Kommentar: Beteiligungskultur in Steglitz-Zehlendorf?!

Kommentar: Beteiligungskultur in Steglitz-Zehlendorf?!

Grafik: Stephan Voß

 

 

Nun hat endlich auch der Bezirk Steglitz-Zehlendorf Leitlinien für die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern. Und das ist gut so, denn die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an Vorhaben der örtlichen Verwaltung ist von unschätzbarem Wert für ein auch auf die Dauer lebenswertes, vielfältiges und demokratisches Gemeinwesen.  

Im Wissen um diese herausgehobene Bedeutung von Beteiligung hatte der Berliner Senat zur Umsetzung der von ihm bereits im Juli 2019 vorgestellten „Leitlinien für Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an Projekten und Prozessen der räumlichen Stadtentwicklung“ in den Jahren 2020 und 2021 für alle Bezirke jeweils 250.000 € in den Landeshaushalt eingestellt – insbesondere zur Einrichtung und zum Betrieb bezirklicher Anlaufstellen für die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern. Während fast alle anderen Bezirke diese Mittel beantragt haben und diese ihnen auch zugesagt wurden, blieb der Bezirk Steglitz mit seinem damals schwarz-grünen Bezirksamt untätig und ließ die vom Senat angebotenen Mittel in Höhe von 500.000 € einfach ungenutzt liegen – ein Skandal. Die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern war in Steglitz-Zehlendorf offensichtlich nicht gewollt.  

Erst ein Einwohnerantrag der „Initiative Bürger*innenbeteiligung Lichterfelde Ost“, mit dem diese die strukturelle Verankerung, die umfassende Förderung und die professionelle Umsetzung der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern, die Entwicklung von Leitlinien zur Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern in Steglitz-Zehlendorf sowie die Bereitstellung entsprechender finanzieller und personeller Ressourcen forderte, brachte die Politik im Bezirk in Bewegung: Im Mai 2022 wurde der Einwohnerantrag von der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), in der inzwischen eine grün-rot-gelbe Zählgemeinschaft die Mehrheit hatte, in leicht veränderter Form beschlossen. Eine für Steglitz-Zehlendorf geradezu bahnbrechende Entscheidung – nach Jahrzehnten schwarzer Dominanz im Bezirk. 

In der Folge dieser Entscheidung hat das Bezirksamt mit dem Ziel, Leitlinien für die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern zu erarbeiten, im letzten Quartal 2022 zu drei Regionalkonferenzen eingeladen und danach ein Gremium, bestehend aus je sechs Vertreterinnen und Vertretern von Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft und aus der Bürgerschaft, zur Erarbeitung der Leitlinien einberufen. Ende April 2023 hat das Gremium seine Arbeit beendet. 

Die nun vorliegenden Leitlinien setzen mit Blick auf die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an bezirklichen Vorhaben auf inzwischen vielfach bewährte Instrumente, vor allem aber auch auf einen guten und respektvollen Umgang aller Beteiligten miteinander, auf frühzeitige und transparente Information von Bürgerinnen und Bürgern und sie setzen auf „eine gelebte Beteiligungskultur, die im Bezirk nachhaltig verankert ist“, die die Zivilgesellschaft stärkt und ihr ein institutionalisiertes Gehör verschafft.  

Eine solche Beteiligungskultur zu entwickeln, wird eine große Herausforderung sein, nachdem Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern in unserem Bezirk in der Vergangenheit praktisch keinerlei Bedeutung hatte. Ein solcher Entwicklungsprozess erfordert von allen Beteiligten große Anstrengungen – es muss noch Vieles gelernt und auch noch Vieles verlernt werden.  

Dafür hat es bereits in der Arbeit des Begleitgremiums zur Erarbeitung der Leitlinien eine Reihe von Beispielen gegeben: Hatte die BVV mit dem Einwohnerantrag soeben noch beschlossen, dass „verbindliche Leitlinien „als ein gemeinsames Projekt der Bürgerschaft, der Politik und der Verwaltung im Bezirk Steglitz-Zehlendorf (…)“ entwickelt werden, mussten die Mitglieder des Begleitgremiums bereits in ihrer konstituierenden Sitzung feststellen, dass die Verwaltung schon einen genauen Plan hatte, in welchem Zeitraum und auf welche Weise die Leitlinien erarbeitet werden sollten. Dies führte sofort zu Konflikten innerhalb des Gremiums, die dessen Arbeit bis zum Schluss mitgeprägt haben.  

Ein Projekt gemeinsam zu entwickeln, bedeutet eben auch, sich darauf einzulassen, es von Beginn an gemeinsam zu gestalten und nicht einseitig Vorgaben zu machen – das will erst einmal gelernt sein. 

Wenig wertschätzend und respektvoll gegenüber den Mitgliedern des Gremiums war es, um nur wenige Beispiele zu nennen, dass manche zu dessen Sitzungen zu spät kamen und andere früher gingen, dass jemand nur in der ersten Sitzung da war und dann gar nicht mehr erschien – Verhaltensweisen, die das für Beteiligungsprozesse so wichtige kooperative Miteinander belasteten. Darüber hinaus war es im Sinne von Transparenz nicht vertrauensbildend, dass das Gremium die allerletzte redigierte Fassung der Leitlinien nicht mehr zu Gesicht bekommen hat, bevor diese dem Bezirksamt zur Entscheidung vorgelegt wurde. Solche wenig konstruktiven Verhaltens- und Verfahrensweisen – die wollen erst einmal verlernt sein. 

Auch wenn die oben erwähnte „gelebte Beteiligungskultur“ in unserem Bezirk noch in weiter Ferne liegen mag, sind mit den nun vorliegenden „Leitlinien für Beteiligung der Bürger_innen in Steglitz-Zehlendorf“ für deren Entwicklung sehr gute Voraussetzungen geschaffen.  

Das ist bei allen Unzulänglichkeiten eine wirklich gute Nachricht.  

Sie sollte uns zur Geduld mahnen und nachsichtig sein lassen, wenn nicht gleich alles mit der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern in unserem Bezirk so klappt, wie wir es uns wünschen. 

Und – was wir nicht vergessen sollten: Jedes weitere Engagement von Bürgerinnen und Bürgern, von Politik und Verwaltung für mehr Beteiligung festigt und stärkt die demokratische Kultur in Steglitz-Zehlendorf. 

 

Stephan Voß 

Der Autor ist ehrenamtliches Mitglied des Redaktionsteams der Stadtrand Nachrichten.

Er war außerdem Gründungsmitglied der inzwischen aufgelösten
„Initiative Bürger*innenbeteiligung Lichterfelde Ost“ und Mitglied des Begleitgremiums zur
Entwicklung der „Leitlinien für Beteiligung der Bürger_innen in Steglitz-Zehlendorf“. 

 

 

Alles über die neuen Leitlinien zur Beteiligung in Steglitz-Zehlendorf erfahren Sie hier.

 

 

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