Mehr Demokratie in Steglitz-Zehlendorf

Mehr Demokratie in Steglitz-Zehlendorf

Grafik: Stephan Voß

 

 

Die Leitlinien für die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an Vorhaben des Bezirks sind beschlossen – von nun an müssen sie sich in der Praxis bewähren. 

Vor wenigen Wochen hat das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf „Leitlinien für Beteiligung der Bürger_innen in Steglitz-Zehlendorf“ beschlossen. Mit diesen Leitlinien setzt der Bezirk verbindliche Standards für die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an Vorhaben des Bezirks, bei denen eine Beteiligung nicht gesetzlich vorgeschrieben ist.

Bezirkliche Vorhaben und die Vorhabenliste 

In den Leitlinien wird unter anderem geregelt, welche Vorhaben des Bezirks – unmittelbar nachdem sie beschlossen wurden – auf die sogenannte Vorhabenliste kommen, die für alle Bürgerinnen und Bürger sowohl in gedruckter als auch in digitaler Form zugänglich sein wird. Bezirkliche Vorhaben werden auf dieser Liste beispielsweise dann veröffentlicht, wenn es sich um ein „Vorhaben der räumlichen (baulichen und nicht baulichen) Entwicklung des Bezirks Steglitz-Zehlendorf“ handelt oder wenn es sich um Vorhaben handelt, „die mit wesentlichen Eingriffen in die Umwelt, die soziale, grüne, verkehrliche und stadttechnische Infrastruktur und die Wohnsituation von Menschen verbunden“ sind: also etwa das Anlegen eines Fahrradweges, die Schließung oder den Neubau eines Jugendclubs, die Einführung einer Tempo-30-Zone, den Bau einer Ampel für Fußgängerinnen und Fußgänger. Auch wenn das Vorhaben eine markante Veränderung des Kiezes mit sich bringt oder Auswirkungen auf bestehende Nachbarschaften hat, muss es in die Vorhabenliste aufgenommen werden – wie zum Beispiel die Neugestaltung eines größeren Platzes.

Steckbrief und Beteiligungskonzept 

In der Vorhabenliste werden die Projekte in Form eines Steckbriefes kurz dargestellt. Auch wird vermerkt, ob von Seiten des Bezirks eine Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an dem jeweiligen Plan vorgesehen ist. Ist dies der Fall, muss der Bezirk ein Beteiligungskonzept veröffentlichen. Dieses gibt unter anderem Auskunft über den Gegenstand und die Art und Weise der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie darüber, was mit deren Ergebnissen geschieht.

Ein Beispiel: „Bau eines Fahrradweges in der Kölner Straße“ 

Stellen Sie sich einmal vor, Sie würden davon hören, dass in „Ihrer“ Straße, der Kölner Straße, seitens des Bezirks der Bau eines Fahrradweges geplant ist. Sie würden sich dann vielleicht vergewissern wollen, ob das so ist und was genau dort vorgesehen ist. Wie aber ist das auf unkomplizierte Art und Weise in Erfahrung zu bringen? Gemäß der „Leitlinien für Beteiligung der Bürger_innen in Steglitz-Zehlendorf“ können Sie künftig in der digitalen Vorhabenliste des Bezirks unter www.mein.berlin.de nachschauen, ob es ein entsprechendes Projekt des Bezirks in „Ihrer“ Straße tatsächlich gibt. 

Ist dies der Fall, können Sie dem dort vom Bezirk zu veröffentlichendem Steckbrief des Vorhabens erste Informationen darüber entnehmen, was in „Ihrer“ Straße geschehen soll und ob bei diesem Vorhaben eine Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern vorgesehen ist. Ist sie vorgesehen, können Sie dem dort ebenfalls vom Bezirksamt zu hinterlegenden Beteiligungskonzept entnehmen, in welcher Weise Sie sich an der Planung beteiligen können. Ist nur eine Informationsveranstaltung für Bürgerinnen und Bürger vorgesehen oder ist Ihre Meinung zu dem Vorhaben gefragt? Fließt Ihre und die Meinung anderer Betroffener in die Planung und Gestaltung des Vorhabens ein oder können Sie vielleicht sogar mitentscheiden oder auch entscheiden, wie das Vorhaben umgesetzt wird?

Aber lohnt es sich wirklich für Sie, auf das Beteiligungsangebot des Bezirks einzugehen und sich entsprechend den Vorgaben des Beteiligungskonzepts an dem Vorhaben „Bau eines Fahrradweges in der Kölner Straße“ zu beteiligen? Vielleicht entscheiden Sie sich dafür, weil Sie mitbekommen haben, dass wegen des Baus des Fahrradweges Bäume, die Sie seit Jahren im Sommer wässern, gefällt werden sollen und Sie dies unbedingt verhindern möchten.

Anregung von Beteiligung 

Was aber tun, wenn bei dem Vorhaben „Bau eines Fahrradweges in der Kölner Straße“ seitens des Bezirks gar keine Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern vorgesehen ist oder die vorgesehene Form der Beteiligung aus Ihrer Sicht unzureichend ist? Dann ist noch längst nicht aller Tage Abend: Sie können nämlich Beteiligung oder eine weitergehende Form der Beteiligung an dem Vorhaben „Bau eines Fahrradweges in der Kölner Straße“, z.B. Mitentscheidung anstelle von Mitgestaltung anregen – und das sogar auch formlos, wenn Sie es wünschen.

Bezirkliche Anlaufstelle für Beteiligung 

Wie das funktioniert, darüber gibt Ihnen die neu geschaffene bezirkliche Anlaufstelle für Beteiligung Auskunft und Sie erhalten dort die notwendige Beratung. Sie können sich aber auch direkt und ebenfalls formlos an die für das Vorhaben „Bau eines Fahrradweges in der Kölner Straße“ zuständige Stelle innerhalb des Bezirksamts wenden.

Wird Ihrer Anregung stattgegeben, wird in der Vorhabenliste vermerkt, dass für die Maßnahme „Bau eines Fahrradweges in der Kölner Straße“ nunmehr eine Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern bzw. eine andere Stufe von Beteiligung vorgesehen ist. 

Überprüfung einer Ablehnung einer Anregung von Beteiligung – Beteiligungsantrag

Sollte Ihren Anregungen zur Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern seitens des Bezirksamts nicht stattgegeben werden, wird dies in einem Schreiben an Sie, welches Ihnen persönlich zugestellt und auch veröffentlicht wird, begründet.

Eine solche Entscheidung des Amtes können Sie dann noch im Wege eines Beteiligungsantrages an die zuständige Stadträtin oder den zuständigen Stadtrat überprüfen lassen. Wenn Sie einen solchen Antrag stellen möchten, berät Sie die schon erwähnte bezirkliche Anlaufstelle für Beteiligung und leitet Ihren Antrag auch weiter. 

Eine Entscheidung über den Antrag muss dann innerhalb eines Monats fallen. Das weitere Verfahren entspricht dem bei der formlosen Anregung von Beteiligung: Bei einer positiven Entscheidung wird eine Beteiligung am Vorhaben „Bau eines Fahrradweges in der Kölner Straße“ ermöglicht, bei einer Ablehnung Ihres Antrags wird diese schriftlich begründet und Ihnen ebenfalls persönlich zugestellt.

Vorhabenvorschlag 

Wenn Sie beim Lesen der bezirklichen Vorhabenliste feststellen, dass es ein Projekt „Bau eines Fahrradweges in der Kölner Straße“ gar nicht gibt, Sie aber der Meinung sind, dass ein Fahrradweg in der Parallelstraße zur Kölner Straße eine sinnvolle Idee sei, bei dem keine Bäume gefällt werden müssten und bei dem auch eine Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sinnvoll wäre, bieten Ihnen und ggf. Ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern die neuen „Leitlinien für Beteiligung der Bürger_innen in Steglitz-Zehlendorf“ die Möglichkeit, einen Vorhabenvorschlag an die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) zu richten – vorausgesetzt, dieses Vorhaben liegt in der Zuständigkeit der Bezirksverwaltung. Ein Formblatt dafür und eine entsprechende Beratung erhalten Sie wiederum bei der bezirklichen Anlaufstelle für Beteiligung. Die BVV berät über Ihren Vorhabenvorschlag und ersucht das Bezirksamt zu entscheiden, ob Ihr Vorhabenvorschlag umgesetzt werden soll oder nicht. Eine Ihren Vorschlag ablehnende Entscheidung des Bezirksamts wird begründet, veröffentlicht und Ihnen persönlich zugestellt. 

Vorhabenantrag 

Wird Ihr Vorhabenvorschlag abgelehnt, bleibt Ihnen gemäß der Leitlinien als letzte Möglichkeit, einen Vorhabenantrag an die BVV zu stellen, vorausgesetzt Sie sind Bürgerin oder Bürger des Bezirks und mindestens 16 Jahre alt. Für einen solchen Antrag benötigen Sie, je nachdem ob sich Ihr Vorhaben nur auf Ihren Ortsteil oder aber auch auf andere Ortsteile auswirkt, 500 bzw. 1000 Ihr Vorhaben unterstützende Unterschriften. Das Formblatt für den Vorhabenantrag erhalten Sie genauso wie eine entsprechende Beratung wiederum bei der bezirklichen Anlaufstelle für Beteiligung. Über Ihren Vorhabenantrag entscheidet die BVV innerhalb von 2 Monaten.

Berliner Bezirksverwaltungsgesetz (BezVwG) 

Unabhängig von den Regelungen in den „Leitlinien für Beteiligung der Bürger_innen in Steglitz-Zehlendorf“ haben Sie natürlich immer die Möglichkeit, die im Berliner Bezirksverwaltungsgesetz (BezVwG) vorgesehenen Möglichkeiten der Mitwirkung der Einwohnerschaft, wie z.B. die Einwohnerfragestunde (§43), den Einwohnerantrag (§44) oder auch die Instrumente des Bürgerbegehrens (§45) oder des Bürgerentscheids (§46) zur Wahrnehmung Ihrer Interessen zu nutzen. All diese Instrumente sind jedoch im Vergleich dazu, wie die Mitwirkung bzw. Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern in den Leitlinien geregelt ist, formaler, aufwändiger und, was das Bürgerbegehren oder den Bürgerentscheid betrifft, wesentlich komplexer und mit sehr hohen Hürden verbunden.

Die „Leitlinien für Beteiligung der Bürger_innen in Steglitz-Zehlendorf“ im Praxistest 

In den kommenden Monaten müssen sich die Leitlinien nun erst einmal in der Praxis bewähren. Es wird dann in regelmäßigen Abständen auszuwerten sein, so wie dies auch die Leitlinien vorsehen, inwieweit mit den dort entwickelten Grundsätzen und Verfahren die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an Vorhaben des Bezirks tatsächlich gewinnbringend für alle Beteiligten und natürlich auch für die jeweiligen Vorhaben gestaltet werden kann. 

Stephan Voß 

Der Autor ist ehrenamtliches Mitglied des Redaktionsteams der Stadtrand Nachrichten.

Er war außerdem Gründungsmitglied der inzwischen aufgelösten
„Initiative Bürger*innenbeteiligung Lichterfelde Ost“ und Mitglied des Begleitgremiums zur
Entwicklung der „Leitlinien für Beteiligung der Bürger_innen in Steglitz-Zehlendorf“. 

 


 

 

 

 

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