Streichen für den Zebrastreifen: Das Schulorchester der Dunant Grundschule demonstrierte am Donnerstag für einen sicheren Schulweg. | Foto: Daniela von Treuenfels

 

Musik hilft immer – möglicherweise auch bei der Bitte um einen Zebrastreifen? Mit unter anderem dieser Forderung beteiligten sich Kinder der Dunant Grundschule am Donnerstag am Aktionstag „100 Schulzonen“.  

„Vor allem am Morgen vor Schulbeginn ist hier immer viel Verkehr“, sagt die junge Geigerin, die sich gerade daranmacht, auf ihrem Hocker Platz zu nehmen. „Ich kenne ein Mädchen, die nur ein paar Häuser weiter wohnt“, erzählt die Grundschülerin und zeigt auf ein schmuckes Wohnhaus. Doch das Kind werde jeden Tag von den Eltern zur Schule begleitet, „weil sie Angst hat“.

Es ist ein sonniger Spätsommertag, und die Gritznerstraße zwischen Schildhorn- und Treitschkestraße erlebt ein Konzert der besonderen Art. Weil die Schülerinnen und Schüler der Dunant-Grundschule sich auf dem Schulweg nicht sicher fühlen, äußern sie ihren Protest. Auf ihrem selbst gemalten Zebrastreifen an der Kreuzung Gritzner- und Treitschkestraße singen, streichen und trommeln sie, umringt von Mitschülern, Eltern und Pädagogen.

Insgesamt sind es etwa 150 Kinder, die die Gritznerstraße vor ihrer Schule vollständig in Beschlag genommen haben. Hier wird gemalt, gespielt – und demonstriert. Am anderen Ende an der Schildhornstaße macht eine kleine Gruppe mit einem Transparent und selbstgemalten Schildern lautstark auf sich aufmerksam. Zu Fuß zur Schule! Rufen sie, und „Lasst das Auto stehen!“.

Die Grünphase der Ampel an der Schildhornstraße ist zu kurz – die Kinder protestieren. | Foto: dt

 

Ein kleiner Junge tut sich besonders hervor, er steht etwas abseits, ist aber ausgesprochen engagiert. „Zu Fuß zur Schule“! ruft er, und ein fröhliches „Ja“ erhalten wir als Antwort auf die Frage, ob er denn selbst auch zur Schule läuft. Und woher kommst du dann? „Aus der Ukraine“, antwortet er voller Stolz.

Das wegen des Krieges aus der Heimat geflüchtete Kind engagiert sich an seinem Zufluchtsort dafür, aus der Welt einen besseren Ort zu machen. Berührt und beeindruckt wenden wir uns den Erwachsenen zu: Elternvertreterin Judith von Falkenhausen jongliert routiniert durch das Straßenevent: beantwortet Fragen, führt dem Fernsehteam Gesprächspartner zu und begrüßt die Lokalpolitik, die mehrheitlich aus Grünen Volksvertretern aus BVV, Abgeordnetenhaus und Bundestag besteht. Aber auch Stadträtin Carolina Böhm von der SPD ist gekommen. Sie alle unterstützen die Wünsche der Schulgemeinschaft. Leider haben sie aber in Sachen Verkehrsberuhigung wenig zu sagen. Wo und wann irgendwo in der Stadt Zebrastreifen auf eine Straße aufgebracht werden, entscheidet die Senatsverkehrsverwaltung. Wer das (CDU-geführte) Haus in Bewegung bringen will, muss energisch auftreten.

Das dritte Mal in diesem Jahr hat Elternvertreterin von Falkenhausen die Gritznerstraße komplett für den Verkehr sperren lassen. Die Vorsitzende der Gesamtelternvertretung hat mit vier anderen Eltern einen „Verkehrsausschuss“ an der Schule gegründet, um ihre Forderungen durchzusetzen: die Grünphase der Ampel an der Schildhornstraße soll verlängert werden und weniger Autos sollen langsamer fahren. Die Gritznerstraße soll zur Schulzone werden.

Insgesamt setzen sich am Donnerstag und Freitag dieser Woche 18 Schulen in ganz Berlin für Schulzonen ein. Sie sind Teil der Kampagne „100 Schulzonen“ des Vereins „changing cities“, der sich für Städte engagiert, in denen sich alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt den öffentlichen Raum teilen. Da bisher Fußgänger und Radfahrer benachteiligt waren, muss nach Ansicht der Aktivisten diesen Gruppen (wieder) mehr Raum gegeben werden.

Fröhliche Demo für die Schulzone in der gesperrten Gritznerstraße. | Foto: dt

 

Schulzonen sollen vor allem Kinder schützen. „In Lichtenrade wurde einen Monat lang eine temporäre Schulstraße vor der Bruno-H.-Bürgel-Schule eingerichtet“, sagt Ragnhild Sørensen, Sprecherin von „changing cities“. „Die Auswirkungen waren nach nur vier Wochen spürbar: weniger Elterntaxis, weniger Lärm. Kein Wunder, dass sich sowohl Eltern als auch Anwohnende eine Verstetigung wünschen.“

In Steglitz-Zehlendorf haben sich betroffene Schulen zu einem „Netzwerk Schulsicherheit“ zusammengeschlossen. Temporäre Schulzonen stehen hier auch auf der Wunschliste, aber einige bevorzugen weniger drastische Maßnahmen: Zebrastreifen, längere Ampelschaltungen, Tempo 30, Fahrradwege, Parkverbote, Verkehrszeichen, Dialogdiplays oder große Fahrbahnmarkierungen.

Der zuständige Stadtrat Urban Aykal (Grüne) hat Verständnis. “Die Schulwegsicherheit ist mir ein großes Anliegen“. Als bereits umgesetzte Vorhaben nennt der Stadtrat beispielsweise die  Gehwegvorstreckungsmarkierung an der Lothar-Bucher-Straße/Schönhauser Straße  an der Sachsenwald-Grundschule oder die Bodenmarkierung „Tempo 30“ in der Leo-Baeck-Straße  bei der Schweizerhof-Grundschule.  Darüber hinaus seien zehn weitere Dialog-Displays bestellt beziehungsweise bereits eingetroffen, die fünf Standorte würden jetzt festgelegt. „Ziel ist, in den kommenden Jahren im gesamten Bezirk die Schulwegsicherheit weitestgehend gewährleistet zu haben“, so Aykal.

Zur Dunant-Grundschule äußert sich der Verkehrsstadtrat zurückhaltend. „Ich war bereits dreimal vor Ort, die Schulwegsicherheit würde ich dort gerne im Gesamtkontext mit der Kopernikus-Schule betrachten.“ Eine große Herausforderung sei die Schildhornstraße, hier liege die Zuständigkeit wiederum bei der Senatsverwaltung. Auch das veränderte Verkehrsaufkommen seit der Schließung des Schlangenbader Tunnels spiele eine Rolle.

Und der Zebrastreifen? Den Segen dafür erteilt und das Geld verteilt die Senatsverkehrsverwaltung. Wird der Bezirksstadtrat sich bei der übergeordneten Behörde für weiße Streifen auf der Gritznerstraße starkmachen? Hier stauen sich nicht nur morgendliche Elterntaxis, sondern diese Stelle überqueren auch die Schulkinder, wenn sie zwischen Schulgebäude und Hort unterwegs sind.

Urban Aykal ist auch in dieser Frage eher distanziert: „An der genannten Stelle haben wir bereits gut ausgebaute Gehwegvorstreckung. Wir haben viele Grundschulen, bei denen nicht mal diese existieren.“ Doch der Stadtrat verspricht, in den kommenden Wochen sich das noch einmal vor Ort anzusehen. „Problematisch sind dort die Sichtbeziehungen, vor allem, wenn direkt an der Kreuzung im 5-Meter-Bereich gehalten wird. Dies werden wir neben einer Möglichkeit des Zebrastreifens ebenfalls prüfen.“

Es sieht danach aus, als müssten die Kinder der Dunant-Grundschule noch einmal die Streichinstrumente auspacken.

 

 

Daniela von Treuenfels 

 

Weitere Informationen:  

https://www.berlin.de/sen/uvk/mobilitaet-und-verkehr/verkehrsplanung/fussverkehr/autofreie-kieze-und-strassen/temporaere-spielstrassen/ 
https://changing-cities.org/kampagnen/100schulzonen/  

Kidical Mass: 

Am Wochenende demonstrieren Familien mit Fahrraddemos in ganz Berlin für sicheres Radfahren für Kinder. In allen Bezirken sind Kinder, Jugendliche und ihre Eltern am Samstag und am Sonntag radelnd unterwegs, um sich für eine kindgerechte Verkehrspolitik einzusetzen.
Tour Steglitz-Zehlendorf

Samstag, 23. September, 14:30 Uhr
Start: U-Bahnhof Rathaus Steglitz
Ziel: Sderotplatz, Zehlendorf
https://berlin.adfc.de/artikel/kidical-mass-am-23092023-in-steglitz-zehlendorf