Gerald Bader will für die Linke in die BVV einziehen. Foto: Linke

Gerald Bader will für die Linke in die BVV einziehen. Foto: Linke

Gerald Bader will die Linken in die Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf führen. Der 48-Jährige Sozialpädagoge ist Vorsitzender der Linken im Bezirk. Seine Schwerpunkte sind die Sozial-, die Jugend- und die Gesundheitspolitik.

Herr Bader, die Linke möchte in die Bezirksverordnetensammlung gewählt werden. Warum, denken Sie, braucht Steglitz-Zehlendorf die Linken?

Bader: In Steglitz-Zehlendorf wird endlich eine konsequent soziale Stimme in der BVV gebraucht, denn auch bei uns gibt es Kinder-, Jugend- und Altersarmut, welche aber kaum im Fokus der schwarz-grünen Zählgemeinschaft steht. Wir brauchen zum Beispiel ausreichend erschwingliche Kitaplätze (statt Luxuskitas mit horrenden Zusatzbeiträgen) und mehr bezahlbaren, barrierefreien Wohnraum. Hier muss der Bezirk endlich mehr Druck auf die Investor_innen ausüben und die Bedürfnisse der Menschen mit mittlerem und geringem Einkommen in den Mittelpunkt stellen; denn wer Geld hat, findet ohnehin eine Wohnung und hat auch keine Probleme mit der Teilhabe in der Gesellschaft. Eine Stimme für die LINKE. ist eine Stimme für die soziale Gerechtigkeit im Bezirk!

Sie werfen Schwarz-Grün vor, Politik für „die Wohlhabenden“ zu machen. Für wen machen Sie Politik und wie unterscheidet sich diese von den anderen Parteien?

Bader: “Die Menschlichkeit einer Gesellschaft zeigt sich nicht zuletzt daran, wie sie mit den schwächsten Mitgliedern umgeht”, hat Helmut Kohl gesagt. Die CDU hier im Bezirk scheint da anderer Auffassung zu sein. Schwarz-Grün hat die bezirkseigenen Senior_innenwohnungen einfach an den Liegenschaftsfonds abgegeben, ohne sich um eine Finanzierung von Landesseite zu bemühen. Für die verbliebenen Bewohner_innen bedeutet dies eine soziale Entwurzelung, denn die Degewo plant den Abriss der Gebäude in der Mudrastraße. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Torsten Hippe vertritt ja auch ganz offen die Meinung: Wohnen in Steglitz-Zehlendorf müsse man sich eben auch leisten können…, was impliziert: wer das nicht kann, muss den Bezirk eben verlassen. Diese unsoziale, unmenschliche Politik stellt den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft in Frage. Deswegen braucht es einen Politikwechsel! Es braucht die LINKE., die sich dafür einsetzt, dass Steglitz-Zehlendorf wie andere Bezirke Grundstücke in Erbpacht vergibt, verbunden mit Bauverpflichtungen und sozialen Auflagen und endlich seine Vorkaufsrechte aktiv wahr nimmt! Private Investor_innen müssen über städtebauliche Verträge mehr an den Kosten für Infrastruktur beteiligt werden statt wie in Lichterfelde Süd der Groth-Gruppe den roten Teppich auszurollen und durch die großzügige Veranschlagung des Grundstückswertes viele Millionen Euro zu verschenken, die wir aber für den Bau von Grundschulen, Kitas, Sportanlagen, Stadtteilzentrum und nicht zuletzt für die Pflege des Landschaftsparks auf dem Gebiet der ehemaligen Parks Range dringend brauchen.

Ihre Schlagworte im Wahlkampf sind „demokratisch“ und „ökologisch-sozial“ – was heißt das für Sie?

Bader: “Demokratisch” heißt für uns, dass die Bürgerinnen und Bürger im Bezirk mitbestimmen können. Es ist gut, dass es die Möglichkeit des Bürgerbegehrens/ des Bürgerentscheids gibt, jedoch muss das Quorum abgesenkt und die Unterschriftensammlung per Internet ermöglicht werden. Erfolgreiche Bürgerentscheide müssen außerdem rechtlich verbindlich sein, damit die BVV nicht wie im Fall der Kleingartenkolonie Oeynhausen einfach über den erfolgreichen Bürgerentscheid hinweggehen kann. Wir wollen einen Bürgerhaushalt einführen, bei dem die Menschen direkt über die Verwendung der Mittel mitentscheiden können. Zudem müssen BVV und Bezirksamt endlich im Internetzeitalter ankommen, sodass die BVV-Sitzungen wie in anderen Bezirken live auf der Internetseite des Bezirksamts übertragen werden.

“Ökologisch” bedeutet für uns zum Beispiel, dass der Natur- und Artenschutz auf dem Gelände der ehemaligen Parks Range unbedingt beachtet und die Pflege der Weidelandschaft langfristig gesichert wird; dass der 50 Jahre alte Atomreaktor Wannsee ohne Containment (Schutzhülle) mitten im Wohngebiet sofort stillgelegt wird; dass die Stammbahn wieder reaktiviert wird, sodass eine Regionalbahnverbindung von Brandenburg (Golm, Werder, Potsdam-Hauptbahnhof) über Zehlendorf, Steglitz, Schöneberg bis zum Potsdamer Platz den Autoverkehr und die S1 entlastet; und nicht zuletzt, dass die Radwege im Bezirk saniert und ausgebaut und ausreichend Fahrradabstellplätze geschaffen werden.

“Sozial” ist aus unserer Sicht, wenn der Zugang zu Bildungsangeboten kostenfrei ist, ob Kita, Schule, Berufsausbildung oder Studium, ob gesundes Kita- und Schulmittagessen oder ob Lernmittelfreiheit (Abschaffung des Eigenanteils von 100 Euro pro Kind und Schuljahr für Schulbücher), damit Bildung nicht mehr vom Geldbeutel der Eltern abhängt. Alle Kinder sollen die Möglichkeit haben, eine Regelschule zu besuchen (Inklusion). Dafür müssen endlich auch die materiellen und personellen Voraussetzungen geschaffen werden!

Wie oben bereits geschildert setzen wir uns für ausreichend bezahlbaren Wohnraum für alle Menschen im Bezirk ein. Dies schließt besondere Bedarfsgruppen (junge Menschen/ Familien/ Senior_innen mit wenig Einkommen, Wohnungslose, Geflüchtete) ein, daher muss das geschützte Marktsegment wieder aufgebaut werden. Zweckentfremdung von Wohnraum muss stärker bekämpft und Investor_innen mehr als bisher durch städtebauliche Verträge an den Infrastrukturkosten/ an Schaffung bezahlbaren Wohnraums beteiligt werden. Keine Rendite mit der Miete!

Sie schreiben in Ihrem Programm, dass Sie die Kompetenzen des Bezirks erweitern wollen. Welche Kompetenzen wären dies und wie wollen Sie dies angesichts von Personalmangel und Haushaltsdefizit umsetzen?

Bader: Der Personalabbau in den Bezirken muss endlich ein Ende haben! Wir setzen uns für eine sofortige Einstellungs-und Ausbildungsoffensive ein, denn bis 2025 wird die Hälfte der Beschäftigten der Berliner Verwaltung allein aus Altersgründen ausscheiden, das heißt jährlich sind in Berlin bis zu 5.000 Stellen neu zu besetzen. Die Befristung der Beschäftigungsverhältnisse im Öffentlichen Dienst muss abgeschafft werden; es braucht eine wertschätzende und nachhaltige Tarif- und Besoldungsstruktur und familienfreundlichere Arbeitszeiten.

Wir wollen die Bezirke finanziell in die Lage versetzen, eigenständig politische Schwerpunkte zu setzen. Dazu muss das aktuelle Finanzierungssystem (Kosten- und Leistungsrechnung) so verändert werden, dass es Zuschläge für qualitativ gute Leistungen gibt und dass die Leistungsbereiche wie beispielsweise Wohngeld, familienunterstützende Hilfen oder die Grundsicherung, auf die der Bezirk keinen Einfluss hat, aus dem System heraus genommen werden. Da diese Umstrukturierung einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen wird, sollen jedem Bezirk zunächst politische Verstärkungsmittel in Höhe von jährlich 7,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden, über die sie frei verfügen können. Zudem wollen wir die Befugnisse des Rates der Bürgermeister zum Beispiel durch ein aufschiebendes Veto-Recht stärken, sodass der Senat die Position der Bezirke wirklich ernst nehmen und mit ihnen verhandeln muss.

Welche Lösungen haben Sie für das Haushaltsdefizit und wie wollen Sie eine Haushaltssperre verhindern?

Bader: Generell waren die Bezirke über Jahrzehnte unterfinanziert und konnten mit wenig Finanzmitteln und Personal die wachsenden Aufgaben nicht bewältigen, ob nun bei Bürger-, Jugend- oder Bauämtern… Daher muss den Bezirken mehr Geld zur Verfügung gestellt werden, zum Beispiel für die Instandhaltung der Gebäude oder mehr Fachpersonal. Zudem braucht es ein Sanierungs- und Investitionsprogramm, um den steigenden Bedarf an Senioreneinrichtungen, Nachbarschaftszentren, Jugendfreizeit- und Kultureinrichtungen, Sportstätten usw. zu decken. Die Sanierung der bezirklichen Einrichtungen und Dienstgebäude muss ebenfalls Teil dieses Programms sein.

Dass ausgerechnet unter einer schwarz-grünen Zählgemeinschaft in den letzten Jahren alle Rücklagen aufgebraucht wurden (welche nach außen gerne mit soliden Finanzen wirbt), kann ihr teilweise schon zur Last gelegt werden, zum Beispiel bei der Verschwendung von 1,5 Mio. Euro für die Planung der energetischen Sanierung des Rathauses, welche aber nie realisiert wurde.
Eine Haushaltssperre kann aus Sicht der LINKEN. nur verhindert werden, wenn den Bezirken – und damit auch Steglitz-Zehlendorf – vom Land mehr Geld für die Erledigung ihrer Aufgaben zur Verfügung gestellt wird. Ein radikaler Sparkurs wäre sonst unausweichlich, welcher für die “freiwilligen” Aufgabenbereiche des Bezirks wie Jugendfreizeiteinrichungen, Musikschule, Senioren- Sport- oder Wirtschaftsförderung usw. einen massiven Abbau bis hin zur Schließung bedeuten könnte. Das darf nicht sein! Deswegen: ausreichende Finanzierung der Bezirke sicher stellen!

Eines der dringendsten Probleme ist der Sanierungsstau an den Schulen in Höhe von mehr als 450 Millionen Euro. Wie wollen sie den abbauen?

Bader: Wie schon gesagt, hat das Land die Bezirke mit zu niedrigen Zuweisungen für den baulichen Unterhalt quasi am ausgestreckten Arm verhungern lassen. Die Sonderprogramme, die von der aktuellen Kassenlage abhängig sind, und der Mangel an Bau-Fachpersonal bieten nicht die Rahmenbedingungen, um Schulsanierung und -neubau grundsätzlich, systematisch und konzeptionell anzugehen.

Mittlerweile sind circa 5,5 Milliarden Euro notwendig, um den Sanierungsstau an den Berliner Schulen zu beheben. Diese Summe kann – auch angesichts dessen, dass ebenfalls Straßen, Brücken und Krankenhäuser saniert werden müssen – nicht aus dem laufenden Haushalt finanziert werden. Daher schlägt die LINKE die Gründung eines Landesbetriebs Schulbau vor, welcher für die Sanierung der Schulgebäude und den Schulneubau verantwortlich wäre. Dieser soll an die Investitionsbank Berlin oder eine öffentliche Wohnungsbaugesellschaft angegliedert werden. Über diese könnten Kredite aufgenommen werden, ohne dass die Schuldenbremse wirksam wird und das historisch niedrige Zinsniveau würde für umfassende Investitionen in die Berliner Schulen genutzt. Die Kredite könnten mit den Mitteln der bestehenden Sonderprogramme refinanziert werden. Die Bezirke blieben Eigentümer der Schulgebäude und wären weiterhin für Verwaltung, Bewirtschaftung und baulichen Unterhalt der Schulen verantwortlich, wofür sie mehr Geld aus dem Landeshaushalt erhalten sollen als bisher. Mit diesem Modell könnten alle Schulen in zehn Jahren saniert werden. Wichtig ist nicht, wer die Schulen saniert, sondern dass es endlich passiert!

Sie fordern die Einführung eines Bürgerhaushaltes für Steglitz-Zehlendorf. Welchen Umfang soll dieser haben und wie soll er realisiert werden?

Bader: Mit dem Bürgerhaushalt erhielten die Menschen im Bezirk die Möglichkeit, direkt über die Verwendung von Haushaltsmitteln mitzubestimmen. Die LINKE. schlägt vor, ein Modellprojekt zu starten und anschließend zu entscheiden, ob dieses jährlich fortgesetzt wird. Ein Haushaltsumfang von circa 50.000 Euro für das erste Jahr wird von Expert_innen als sinnvoller Betrag angesehen. Jeder der sieben Ortsteile im Bezirk sollte je 5.000 Euro zur Verfügung haben. Die restlichen Kosten entfallen auf die Haushaltebefragung und den Internetauftritt. Einzureichende Vorschläge für den Bürgerhaushalt sollten auf steuerbare Leistungen beschränkt sein, zum Beispiel Stadtteil-, Kinder-, Jugend-, Seniorenprojekte, öffentliches Straßenland, Grünflächen, Kultur- und Wirtschaftsförderung etc. Jeder Mensch, der in Steglitz-Zehlendorf wohnt oder arbeitet, könnte einen Vorschlag einreichen. Eingereicht werden könnten Vorschläge bei den Runden Tischen, per Internet oder schriftlich per E-Mail/ Post. Es müsste ein transparenter, bürgernaher Entscheidungsprozess organisiert werden, mit öffentlichen Diskussionen und niedrigschwelligen Beteiligungsmöglichkeiten. Die Bezirksverordnetenversammlung müsste letztlich darüber entscheiden, welche der von den Bürger_innen priorisierten Vorschläge in den Haushalt aufgenommen werden und sollte anschließend den Bürger_innen detailliert (auch im Internet) über die Umsetzung berichten. In Lichtenberg ist der Bürgerhaushalt ein wirkliches Leuchtturmprojekt. Steglitz-Zehlendorf könnte nur davon profitieren, ein Modellvorhaben „Bürgerhaushalt“ zu wagen.

(go)