-Straße können bis zu 250 der insgesamt 1.000 Insaßen des offenen Vollzugs in Berlin mit unterschiedlichen Delikten von Wildfischerei und Steuerhinterziehung bis Diebstahl, Raub und Körperverletzung untergebracht werden. Die Anstalt sei „fast immer voll belegt, ausgelastet“.

Blau-weiß-karierte Sträflingsanzüge sind nicht zu sichten, nur die Bettüberzüge in den Einzelzimmern zieren diese Musterung. 50 Prozent der Düppel-Häftlinge zählen zu den sogenannten Außenkommandos. Heißt, sie befinden sich in einem regulären, sozialversicherungsrechtlichen und kontrollierbaren Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnis beispielsweise in Behörden oder Ämtern. „Es ist Training und Chance zugleich für sie, jeden Morgen aufzustehen, um einer geregelten Arbeit nachgehen zu können“, so die Teilanstaltsleiterin. In der Regel gehen sie von 7 bis 15 Uhr einer kontrollierbaren Beschäftigung nach.

Zu den Vollzugslockerungen im offenen Vollzug zählen neben dem Freigang, die Genehmigung eines Arbeitsverhältnisses außerhalb der Anstalt, stundenweise Ausgänge, Besuche der Suchtberatung, Erweiterung des Ausgangs, um Familienbesuche zu ermöglichen. „Die beste Entlassungsvorbereitung ist, den Gefangenen schrittweise an den Wiedereinstieg heranzuführen“, sagt ein Vollzugsbeamter.

Auf den Spuren von Süleyman Koc

„Sülo“ alias Süleyman Koc, derzeit der prominenteste Düppel-Abgänger, hat es geschafft und nach seiner frühzeitigen Haftentlassung Anfang dieses Jahres beim SC Paderborn 07 seine zweite Chance als Torjäger erhalten. Fußball im Gefängnis, im Abseits der Gefangenschaft, für Häftlinge ein großes Stück Spiel-, Entscheidungs- und Bewegungsfreiheit. Täglich ab 15 Uhr ist es gestattet, sich am Sportplatzbereich des Hofgeländes mit Fußballfeld, Grillstation oder Garten-Schach frei zu bewegen. Fußball steht an der Tagesordnung: Ein gemeinsames Spiel mit allseits bekannten Regeln im Abseits der noch nicht zurückgewonnenen Freiheit. „Es hat schon mal ein Fußballturnier aller vier Berliner JVA-Standorte gegeben“, erzählt ein Vollzugsbeamter.

Die neun Quadratmeter großen Einzelzimmer im dreigeschoßigen und u-förmigen Bau mit sechs Stationen für je 42 Gefangene sind zum Schutze der Privatsphäre mit Türknauf versehen. Fernseher dürfen von Beginn an in die Zelle eingebracht werden. Nachtruhe ist von 22 bis sechs Uhr. Gitterstäbe existieren nicht, lediglich Fallschutzstangen sind an den Fenstern zum Hof angebracht. Auf jeder Station befinden sich Gemeinschaftsräume und Sanitäreinrichtungen.

Blütenzauber im Gefängnis

Gefangene, die nicht zu den Außenkommandos gehören, arbeiten in den Werkstätten am Gelände, in der Haus- oder Außenreinigung, der Wäscheausgabe, sind für Sauberkeit im Fitnessraum zuständig oder gehen einer Ausbildung in der anstaltseigenen Gärtnerei mit Gewächshäusern und Freiflächen nach. Bis zu 25 Gefangene ziehen Kräuter, setzen Schnittblumen, Büsche oder Stauden. Gemüse-, Pflanzen- oder Erdbeerfelder werden bewirtschaftet, Obst und Gemüse direkt vor Ort von der Bevölkerung gekauft. Insaßen ohne Freigang steht täglich nach dem Arbeitsende aller anderen eine Freistunde im Innenhof oder Sportplatzbereich zu.

Gemeinschaftliche Aufgabe

Gerade bei Erstverbüßern kann es zu einem Zweidritteltermin zu einer frühzeitigen Entlassung und Bewährungsaufsicht kommen. Sozialpädagogische und psychologische Betreuung, Aufarbeitung der straftatverursachenden Defizite, Schuldenregulierung, interne und externe Arbeit, Aus- und Weiterbildung, Anti-Aggressions-Training oder soziales Kompetenztraining zählen zu den Behandlungs- und Betreuungsmaßnahmen zur Resozialisierung im offenen Vollzug. Dennoch: Resozialisierung darf nicht nur Aufgabe des Vollzugs sein, sondern stellt eine gemeinschaftliche Aufgabe dar. Gefangene wollen und sollen in ihr bisheriges Leben als Lebenspartner, Freunde, Arbeits- oder Sportkollegen zurückkehren. Durch die Zusammenarbeit von Institutionen und Gesellschaft sollen sie auf ihr Leben in Freiheit vorbereitet sein.

(MiBa)