1873 wurden diese Wohnhäuser für die Angestellten der Bahn errichtet. Zwischen den Häusern wurde damals Landwirtschaft betrieben. Foto: Denkmalschutzbehörde

 

Die Eisenbahnerhäuser an der Köhlerstraße hat die Denkmalschutzbehörde Steglitz-Zehlendorf zum Denkmal des Monats Juni erkoren.

Als Johann Anton Carstenn 1865 die hochverschuldeten Güter Lichterfelde und Giesensdorf kaufte, um dort eine Villenkolonie zu errichten, war ein wesentlicher Grund für die Wahl dieses Gebietes das Vorhandensein von zwei Eisenbahnlinien, die nach Berlin führten.

Haltepunkte oder gar Bahnhöfe gab es auf dem Gebiet der geplanten Villenkolonie allerdings noch nicht. Dies zu erreichen war für Carstenn von essentieller Bedeutung, denn ohne Bahnanbindung nach Berlin wäre die Villenkolonie wenig attraktiv gewesen. So trat Carstenn schon bald in Verhandlungen mit den Eisenbahngesellschaften ein. Schließlich wurde an jeder der beiden Bahnlinien der Bau eines Bahnhofs bewilligt, wofür Carstenn zahlreiche Zugeständnisse machen musste. Neben einer Garantie von 600 Talern Jahreseinnahme übernahm Carstenn den Bau der Bahnhöfe und überließ den Eisenbahngesellschaften zahlreiche Grundstücke für die zu den Bahnanlagen gehörende Infrastruktur. Eines dieser Grundstücke war das etwa 25.000 Quadratmeter große Gelände zwischen Curtiusstraße, Jägerndorfer Zeile, Köhlerstraße und Friedrichstraße.

Im Jahre 1873 beantragte die Berlin-Potsdam-Magdeburger-Eisenbahngesellschaft auf diesem Grundstück den Bau von vier Beamtenwohnhäusern nebst Stallungen. Die Lage des Grundstücks war hierfür sehr günstig, die Köhlerstraße, damals hieß sie noch Bahnstraße, lag nur wenige hundert Meter von dem 1872 eröffneten Vorortbahnhof Lichterfelde, heute S-Bahnhof Lichterfelde-West, entfernt. So konnten die oft bis nach Mitternacht arbeitenden Bahnmitarbeiter nach der Arbeit in wenigen Minuten zu Fuß nach Hause gelangen.

Es entstanden vier baugleiche Häuser mit großzügigen Mietwohnungen, die sich um eine kreuzförmige Anlage mit Kleintierställen und Abortanlage gruppierten. Die sparsam verzierten ziegelsichtigen Gebäude im Stil des Spätbiedermeier gehören zu den ältesten Gebäuden der Villenkolonie Lichterfelde. Zu einer Zeit, in der in Berlin der Mietskasernenbau mit den entsprechenden hygienischen Mängeln üblich war, wurden die Häuser dort so errichtet, dass jede Wohnung ausreichend mit Licht und Luft versorgt war. Noch heute fallen die Gebäude durch ihre Höhe auf. Im damals sehr ländlichen Lichterfelde war die viergeschossige Bauweise äußerst ungewöhnlich. Außer dem Bahnhof und vereinzelten Villen bestand Lichterfelde-West damals überwiegend aus Ackerland.

Pläne für eine Weiterentwicklung des Grundstücks von 1873 wurden nie ausgeführt, stattdessen wurde die noch unbebaute Fläche von 20.000 Quadratmeter von den Eisenbahnern als Ackerfläche zur Selbstversorgung genutzt. Ein anschauliches Bild vom Alltagsleben in den Eisenbahnerhäusern vermitteln die Erinnerungen von Bernhard Lehmann, die 1979 im Steglitzer Lokalanzeiger veröffentlicht wurden:

„Jedes Haus hatte acht geräumige Wohnungen mit ebenso geräumigen Keller- und Bodengelaß und Ställen zwischen den Häusern, die kreuzartig sehr praktisch angelegt, von vier gewaltigen Akazien beschattet und vom im Frühling herrlich blühenden Flieder eingefasst waren. In den Ställen meckerte die ‚Eisenbahnerkuh’, die Ziege. Zwischen ihren Füßen hoppelten ein paar Kaninchen als zukünftige Festbraten. In der Mitte des Stallkreuzes waren die Klosetts für die zweiunddreißig Mieter- je vier für ein Haus- untergebracht. Fast alle Eisenbahner waren damals Bauernsöhne und dank des die Häuser umgebenden reichlichen Ackerlandes noch immer mit der Landwirtschaft eng verbunden. So konnten sie, die fast immer kinderreich waren, die Familie mit dem Ertrag des Ackers recht gut unterstützen.

Im Haus vier wurde ich im Jahre 1895 geboren. Zu der Zeit gab es noch keine Wasserleitungen in den Wohnungen. Zwischen den Häusern stand eine Pumpe. Von hier musste das Wasser zu den vier Treppen hohen Wohnungen getragen werden. Eine Abwasseranlage war aber schon vorhanden. Neben den Häusern gab es einen weiträumigen Wäscheplatz. Im Winter legten die Leute auf dem Trockenplatz eine etwa 20x20m große Natureisbahn an. Das Wasser musste mit Wäschezubern von einer Pumpe geholt werden. Es war eine fröhliche Mühe, bei der alle mitmachten.

Im Sommer wurde auf eben diesem Platz ein Erntefest gehalten. Mit blumengeschmückten kleinen Wagen, von Ziegen gezogen, gab’s einen Umzug um die vier Beamtenhäuser.“

Die Nutzung durch Mitarbeiter der Bahn blieb über 100 Jahre unverändert. Auch die Gebäude erfuhren kaum Veränderungen: 1903 erhielt jede Wohnung ein eigenes WC im Treppenhaus, nach dem Krieg wurden Bad und WC innerhalb der Wohnungen eingerichtet.

Das ehemalige Zentrum der Anlage mit Stallungen und Abortanlagen ist in den1960er Jahren durch den Bau von 16 Garagen ersetzt worden. Das große Grundstück ist inzwischen geteilt worden und beherbergt neben Wohnungsbauten entlang der Friedrichstraße die Athene-Grundschule an der Curtiusstraße.

Heute befinden sich die Häuser in Privatbesitz. Pläne, anstelle der Garagen ein fünftes Wohngebäude zu errichten, wurden nicht genehmigt, stattdessen aber der Anbau von Balkonen als ein Zugeständnis an zeitgemäße Wohnbedürfnisse.

 

 

Sabine Schmiedeke/Denkmalschutzbehörde