„Manche können sich einfach nicht vorstellen, was hier los ist“

„Manche können sich einfach nicht vorstellen, was hier los ist“

Foto: Daniela von Treuenfels

 

 

Die Berliner Register dokumentieren diskriminierende, rassistische und rechtsextreme Vorfälle, die im Alltag passieren: Beleidigungen im Bus, Verweigerung der Bedienung in einem Geschäft oder  rechtsextreme Sticker oder Flyer. Das Ziel: Die Ausprägungen des Hasses gegen vermeintlich Fremde, Obdachlose oder Menschen mit Behinderung sichtbar machen. Wir sprachen mit Tanja vom Register Steglitz-Zehlendorf. 

Stadtrand-Nachrichten: Du bist Tanja vom Register Steglitz-Zehlendorf, deinen Nachnamen nennen wir hier nicht. Weil es bereits ein paar unangenehme Situationen gab. Was kannst du darüber sagen? 

Tanja: Im vergangenen Jahr gab es einen Shitstorm gegen unser Projekt und die Arbeit der Berliner Register. Anlass waren ein Zeitungs- und mehrere Blogartikel. Wir sind als “Stasi 2.0” bezeichnet worden. Es gab auf so ziemlich allen Kanälen eine Welle von Hass, Beleidigungen und Falschmeldungen.
Ich persönlich bin noch nicht bedroht worden, aber mir ist bekannt, dass Menschen nach meinem Hintergrund und meiner Ausbildung recherchiert haben. Mit meinem vollen Namen wäre es leichter, auch meine Adresse herauszufinden. Hier in der Registerstelle gibt es immer mal wieder Anrufe oder auch E-Mails, in denen wir beschimpft werden. Ich hatte letztes Jahr eine Veranstaltung, und da saßen dann zum Beispiel Menschen, die nicht nur versucht haben, die Arbeit der Registerstelle zu hinterfragen, was ja grundsätzlich auch okay ist, sondern versucht haben, mehr über mich persönlich zu erfahren. In rechtsextremen Bubbles oder Chats zu landen, würde ein Verlust von Sicherheit bedeuten. Ich möchte mich und mein Umfeld schützen.  

Stadtrand-Nachrichten: Was macht das Register genau? Also womit zieht ihr Ärger auf euch? 

Tanja: Wir sind eine Internetchronik für diskriminierende und rechtsextreme Vorfälle. Und zwar in ganz Berlin. Uns gibt es nur in Berlin, es gibt in anderen Bundesländern aber ähnliche Meldestellen. Es gibt eine Koordinierung der Register und dann gibt es in jedem Bezirk Berlins eine Registerstelle. Wir sammeln extrem rechte Vorfälle. Das sind unterschiedliche Sachen wie Sticker, aber auch Beleidigungen, Angriffe und Veranstaltungen. Darüber hinaus sammeln wir auch alles, was mit der Ideologie der extremen Rechten zu tun hat. Also Antisemitismus, Feindlichkeit gegenüber der LGBTIQ Community, Feindlichkeit gegenüber obdachlosen Menschen, gegenüber behinderten Menschen. Wir führen eine Internetchronik, die für jeden zugänglich ist. Mit unseren Zahlen, die wir in regelmäßigen Abständen veröffentlichen, machen wir Rechtsextremismus, Alltagsrassismus und strukturelle Diskriminierung sichtbar.   

 

Foto: Daniela von Treuenfels

 

Stadtrand-Nachrichten: Welcher Art sind denn die Vorfälle, die an euch herangetragen werden?  

Tanja: Da gibt es eine große Bandbreite. Und wir bekommen nur einen Ausschnitt, wir gehen von einer hohen Dunkelziffer aus. Ich kann immer nur das abbilden, was mir Menschen mitteilen oder was Menschen beobachten oder was ich selbst recherchiere. Und das geht von Aufklebern, Flyern hin bis zu persönlichen Angriffen an Menschen. Was hauptsächlich gemeldet wird, sind die Sticker und Flyer oder Schmierereien. Wir fassen das zusammen unter dem Begriff Propaganda. Die richtet sich oft gegen Geflüchtete oder generell gegen Menschen aus Einwanderungsländern. 

Stadtrand-Nachrichten: Wie muss man sich persönliche Angriffe vorstellen? Was passiert dort, und wo geschehen solche Taten?  

Tanja: Sehr häufig finden Angriffe an Orten statt, an denen sehr viele Menschen zusammenkommen. Es gab im letzten Jahr zum Beispiel relativ viele Vorfälle in öffentlichen Verkehrsmitteln oder auch an S- und U-Bahnstationen hier im Bezirk, oder auch an Bushaltestellen. Dort werden Menschen beleidigt, angegriffen oder bespuckt. Manchmal werden Menschen in Geschäften nicht bedient, auch das wird uns als rassistischer Vorfall gemeldet. Generell erhalten wir von Hotspots wie den großen Einkaufsstraßen Schloßstraße oder Teltower Damm häufiger Meldungen. Hier gibt es nicht nur viele potentielle Opfer, sondern auch mehr Zeuginnen und Zeugen.  

Stadtrand-Nachrichten: Ihr seid gerade dabei, die Jahresstatistik auszuwerten. Was erzählen die Zahlen? 

Tanja: Die Tendenz ist, dass es auf jeden Fall mehr Vorfälle gibt als 2022. Wobei wir 2022 auch relativ wenige hatten im Vergleich zu den Vorjahren. Wir haben mittlerweile auch mehr regelmäßige Melderinnen und Melder. Und die Anzahl der Flyer und Sticker ist relativ stark gestiegen, die lag im  Jahr 2022 noch bei rund 90, jetzt liegen wir bei rund 115. Die Zahl der rassistischen Vorfälle ist um das Doppelte gestiegen.  

Stadtrand-Nachrichten: Die Register gibt es in ganz Berlin in jedem Bezirk. Kannst du die Struktur noch mal erklären? 

Tanja: Es gibt eine Koordinierung mit mehreren Personalstellen. Die haben einen Überblick einmal über die berlinweiten Vorfälle, und außerdem einen Überblick über die Einzelregister in jedem Bezirk. Wir werden alle gefördert vom Senat und über das Landesprogramm für Vielfalt und gegen Antisemitismus. Jede Registerstelle sitzt in ihrem Bezirk bei einem lokalen Träger, eines ist bei einem Verein angesiedelt, der aus einer Bürgerinitiative entstanden ist.  Das Register Steglitz-Zehlendorf ist angesiedelt beim Stadtteilzentrum Steglitz, hier habe ich mein Büro.
Die Register tauschen sich regelmäßig aus und machen zum Beispiel auch Veranstaltungen zusammen. Mit dem Register Charlottenburg-Wilmersdorf gibt es eine intensive Zusammenarbeit, weil die neurechten Gruppierungen im Berliner Westen sehr stark vernetzt sind. Dazu haben wir im Januar einen Artikel auf unserer Webseite veröffentlicht.  

Stadtrand-Nachrichten: Seid ihr eine reine Dokumentationsstelle, oder kann man euch auch ansprechen, wenn man einen Rat braucht oder Expertise für eine Veranstaltung? 

Tanja: Wir erklären gerne unsere Zahlen und was wir aus ihnen lernen. Wir kommen auch gerne auf Einladung in interessierte Gruppen, um die Ausprägung rechtsextremer Gewalt deutlich zu machen. Manche können sich einfach nicht vorstellen was hier los ist. Für die Gesamtregister war zum Beispiel Feindlichkeit gegenüber trans Menschen ein großes Thema, hier in Steglitz-Zehlendorf ist das nicht ganz so sichtbar. Was nicht heißt, dass es nicht passiert.
Ich kann auch erklären, wie so ein rechter Sticker überhaupt aussieht, das ist nämlich nicht immer gleich zu erkennen. Manchmal sieht das einfach nur aus, als wäre da eine nette Zeichnung, ist aber in Wahrheit ein rechter Code. 

 

Die Hochzeitsvilla (im Februar 2023) rechtsextrem markiert: Der rote Vogel ist das Symbol der Initiative „Studenten stehen auf“. | Foto: Register Steglitz-Zehlendorf

 

Stadtrand-Nachrichten: Zum Beispiel? 

Tanja: Es gibt an der FU eine extrem rechte Gruppierung, die nennt sich „Studenten stehen auf“, die sind im Rahmen der Coronamaßnahmen entstanden. Hier versammeln sich einige Akteure, die wiederum teilweise mit extrem rechten Kreisen vernetzt sind. Ihr Symbol ist ein roter Phönix, der an der Uni und in Zehlendorf häufiger auftaucht. Der fällt nicht auf, das ist einfach nur ein roter Vogel. Lange war der in Zehlendorf an einem Coronatestzelt zu sehen.  

Stadtrand-Nachrichten: Gibt es Unterschiede zwischen den Bezirken? 

Tanja: Ja, auf jeden Fall. Die Registerstelle Steglitz-Zehlendorf ist noch sehr jung, erst 2016 entstanden. Die erste gab es in Pankow schon 2005. Grundsätzlich sind die Registerstellen im Osten viel bekannter. In Marzahn, Hellersdorf, Lichtenberg, Pankow und Treptow-Köpenick gibt es sehr aktive rechtsextreme Szenen und dementsprechend haben die Register viele Vorfälle in Form von Angriffen oder Propaganda durch extrem rechte Gruppierungen.
Rechtsextremismus wird im Berliner Südwesten weniger öffentlich ausgelebt, sondern versteckter. Marzahn-Hellersdorf hat 2023 viel mit der extrem rechten Gruppierung „Der dritte Weg“ zu tun gehabt, die sehr offen im Straßenbild agiert. „Bürgerwehren“, offene Angriffe und Beleidigungen, das gibt es hier von extrem rechten Gruppierungen eher nicht.
Grundsätzlich ist Rassismus tief verwurzelt in unserer Gesellschaft. In Steglitz-Zehlendorf, so scheint es mir, wird er noch mal auf eine andere Art und Weise legitimiert: Als eine Selbstverständlichkeit, die es manchen erlaubt, andere schlechter zu behandeln. 

 

Ohne Bargeld geht’s nach Auschwitz“, „Die Digitalisierung ist der Faschismus“. Die Verharmlosung des Nationalsozialismus begleitet uns im Alltag, wie hier im August 2022 an der Fähranlegestelle in Wannsee. | Foto: Register Steglitz-Zehlendorf

 

Stadtrand-Nachrichten: Was können denn Menschen in Steglitz-Zehlendorf konkret tun, um Rechtsextremismus zu begegnen und zu widerstehen? 

Tanja: Sehr, sehr wichtig ist es, sich zu vernetzen, Die extrem Rechte ist gut vernetzt und die finden auch immer wieder gemeinsame Themen, selbst wenn sich teilweise stark unterscheiden.
Es gibt in Steglitz-Zehlendorf noch nicht so viele Netzwerke, aber die bilden sich gerade und werden auch gerade ein bisschen größer. Man kann sich demokratischen Parteien anschließen oder Gewerkschaften. Man kann auch in den sozialen Medien oder in Kommentarspalten dagegenhalten Neu ist die bezirkliche „Partnerschaft für Demokratie“, die haben noch mal Wissen zum Thema Demokratie und Vielfalt im Bezirk. Es gibt einzelne Bündnisse mit regelmäßigen Treffen wie die „Omas gegen rechts“ oder das ebenfalls schon länger bestehende Bündnis SZ WELTOFFEN.  Mit beiden Initiativen arbeiten wir gerne zusammen. 

Die Berliner Register: https://berliner-register.de/  

 

Daniela von Treuenfels 

 

 

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