Dass durch den richtigen Vortrag auch eine langweilige Gebrauchsanweisung spannend und lustig sein kann, zeigte Pierre Lischke (rechts) den Jugendlichenh. Foto: Gogol

„Die erste eigene Wohnung – Ihr Schritt in Richtung Freiheit“ – schreit Hanno Heekeren in die Runde und versucht damit einen Teil seines eigenen Ichs zu überzeugen, wie toll es wäre, nicht mehr zu Haus zu wohnen. Die anderen Jugendlichen rund um ihn herum machen es ihm nach. „Nie wieder einen Blockbuster verpassen“, verspricht Mirjana Mehling. Die Jugendlichen üben – üben Flyer ausdrucksstark vorzutragen, lesen eine Beschreibung des Potsdamer Platzes wie ein Märchen, lassen ihre Stimme sanft klingen, wenn sie von den beruhigenden Eigenschaften von Klangschalen hinweisen – nur um dann mit harter Stimme darauf hinzuweisen, dass sie von Kinderhänden gefertigt wurden, oder ja – preisen die Sonderangebote einer Videothek an . Nein, es ist kein Seminar angehender Werbefachleute, die sich in der Jugendfreizeiteinrichtung Imme in Steglitz zusammengefunden haben. Die Jugendlichen üben zu einem Zweck – gute Poetry Slamer zu werden.

Freitagnachmittag, drei Stunden hat Pierre Lischke Zeit, sechs Jugendliche in die Geheimnisse der „Dichterschlacht“ einzuführen. Kein leichtes Unterfangen, weiß auch der 21-Jährige selbst. Doch die kleine Gruppe Jungen und Mädchen ist neugierig, hört gespannt zu und macht jede der Übungen mit, um eine Gefühl dafür zu bekommen, was ein Poetry Slam eigentlich ist.

Dass heißt, spontan sein. So lässt Lischke ein Beutel rumgehen, aus dem die Jugendlichen ein Gegenstand ziehen. Liebe ist .. wie eine Schere. „Sie macht manchmal sprachlos“, ergänzt Darleen Schitkowsky, der dazu nichts besseres einfällt. Oder Liebe ist … wie eine Wäscheklammer. „Wenn sie zu fest sitzt, tut sie manchmal weh“, dichtet Ella Fuchs, die beim Kinder- und Jugendbüro (KiJuB) Steglitz-Zehlendorf ihr Freiwilliges Soziales Jahr absolviert. Das KiJuB hatte zusammen mit dem Bezirksschülerausschuss die Idee zu einem Poetry Slam, der am 7. Juni stattfinden soll. Am Freitag fand der dazugehörige Workshop statt, bei dem die Jugendlichen dafür fit gemacht werden soll.

Schreiben als Therapie

Dann teilt Lischke verschiedene Flyer aus, dort geht es ihm um den Vortrag, wie man mit der eigenen Stimme bestimmte Stimmungen aber auch Spannung und dadurch Aufmerksamkeit erzeugt. Dann trägt er einen eigenen Text vor. „Ich schreibe Texte nur, wenn ich es fühle“, sagt der Student der Erziehungswissenschaften. Es ist so eine Art Therapie für ihn. Auch wenn er nicht mehr zu Poetry Slams geht, um seine Texte vorzutragen.

Vor zwei Jahren hatte er Poetry Slam für sich entdeckt, erzählt er. Wirklich aktiv gewesen sei er nur ein halbes Jahr, derzeit seien Raptexte sein neues Steckenpferd.

Er schreibt, seit er 16 Jahre alt war. Es sei für ihn wie ein Tagebuch, „nur dichter“. Der Text, den er den Jugendlichen vorträgt, ist zwei Jahre alt. „Ich weiß noch genau, wie ich mich damals gefühlt habe“, sagt Lischke. „Und was seitdem passiert ist, wie ich mich verändert habe“.

Es ist erst sein zweiter Poetry Slam Workshop, doch der 21-Jährige hat Erfahrung, gibt andere Seminare zur Jugendbeteiligung etwa.

Mit der Länge eines youtube-Videos passten Poetry-Slam-Texte zur Zeit und zu Jugendlichen, findet er. Und es biete den Jugendlichen einen Zugang zur Literatur. Der Deutschunterricht sei zu trocken, das was ein Dichter gefühlt habe, im Moment das Schreibens, komme meist zu kurz, dabei sei das doch das Entscheidende, findet Lischke.

Aller Anfang ist schwer

Der Workshop ist der einzige, bevor es zur Dichterschlacht am 8. Juni kommen soll. Und so gibt Lischke den Jugendlichen ein paar Tipps und Tricks mit. Er teilt kleine Heftchen aus, in denen die Teilnehmer ihre Gedanken und Ideen festhalten können. Weil er weiß, dass Anfänge das Schwierigste sind, lässt er sie Textanfänge aufschreiben, alles, was ihnen einfällt. Dann werden die Zettel in die Mitte gelegt, vorgelesen und jeder darf sich einen Textanfang aussuchen, auch den eines anderen Teilnehmers. Dann legen die Jugendlichen los, beginnen zu schreiben.

Erstaunlich einfach sei das, sagt Hanno Heekeren. Der 15-Jährige hat vorher noch nie Texte geschrieben, dafür gehe es ihm überraschend leicht von der Hand, sagt er. „Ich will lernen wie es geht“, erklärt er, warum er bei dem Workshop mitmacht. Ihm gefalle das „leicht Duellierende“ an einem Poetry Slam, und er wolle ins „Lyrische reinschnuppern“, erzählt er. Er schreibe darüber, wie man einen Text schreibt, sagt Hanno. Wie das dann vortragen will, das denke er gleich mit.

So geht es auch Mirjana Mehling. Allerdings hat die 17-Jährige Hanno etwas voraus, sie schreibt seit der Grundschule eigene Texte, vor allem Gedichte und Kurzgeschichten. Man kann damit seine Kreativität ausleben, sagt sie. Trotzdem sei ein Anfang immer schwierig, erst wenn sie die ersten ein bis zwei Sätze habe, dann sei sie drin im Schreibprozess. Und in dem ist sie dank „Blumige Couch zu verkaufen“. Es ist einer der ersten Sätze, die Lischke in die Mitte gelegt hatte. Eine Parodie will sie daraus machen, erzählt die 17-Jährige. Es gehe in ihrem Text darum, eine Lücke im Leben zu füllen – mit jener blumigen Couch.

Das Schreiben also läuft gut, was ihr eher ein wenig Angst macht, ist der Vortrag. „Das wird mich Überwindung kosten“, sagt die Schülerin, zumal sie ja einen eigenen Text, mit eigenen Gedanken und Emotionen vortragen muss.

„Fuck fuck fuck“ lautet der erste Satz, für den sich Darleen Schitkowsky entschieden hat. Sie schreibe sonst meist ernste Texte, sagt die 17-Jährige. Doch sie wolle ihren Horizont erweitern, auch mal etwas Lustiges verfassen. So auf Befehl zu schreiben, falle ihr allerdings ein bisschen schwer, gesteht sie. Normalerweise passiere so etwas bei ihr spontan. Sie hat, zusammen mit Mirjana und anderen Freunden, auch schon eigene Texte in einem eigenen Blog veröffentlicht, erzählt sie. Bei dem Text, an dem sie jetzt sitzt, denkt sie gleich mit, wie sie ihn sprechen will. „Das hängt total zusammen“, sagt Darleen. Vor dem Vortrag in der Gruppe, der anschließend folgt, hat sie wenig Angst. „Schwieriger wird das beim Auftritt. Aber wenn ich drin bin, passt das schon“, ist sie zuversichtlich.

 (go)