Der Berliner Südwesten ist ein Hotspot der Neuen Rechten

Der Berliner Südwesten ist ein Hotspot der Neuen Rechten

Strategische Vernetzung der Neuen Rechten, Bild: Berliner Register

 

Wenn Rechtsextreme sich in Potsdam treffen, ist die Wahl des Ortes kein Zufall. Vielmehr liegt es daran, dass die Netzwerke im Berliner Südwesten besonders stark sind. Ein Gastbeitrag der Berliner Register. 

Die Berliner Register beobachten seit Jahren, dass Akteure der extremen Rechten sich mit bürgerlich-konservativen Kreisen vernetzen. Ziel dieser Kooperation ist es, demokratie- und menschenfeindliches Denken in öffentlichen Debatten zu normalisieren und die Demokratie stückweise abzubauen. In den Bezirken Steglitz-Zehlendorf und Charlottenburg-Wilmersdorf sind im Berliner Vergleich die meisten Aktivitäten und Einrichtungen der sogenannten Neuen Rechten zu finden. Neben Veranstaltungen dieses Spektrums sind Begriffe wie „Remigration” im öffentlichen Straßenbild zu finden. So tauchte beispielsweise Mitte November unter der S-Bahn-Brücke Lankwitz ein großer Schriftzug auf: “Remigration. No Invasion”.

Neurechte (Online-)Diskurse

Die Forderung nach der Herstellung eines „ethno-kulturell“ homogenen Deutschlands durch die zwangsweise Ausweisung aller als “nicht-deutsch” vorgestellten Menschen ist nicht neu, sondern seit jeher zentral für extrem rechte Ideologie. Sie spiegelt sich in Propaganda in Form von Aufklebern, Plakaten, Flyern und Schmierereien im öffentlichen Raum wider (z.B. „Ausländer raus”). Der Begriff „Remigration”, der in Kampagnen der extrem rechten Identitären Bewegung (IB) verwendet wird, bezieht sich in intellektuell-beschönigender Sprache auf das Gleiche: Die Deportation eines großen Teiles der deutschen Bevölkerung anhand rassistischer Kriterien. Aus unserer Dokumentation extrem rechter Aktivitäten in Berlin lässt sich erkennen, dass auch „Remigration” bereits seit Jahren genutzt wird. Der erste dokumentierte Vorfall stammt aus dem Jahr 2016, bei dem IB-Aktivisten im Görlitzer Park das Wort auf einen Weg schmierten. Auch wenn die Identitäre Bewegung schon seit Längerem nicht mehr mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen in Berlin in Erscheinung tritt, hat ihr Kampfbegriff an Relevanz zugenommen. Die Zahl der Vorfälle, in denen der Begriff vorkam, bewegte sich von 2016 bis 2022 im einstelligen Bereich, im Jahr 2023 war er bereits in 23 Vorfällen zu finden. So bezeichnete sich ein Abgeordneter aus dem Bezirk Marzahn-Hellersdorf im Januar 2023 selbst als „Sprecher für Remigration“. Er soll ebenfalls auf dem Anwesen am Lehnitzsee zu Gast gewesen sein und dort Videos gedreht haben.

Neurechte Netzwerke in Südwest-Berlin

Der eher bürgerliche und wohlhabende Südwesten Berlins scheint beschaulich, doch befinden sich hier einige „Hotspots“ der Neuen Rechten. In einer Zehlendorfer Villa residiert die Burschenschaft Gothia. Die Studentenverbindung gilt als Sammelbecken für Nationalkonservative und Rechtsradikale. Das „Gothenhaus“ dient als Veranstaltungsort, z.B. für regelmäßige Vorträge des wichtigsten Think Tanks der extremen Rechten, dem „Institut für Staatspolitik“ (IfS). Es bestehen personelle Vernetzungen und teilweise Überschneidungen von Burschenschaftlern der Gothia mit der Jungen Alternative und der Identitären Bewegung. Auf Parties treffen sie sich und tauschen sich aus. So feierten die beiden Gruppen im Mai 2017 zusammen auf dem Gelände ein Gartenfest, die Junge Alternative hielt im gleichen Jahr ihre Klausurtagung in den Räumlichkeiten ab. Laut SPIEGEL soll auch ein AfD-Bezirksverordneter aus Charlottenburg-Wilmersdorf Mitglied der Burschenschaft sein. Doch auch zu einzelnen Politikern der CDU sollen Verbindungen bestehen, so sei z.B. ein ehemaliger Berliner Senator Vorsitzender des Alumni-Vereins der Burschenschaft. Dieser soll, laut weiterer Enthüllungen nach der Correctiv-Recherche, im Juli 2023 zu einem Treffen in seine Privatwohnung geladen haben, bei dem neben diversen AfD-Abgeordneten auch extrem rechte Aktivisten, darunter Martin Sellner, zu Gast gewesen sein sollen. Auch in anderen Studentenverbindungen mit Sitz in den Villen des Bezirks sind AfD- und JA-Funktionäre organisiert.

Im Bezirk Steglitz-Zehlendorf befindet sich außerdem mit der „Staatsreparatur“ in Lichterfelde Ost das Büro eines Abgeordneten, der mittlerweile aus der AfD ausgeschlossen wurde. Auch hier finden verschiedene extrem rechte Akteure eine Bühne: Neben Referenten des Instituts für Staatspolitik, waren weitere Personen aus der extrem rechten Szene, insbesondere aus der Neuen Rechten zu Gast. Im Mai 2022 zum Beispiel las der Chefredakteur des extrem rechten Compact-Magazins Jürgen Elsässer in der „Staatsreparatur“ aus seinem Buch.

Brücke zu den Konservativen

Auch im benachbarten Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf ist die „Brückenschlag-Strategie“ zu finden. Wichtige Institutionen der Neuen Rechten haben hier ihren Sitz, wie die Redaktion der Wochenzeitung Junge Freiheit und die Bibliothek des Konservatismus (BdK). Letztere gilt als Ort der Vernetzung und Schulung, dem „Kampf um die Köpfe“, mit bundesweiter Strahlkraft. Bei den regelmäßigen Veranstaltungen in der BdK werden extrem rechte und diskriminierende Inhalte intellektualisiert und als konservativ dargestellt. Von Anfang an nahm die Normalisierung und Akademisierung migrationsfeindlicher und antimuslimisch-rassistischer Inhalte eine zentrale Rolle in der Ideologiebildung der BdK ein. Es werden Vortragende u.a. aus der WerteUnion und der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, aber auch der Identitären Bewegung eingeladen. Für Februar 2024 ist eine Veranstaltung in der BdK mit einem ehemaligen Mitglied des Kuratoriums der Stiftung angekündigt, welches bereits 2018 bei einer Lesung den meisten Geflüchteten das Recht auf Asyl absprach und ebenfalls an dem Treffen in Potsdam im Gästehaus am Lehnitzsee teilnahm. Einen Monat vor dem Potsdamer Vernetzungstreffen wurde sich zudem bei einer Podiumsdiskussion in der BdK, die öffentlich auf Youtube einsehbar ist, positiv auf einen gewaltbereiten Neonazi bezogen, der im November dann ebenfalls beim Treffen am Lehnitzsee auftauchte.

Auch andere Orte in Charlottenburg-Wilmersdorf dienen als Resonanzraum für extrem rechte Inhalte. Jährlich veranstaltet die neurechte Junge Freiheit in einer Eventlocation in Wilmersdorf ein Sommerfest. Bei diesem Großevent mit bis zu 1000 Teilnehmenden vernetzt sich die internationale und bundesweite Neue Rechte, darunter Personen aus dem „Flügel“ der AfD, der Desiderius-Erasmus-Stiftung, aus rechten Burschenschaften sowie aus der rechtspopulistischen Fraktion “Identität und Demokratie” im Europaparlament. Ein regelmäßiger Werbekunde der Jungen Freiheit ist wiederum die Burschenschaft Gothia. Im Juni fand in einem Wilmersdorfer Restaurant eine Lesung des bekannten IB-Aktivisten Martin Sellner statt, der ebenfalls an dem Treffen in Potsdam teilnahm. Er las dort aus seinem Buch, welches zahlreiche rassistische, völkische und andere extrem rechte Inhalte verbreitet. Auch bei der privat organisierten Lesung des CDU-Senators mit Burschenschafts-Verbindungen einen Monat darauf war er zu Gast.

Es geht um die Demokratie

Das Ziel der Neuen Rechten: systematische Delegitimierung freier Wahlen, Bekämpfung der öffentlich-rechtlichen Medien, Finanzierung von Propagandaprojekten. Nicht zuletzt haben wir selbst als Berliner Register erlebt, wie durch die öffentliche Diskreditierung in rechten Medien, einen wochenlangen Online-“Shitstorm“ mit Tausenden von Kommentaren in den sozialen Netzwerken und begleitet von parlamentarischen Anfragen durch die AfD, durch die zivilgesellschaftlichen, demokratischen Projekten die Legitimation und Förderung entzogen werden sollen. Ob durch investigative Recherchen oder das Monitoring rechter Aktivitäten und Veranstaltungen – die Strategien und Netzwerke der extremen Rechten müssen der Öffentlichkeit bekannt sein. Nur so kann man die Gefahr erkennen und auf verschiedenen Ebenen bekämpfen.

Weitere Lektüre: Broschüre „Machtergreifung beim Mettbrötchen. Raumnahme der Neuen Rechten in Westberlin“ https://www.berliner-register.de/documents/188/Broschure_chb_3.2_web.pdf 

Der Beitrag erschien zuerst in einer etwas ausführlicheren Fassung auf dem Portal des Berliner Registers. Das Projekt ist eine Monitoringstelle für rassistische, antisemitische oder rechtsextreme Vorfälle, die im Berliner Alltag passieren. Die Berliner Register sammeln die Meldungen, veröffentlichen sie als Einträge in einer Chronik im Internet und werten sie regelmäßig aus.
https://www.berliner-register.de/  

 

 

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