Wolf-Dieter Glatzel sammelte die Berichte von Zehlendorf über ihre Erinnerungen an das Kriegsende. Foto: Gogol

Mütter, die erst ihre Kinder und dann sich selbst umbringen, vergewaltigte Frauen, Elfjährige, die in Leichenbergen stehend um den längst verlorenen Endsieg kämpfen, Desertierte, die wie Puppen an Laternen hängen – auf mehr als 300 Seiten hat Wolf-Dieter Glatzel Erinnerungen von Zehlendorfern an das Ende des Krieges 1945 zusammengetragen. Seine Erkenntnis: „Krieg ist schrecklich, mein Kind“ – so lautet auch der Titel des Buches, das eigentlich gar nicht geplant war.

Wolf Dieter Glatzel ist Mitglied des Männertreffs der Gemeinde „Zur Heimat, der regelmäßig über verschiedene Themen diskutiert. Eines Tages berichteten Heinz-Joachim Erxleben und Klaus Weiser über das Ende des Zentralpostamtes 1945. Plötzlich begannen die Erinnerungen der Männer zu sprudeln. „Jeder erzählte, wie es im damals ergangen ist“, erinnert sich Glatzel. Und dann waren sie sich einig: Diese Geschichten müssen festgehalten werden. Das übernahm Wolf-Dieter Glatzel, der auf seinem Diktiergerät grausame, bewegende aber manchmal auch schöne Geschichten festhielt.

So erzählte ihm eine Nachbarin, wie sie von den russischen Soldaten vergewaltigt und von ihrem Bruder gerettet wurde. Christoph Rhein, der als Jugendlicher begeistert war von Adolf Hitler, erklärt, wie es dazu kam; Christian Penzlin berichtet, wie sein Vater in der Bäckerei seines Großvaters desertierte, Jürgen Patzschke erinnert sich daran, wie er als Fünfjähriger seinen Vater zum letzen Mal sah.

„Ich war bei allen Geschichten sehr bewegt. Manchmal kam Wut hoch“, erzählt der 72-Jährige von seiner Recherche. Der erschütterndste Beitrag für ihn sei der eines Vertriebenen gewesen, sagt Glatzel. „Ich bin in West-Berlin aufgewachsen und habe nie viel von den Vertriebenen gehalten“, gesteht er. Sie seien die Ewig-Gestrigen gewesen, die ihre Heimat wiederhaben wollten. Erst jetzt sei ihm klar geworden, was diese Menschen durchgemacht hätten.

Oftmals tauchten in den Erinnerungen die „bösen Sowjets“ auf, sagt er. Doch es ginge ihm nicht darum, sie als die Bösen per se hinzustellen. „Das hatte Ursachen“, sagt Glatzel. Und auch die hat er mit aufgenommen in sein „Geschichtslesebuch“. Er legt Hintergründe dar, erläutert, was Konzentrationslager waren, die SS und die Bedeutung des 20. Juli 1944, beschreibt den Vormarsch der Roten Armee in Zehlendorf

Aber nicht nur Schrecken wollte Glatzel aufzeigen. „Nur Schreckgeschichten kann kein Mensch vertragen“, findet er. Und so sind auch Berichte von Zeitzeugen dabei, die nur wenig vom Krieg mitbekommen haben oder sich im Nachhinein auch an lustige Geschichten erinnern können.

Es mag viele Bücher über den Zweiten Weltkrieg und deren Ende geben, in dem von Glatzel aber erzählen damalige und heutige Zehlendorfer von ihren Erlebnissen. Es ist geschrieben aus der „Graswurzelperspektive“, sagt der Herausgeber, der das Buch auch an Schulen in Zehlendorf geschickt hat. Durch den Lokalbezug bekämen die Schüler ein anderes Gefühl für und eine andere Perspektive auf das, was 1945 in ihrer Heimat geschah.

In dem Buch gehe es aber nicht nur um einen Blick nach hinten, sondern auch in die Gegenwart und nach vorne. Mit Mauerfall und dem Zerbrechen der beiden Machtblöcke habe man gedacht, es beginne eine Zeit des Friedens, sagt Glatzel. Doch das sei ein Irrtum gewesen „Der Krieg hat heute eine andere Dimension“, sagt Glatzel und ergänzt: „Krieg ist keine Frage von gestern, er ist aktuelle denn je“, auch für deutsche Soldaten. Deshalb wünscht sie Glatzel eine neue Friedensbewegung, eine neue Friedenspolitik.

Das Buch „Krieg ist schrecklich, mein Kind!“ gibt es zum Selbstkostenpreis von 20 Euro bei Wolf-Dieter Glatzel, wolf-dieter@glatzel-online.de, oder Ludwig Schlottke, Telefon: (030) 8 17 74 04, E-Mail: ludwig@schlottke.de

 (go)