Nicht nur in der Tierklinik der Freien Universität fehlen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Foto: Junia Greb-Georges

 

Die Kleintier-Klinik der Freien Universität (FU) hat ein Problem. Bereits seit dem 15. Mai 2022 ist ihr 24-Stunden-Notdienst geschlossen. Doch hinter dem, was auf den ersten Blick primär nach erschwerten Bedingungen für Kleintier-Besitzer aussieht, steckt mehr. Während Verdi und der Personalrat schwere Vorwürfe gegen die Leitung der Universität erheben, bangen Studenten und Studentinnen um ihre Abschlüsse.  

Wer für Hund, Katze oder Nager außerhalb der regulären Öffnungszeiten nach einer tierärztlichen Behandlung sucht, muss nun etwas weitere Wege in Kauf nehmen und sich auf längere Wartezeiten einstellen. Seitens der FU heißt es, es habe bisher keine Beschwerden, jedoch viele Nachfragen wegen der Schließung des Kleintiernotdienstes gegeben. Grund für die Schließung: Wegen akuten Personalmangels sei das Offenhalten des 24-Stunden-Notdienstes nicht möglich, ohne gegen geltendes Arbeitsrecht zu verstoßen, so Carsten Wette von der Pressestelle der FU. Dies hätten interne „tiefgehende Analysen und Diskussionen über die Struktur und personelle Ausstattung“, auch für andere klinische Bereiche, ergeben.

Tiernotdienst-Einstellung könnte Lehrauftrag der Freien Universität gefährden

Die Schließung ist aber nicht nur ein Komfort-Problem für Kleintierbesitzer. Laut dem Verdi-Betriebsgruppenvorstand droht der FU für den Fachbereich Veterinärmedizin die Aberkennung der Europäischen Zulassung für die veterinärmedizinische Ausbildung. Voraussetzung für die Zulassung sei „ein tierärztliches Lehrkrankenhaus mit einer 24/7-Notfallversorgung“. Das hieße im Rückschluss, dass FU-Studentinnen und Studenten der Veterinärmedizin Gefahr liefen, dass ihr Abschluss nicht mehr anerkannt würde.

 

Verdi sieht Abschluss von Studentinnen und Studenten der Tiermedizin in Gefahr. Foto: Peter Himsel

 

Diesen Grund nennt die FU jedoch nicht auf die Frage, warum eine Notfallambulanz für Kleintiere notwendig sei. Ihr Pressesprecher teilt schriftlich mit: “Es gibt eine Vielzahl von Gründen, wir nennen hier zwei: Tiere erkranken unabhängig von Öffnungszeiten tiermedizinischer Einrichtungen; häufig können Tierhalter Auffälligkeiten bei ihren Tieren tagsüber berufsbedingt nicht erkennen. Deshalb ist eine 24-stündige Notfallambulanz zum Wohl erkrankter Tiere unabdingbar.“

Laut Pressesprecher Wette sei auf Basis der internen Analyse-Ergebnisse „eine Zielstruktur und Ziel-Personalausstattung für die klinischen Bereiche des Fachbereiches Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin“ erarbeitet worden und „im Stellenplan ein erster Personalaufwuchs“ erfolgt. Stellenausschreibungen für die Klein- und Heimtierklinik liefen bereits. Unklar ist, warum der Personalaufwuchs so lange dauert. Seit den Feststellungen der FU im Mai 2022 und der Information gegenüber den Stadtrand-Nachrichten vom 13. November 2023, dass erste Stellenausschreibungen liefen, liegen bereits eineinhalb Jahre.

Überraschende Kontrolle offenbart erhebliche Mängel

Möglicherweise ist erst in diesem Jahr Bewegung in die Angelegenheit gekommen, weil es am 4. August 2023 eine unangekündigte Begehung im Fachbereich Veterinärmedizin gab. Wie der Personalrat der FU auf seiner Webseite berichtet, stellten das Landesamt für Gesundheitsschutz und die Unfallkasse bei ihrer Prüfung, mehr als ein Jahr nach der Schließung des 24-Stunden-Tiernotdienstes, „eine Vielzahl an Mängeln“, unter anderen „Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz“, fest – möglicherweise mit Folgen für die Arbeitssicherheit. Grund für die Begehung war ein schwerer Arbeitsunfall zwei Tage zuvor, bei dem ein Mitarbeiter des Instituts für Tierernährung einen Teil seines Fingers verlor. Vorherige Hinweise des Personalrats scheinen keine Wirkung gezeigt zu haben. Von ihm heißt es in einer Meldung zum Arbeitsunfall vom 10. August 2023: “Während seiner bisherigen Amtszeit hat der Personalrat Dahlem den Präsidenten der FU, die Kanzlerin und die Fachbereichsverwaltung Vetmed auf den erheblichen Personalmangel in mehreren Instituten und auf die daraus resultierenden Arbeitszeitgesetzverstöße mehrmals hingewiesen.“

Auch in der Politik weiß man um den Personalmangel im Fachbereich Veterinärmedizin. Die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Pflege und Gesundheit musste sich aufgrund einer schriftlichen Anfrage des Abgeordneten im Berliner Abgeordnetenhaus, Adrian Grasse (CDU), mit der Schließung des 24-Notdienstes für Kleintiere auseinandersetzen. Dieser wollte darin wissen, welche Gründe die Einstellung des Services gehabt habe und wann der Notdienst wieder aufgenommen werde. Für die Beantwortung hat die Senatsverwaltung Informationen bei der FU eingeholt. Wenig überraschend heißt es darin, Hauptgrund sei “die signifikante personelle Unterausstattung” gewesen. Mit Blick darauf, wie lange es bisher bereits dauert, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden, erstaunt jedoch die Aussage, dass es einen “Zielkorridor zur Wiederaufnahme des 24-Stunden-Notfallbetriebes“ im Mai oder Juni 2024 gebe. Sogar schon früher könne es möglicherweise eine 24-Stunden-Notfallsprechstunde mit eingeschränktem chirurgischem Notfallbetrieb geben, heißt es in der Antwort. Oliver Fey, Pressereferent der betreffenden Senatsverwaltung, teilte auf Nachfrage mit, „hinsichtlich etwaiger Lösungsoptionen“ bestehe „ein Austausch zwischen der Senatswissenschaftsverwaltung, der Universitätsleitung der Freien Universität und der Fachbereichsleitung des Fachbereichs Veterinärmedizin“.

Personalrat kritisiert internes Vorgehen der Universität

Während die FU beschwichtigt, zeichnen Gewerkschaftsvertreter ein ganz anderes Bild: Nach Angaben der Mitarbeitendenvertretung der Universität habe die Dienststelle nicht mit einer Personalaufstockung auf die Hinweise reagiert, obwohl den obersten Stellen der FU das Problem in den Fachbereichen der Veterinärmedizin aufgrund eigener Überprüfungen im Mai 2022 und den Hinweisen des Personalrats bekannt gewesen sein müsste. Vielmehr seien ihr Dienstpläne nicht mehr zur Mitbestimmung vorgelegt worden. Mit Bezug auf den Arbeitsunfall heißt es seitens des Personalrats Dahlem (PRD): “Die Personalstelle hatte Dienstpläne des betroffenen Instituts erhalten. Diese wurden jedoch nicht an die Personalvertretung weitergeleitet. Somit wurde verhindert, dass der PRD die Dienstpläne auf die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes und Arbeitsschutzes überprüfen konnte.“

 

Der Präsident der FU, Prof. Dr. Günter M. Ziegler. Foto: David Ausserhofer

 

Die FU dementiert die Vorwürfe. Über die Pressestelle teilte sie gegenüber den Stadtrand-Nachrichten knapp mit: “Die Information, der zufolge die Dienststelle aufgrund des Personalmangels die Dienstpläne nicht mehr zur Mitbestimmung vorgelegt hat, ist falsch. Ebenfalls unzutreffend ist die Darstellung, die Personalstelle habe ihr vorliegende Dienstpläne nicht an die Personalvertretung weitergeleitet.“

Gewerkschafter sieht Widerspruch zu Gerichtsentscheidung

Lukas Schmolzi, Verdi-Vertrauensmann und Vorstandsmitglied der Verdi-Betriebsgruppe an der Freien Universität, zeigt sich von dieser Reaktion irritiert. Er sagt: „Mich verwundert die Aussage, weil die FU bereits im Mai 2023 über ein sogenanntes Anerkenntnisurteil vor dem Berliner Verwaltungsgericht eingeräumt hat, dass die Mitbestimmung des Personalrats bei etlichen Dienstplänen im Fachbereich Veterinärmedizin missachtet wurde.“
Tatsächlich gibt es einen Anerkenntnis-Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin. In der Entscheidung (Aktenzeichen VG 62 K 6/22 PVL) vom 17. Mai 2023 stellte das Gericht fest, dass das Präsidium der FU das Mitbestimmungsrecht des Personalrats verletzt, wenn es ohne dessen Zustimmung Dienstpläne aus verschiedenen Bereichen der veterinärmedizinischen Fakultät an der FU in Kraft setzt. In dem Verfahren ging es um Dienstpläne unter anderen für den Bereich Apotheke der Klinik für kleine Haustiere und die Anordnung von Rufbereitschaftsdiensten im chirurgischen Dienst an der Klinik für kleine Haustiere.

Gewerkschafter Schmolzi erzählt, in dem Fachbereich, in dem der Arbeitsunfall geschehen sei, hätten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zum Teil neunzehn Tage am Stück gearbeitet, ohne dass der Personalrat davon erfahren habe. In der Zwischenzeit gebe es ein neues Verfahren wegen erneuter Verstöße gegen das Mitbestimmungsrecht des Personalrats, weil Dienstpläne weiterhin ohne Zustimmung in Kraft gesetzt worden seien, so der Verdi-Vertrauensmann.

 

Die FU hat viele Fachbereiche – zumindest in der Veterinärmedizin fehlt es an Personal. Foto: Grützner

 

Streit um Schichtzulagen, ein offener Brief und Streiks für höhere Löhne

Und noch etwas erzählt Schmolzi über die aktuelle Situation im Fachbereich Veterinärmedizin der FU: Aus Sicht der Verdi-Betriebsgruppe lägen die Ursachen für den Personalmangel nicht nur im angespannten Arbeitsmarkt, sondern in einer hohen Fluktuation von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Weil tarifliche Schichtzulagen nicht ausbezahlt würden, hätten einige Beschäftigte ihr Arbeitsverhältnis gekündigt und seien an eine Tierklinik wenige Autominuten von der Kleintierklinik der FU gewechselt. Ein offener Brief vom 15. März von rund 60 Beschäftigten an den Präsidenten der FU habe keine Wirkung gezeigt. Noch immer warteten viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die Auszahlung von Überstundenzuschlägen und Schichtzulagen. Diese seien meist deutlich höher als die normalen Stundenlöhne und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Zeiten der Inflation besonders darauf angewiesen. Zuletzt waren am Mittwoch, den 22. November alle Tarif-Beschäftigten zum Streik für höhere Löhne aufgerufen. Gewerkschafter Lukas Schmolzi gibt zu bedenken: „Sollte es gelingen, dass höhere Löhne erstritten werden, kann sich natürlich auch die Personalsituation verbessern, weil neues Personal gefunden werden kann.“

Junia Greb-Georges