Axel Huber sucht nach Steglitzer Helden, die Rosa Goldmann das Leben retteten. Foto: Huber

Auf seiner Internetseite dieverlorenen.wordpress.com sucht Axel Huber nach Spuren der jüdischen Familien Milchiger und Schütz. Jetzt forscht er in Steglitz nach „Helden“  – Menschen, die ab 1942 die untergetauchte Jüdin Rosa Goldmann versteckten und ihr damit das Leben retteten. In ihrem Antrag auf Anerkennung als Opfer des Faschismus von 1946 nennt sie als Leumundszeugen Elisabeth Blödel aus der Albrechtstraße 59a, Hanna Weile aus der Halskestraße 7 sowie den Spediteur Pariser, Halskestraße 7. In einer Akte von 1947 taucht eine weitere Berliner Leumundszeugin auf: Charlotte Metzke, aus der Brandenburgischen Straße 73 in Wilmersdorf. Nach ihnen beziehungsweise ihren Angehörigen sucht der studierte Historiker. Wir haben mit ihm über sein Projekt gesprochen:

Was ist das für ein Projekt, das Sie betreiben? Wie kam es dazu? 

Axel Huber: Nach acht Jahren als Redakteur bei einer Tageszeitung habe ich 2004 den Job gekündigt und bin mit 29 meiner großen Leidenschaft gefolgt: der Geschichte. Nach erfolgreichem Studium bin ich im öffentlichen Dienst untergekommen und recherchiere in meiner Freizeit in den früheren Zeiten. Andere springen Fallschirm oder spielen Schach: Ich lese Akten.

Auf der Suche nach etwas ganz anderem bin ich zufällig auf das jüdische Ehepaar Joseph und Elise Melchiker gestoßen, das 1942 in der Prinzregentenstraße in Wilmersdorf aus dem Leben schied – unmittelbar vor der Deportation. Über wenige E-Mails bin ich auf die Enkeltochter dieses Ehepaars gestoßen, die in Australien wohnt. 2014 habe ich die Enkeltochter und ihren Ehemann in Berlin getroffen und sehr intensive gemeinsame Stunden erlebt, unter anderem auf dem jüdischen Friedhof Weißensee.

Der Ehemann sprach mich dann an, denn seine Familiengeschichte ist ähnlich traurig wie die seiner Frau. Und er bat mich zusammen mit seiner Schwester, nach den europäischen Wurzeln seiner Vorfahren zu suchen. Ausgangspunkt seiner Familie waren im frühen 19. Jahrhundert im Raum Neiße (Schlesien) der Kaufmann Israel Goldmann mit seiner Frau Pauline und Julius Neumann nebst Gattin Jeanette in Tuchel (Westpreußen). Über jüdische Matrikelbücher habe ich nach den Kindern gesucht und nach deren Kindern usw.

Warum haben Sie die Aufgabe übernommen?

Axel Huber: Wer sich viel mit der deutschen Geschichte beschäftigt, muss sich oft anhören, dass doch endlich einmal ein Schlussstrich gezogen werden sollte unter die Aufarbeitung der deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg. Als wir 2014 auf dem jüdischen Friedhof Weißensee das Grab von Joseph und Elise Melchiker besuchten, brach die Enkelin in Tränen aus. Mit 60 Jahren besuchte sie zum ersten Mal das Land, aus dem ihr Vater 1936 verjagt worden war. Sie hatte zwei Kiesel aus Sydney mitgebracht und legte sie am Grab ihrer Großeltern nieder. In solchen Momenten spürt man, dass es noch lange nicht vorbei ist. Sie müssen sich vorstellen, dass der aus Deutschland flüchtende Vater nie über das Erlebte gesprochen hat. Es kam zu einem radikalen Bruch mit der Heimat, die einmal Deutschland war. Ich kann mit meiner Arbeit einen ganz kleinen Beitrag dazu leisten, die Wunden zumindest ein wenig zu heilen.

Wie kommen Sie an Ihre Informationen?

Axel Huber: Für jüdische Opfer aus Berlin gibt es die drei klassischen Anlaufstellen. Im Brandenburgischen Landeshauptarchiv in Potsdam sind im Regelfall die Vermögenserklärungen gelagert, in denen die Juden kurz vor ihrer Deportation ihr komplettes Vermögen angeben mussten, damit das Deutsche Reich sie nach ihrem Abtransport sofort ausrauben konnte. Im Entschädigungsamt lagern die Entschädigungsakten und im Landesarchiv Berlin die Wiedergutmachungsakten. Viele zeitgenössische Zeitungen sind in der Staatsbibliothek schon digitalisiert und die Datenbanken von Yad Vashem helfen ebenfalls weiter. Daneben stehe ich im intensiven Kontakt mit Archiven in ganz Deutschland, Polen, Frankreich – und ich wurde auch schon im United States Holocaust Memorial Museum fündig. Es ist wie ein riesiges Puzzle, dessen Einzelteile auf der ganzen Welt verteilt sind. Vor allem die Spuren derer zu finden, die noch rechtzeitig vor der Shoah aus Deutschland flüchten konnten, ist nicht ganz einfach.

Wen haben Sie schon „gefunden“?

Axel Huber: Ganz normale Menschen. Den Metzger aus Frankfurt, die Schuhverkäuferin aus Beuthen, den Kaufmann aus Berlin, den Rechtsanwalt aus Breslau. Ganz normale Menschen, die Familien gründeten, die arbeiteten, die erfolgreiche Geschäftsleute waren. Deren einziger Fehler ab 1933 darin bestand, dass sie Juden waren. Und so viele Familienzweige zerbrechen für immer in der Shoah. Da haben sie einen  24 Jahre alten Walter Drucker, der am 2. März 1943 ausfüllt, dass er (Zwangs)Arbeit bei den Norddeutschen Kabelwerken leistet, 93 Reichsmark monatlich verdient und noch bei den Eltern wohnt. Zwei Tage später wird er von Berlin nach Auschwitz deportiert und vermutlich sofort ermordet. Oder sie lesen vom 82 Jahre alten Carl Heimann, den man in Ratibor ins Ghetto steckt und zugrunde gehen lässt. Und dann sind da noch die sechs Wochen alten Zwillinge, die im Herbst 1942 fast eine Woche lang von Frankfurt am Main nach Estland gefahren werden, damit sie mit ihrem Bruder und den Eltern zusammen erschossen werden konnten. 33 Ermordete habe ich in meiner Liste, elf junge Frauen und Männer haben Deutschland rechtzeitig verlassen. OP-Schwester Rosalie Heimann, vormals Jüdisches Krankenhaus Berlin, flüchtete noch im August 1939 nach England. Wenige Tage vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs.

Wie kam es dazu, dass Sie jetzt „Helden“ suchen? Tun Sie das nur im speziellen Fall von Rosa Goldmann?

Axel Huber: Es ist schlicht und ergreifend der bisher einzige Fall, in dem es Helden gibt. 33 Mitglieder dieser Familien wurden deportiert und ermordet. Rosa Goldmann wollte leben und ging drei Tage nach ihrem 43. Geburtstag am 10. Januar 1943 in den Untergrund. Sie hatte mit ihrem Mann Otto Goldmann von 1927 an bis zu seinem Tod im November 1941 in der Lacknerstraße 13 in Steglitz gelebt. Bei der Zwangsarbeit bei Siemens bekam sie mit, dass immer mehr Juden verschleppt wurden und sie entschied sich zu handeln. Nach dem Kriege schrieb sie lapidar, dass sie dann „bei Freunden illegal in Berlin“ lebte. Diese Freunde sind vermutlich echte Helden, denn sie riskierten ihr eigenes Leben. In jedem Mietshaus gab es einen Hauswart, der darüber wachte, wer ein- und ausgeht. Die Freunde mussten Lebensmittel organisieren für die Illegale. Jedes falsche Wort oder schlicht und ergreifend ein Bombentreffer des Hauses konnten zur Entdeckung führen. Nicht nur Rosa Goldmann lebte mehr als zwei Jahre in ständiger Angst des Entdecktwerdens.

Wie steht Rosa Goldmann in Verbindung zu den beiden Familien, deren Schicksal Sie verfolgen?

Axel Huber: Der „Urvater“ der Familie Goldmann, Israel Goldmann, setzte sich an seinem Lebensabend in Neiße hin und diktierte seinem Sohn Siegfried 1877 seine Erinnerungen. Als das Werk vollbracht war, starb Israel Goldmann. Sein Sohn Siegfried ging im Amte des Postsekretärs nach Zaborze und gründete eine Familie. Mit Ehefrau und den vier Kindern ging er vermutlich 1895 nach Berlin. Sohn Otto Goldmann baute einen Elektrofachhandel auf und heiratete 1927 die junge Rosa Schwarzmann aus Beuthen. Nach bisheriger Aktenlage blieb die Ehe kinderlos. Die beiden Schwestern von Otto Goldmann wurden mitsamt ihrer Familien ermordet, von Bruder Herbert fehlt bislang jegliche Spur.

Wenn Sie die „Helden“ oder deren Angehörige finden, wie geht es dann weiter?

Axel Huber: Es würde vor allem darum gehen, die Geschichte der Rettung von Rosa Goldmann zu dokumentieren. Ich sage es gerne noch mal: Es waren Helden, die zwei Jahre lang eine Jüdin versteckten. Mitten in Berlin. Mitten im Krieg. Und es sind bislang stille Helden, deren mutiges Handeln noch unbekannt ist. Die Gedenkstätte Stille Helden hat ebenfalls großes Interesse an der Geschichte. Mitläufer, Profiteure und Täter gab es mehr als genug, echte Helden dagegen kaum.

Vielen Dank für das Gespräch.

Wer die genannten Personen oder deren Angehörige kennt, wendet sich am besten per E-Mail an Axel Huber, hubers_axel@web.de.

(go)