Verkehrswende: Reif für die Mediation

Verkehrswende: Reif für die Mediation

Leitfaden zur Verkehrsberuhigung in Wohnquartieren, Foto: Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt Abteilung Verkehr

 

Der Streit um den den Platz auf den Straßen zwischen Senatsverkehrsverwaltung, Bezirken und Verkehrswendebewegung ist festgefahren. Die Fronten sind verhärtet. Den Stadträten kommt die Rolle des Vermittlers zu.

Donnerstag Abend (6. Juli): In den Postkästen der Redaktionen landet eine Mitteilung des Vereins „Changing Cities“. Die Verkehrsverwaltung habe zwei Infobroschüren aus ihrem Online-Angebot entfernt, die Leitfäden zu Kiezblocks und für die Umsetzung von Fahrradstraßen seien nicht mehr verfügbar. In beiden Publikationen wird Interessierten Wissenswertes zur Umsetzung an die Hand gegeben: rechtliche Grundlagen, Praxisbeispiele, Verfahrensschritte.

Beispiel Kiezblocks: Die rund 40-seitige Broschüre beschreibt detailliert das Verfahren zur Einrichtung eines verkehrsberuhigten Wohngebietes. Vom Einwohnerantrag bzw. einer Absicht des Bezirksamtes über die Erarbeitung eines Verkehrskonzeptes über die Beteiligung der Öffentlichkeit bis zur Umsetzung. Für jeden Schritt gibt es Hinweise, Tipps, Aufklärung über den Verfahrensablauf und Gestaltungsmöglichkeiten. Perspektivisch sollen dem „Hauptdokument“ weitere vertiefende „Steckbriefe“ folgen – ein entscheidender Steckbrief fehlt, dazu später.

Es ist möglich, dass der Inhalt der Publikationen bei der gerade frisch ins Amt gekommenen Verkehrssenatorin auf wenig Gegenliebe stößt. Von „unerwünschten motorisierten Durchgangsverkehren“ ist im „Leitfaden zur Verkehrsberuhigung von Kiezen“ die Rede, und von der „Umgestaltung von Berliner Kiezen unter den Aspekten der Mobilitätswende“. Mit Blick auf den Umgang Manja Schreiners mit geplanten Radwegeprojekten (unser Bericht hier) und die befremdliche Kommunikation der CDU-Politikerin (unser Kommentar hier) könnte man denken, dass die Broschüren nicht den Beifall der Senatorin finden.

Verkehrswende. Was beim Einen Hoffnung schürt, löst bei der Anderen extremen Unmut aus – das Thema polarisiert. Was genau die Position der Senatorin ist, ist unklar. Keine Politik gegen das Auto, sondern mit dem Auto wolle sie machen, sagte sie kürzlich im Abgeordnetenhaus. Konkreter wurde sie bislang nicht. Hat die Verkehrssenatorin Hilfestellungen zur Umsetzung von Projekten der Öffentlichkeit entzogen, weil sie ein Zurückdrängen der PKW zum Ziel haben?

Die Aktivisten der Fahrrad-Lobby sind jedenfalls voller Misstrauen. Changing Cities beklagt einen „Generalangriff auf die Verkehrswende. Und einen gegen die Informationsfreiheit.“ „Es ist skandalös, dass fachliche Grundlagen, die von kompetenten Mitarbeiterinnen des eigenen Hauses erarbeitet wurden, aus politischen Gründen zensiert werden!”, sagt Hans Hagedorn von Changing Cities.

Wir fragten am Freitag bei der Verwaltung nach dem Grund für das Vorgehen. Der Ordnung halber sei erwähnt, dass wir die fraglichen Dokumente erst am Montag – erfolgreich – auf den Senatsseiten gesucht haben. Was vor allem daran lag, dass unsere Anfragen zurückgewiesen wurden. Die Weiterleitung der Mitteilung von changing cities wurde nicht akzeptiert. Die Mail wurde erst erfolgreich zugestellt, als die Originalnachricht entfernt worden war. Beantwortet wurde sie nicht.

Nun bekommen Mailserver nicht einfach so einen Schluckauf. Man kann ihnen vielmehr sagen, bei welchen Vorkommnissen sie ihren Service verweigern sollen. Die Adresse der Sprecherin von changing cities passierte die Schranke nicht mehr. Die Verwaltung hat offenbar beschlossen, den Kontakt zu verweigern – das Ende der demokratischen Auseinandersetzung.

Ein technischer Fehler ist unwahrscheinlich, eine Weiterleitung an den Steglitz-Zehlendorfer Verkehrsstadtrat Urban Aykal funktionierte problemlos. Aykal ist einer von insgesamt acht Grünen Stadträten, die in Berlin für die bezirkliche Verkehrsplanung zuständig sind. Als solcher ist er Unterzeichner eines Forderungskatalogs aus acht Punkten. Die Bezirkspolitiker wünschen vor allem eine zügige Entscheidung, damit zugesagte Fördergelder noch in diesem Jahr verbaut werden können. Unter 6. heißt es: „Wir erwarten, dass die Senatsverwaltung die Zuständigkeit der Bezirke für die Nebenstraßen respektiert und sich nicht durch Rücknahme von Finanzierungszusagen in bezirkliche Zuständigkeiten einmischt.“

Das ist ein heikler Punkt. In den Bezirken gibt es für Kiezblocks kein Budget. Die Maßnahmen werden aus der Senatskasse bezahlt. Die Lokalpolitik hat also die Aufgabe, einen Teil des Mobilitätsgesetzes umzusetzen, ohne eine verlässliche Finanzierungsgrundlage zu haben. Oder anders gesagt: Die Bezirke sind auf den guten Willen des Senates angewiesen. Eine Art Leitlinie, wann eine geplante Maßnahme finanziert wird, gibt es nicht. Ein „Steckbrief“ im Leitfaden zur Umsetzung verkehrsberuhigter Wohnviertel (siehe oben) wartet auf seine Erstellung – Inhalt soll sein: „aus welchen Titeln und mit welchen Verfahrensweisen die Bezirke Kiezblocks finanzieren können.“

Verkehrsberuhigte Kieze entstehen in der Regel auf Initiative von Anwohnern. Stadträte haben hier die Rolle der Moderatoren: Leute zusammenbringen, diskutieren, entscheiden. Der Steglitz-Zehlendorfer Stadtrat Urban Aykal berichtet, dass es konkrete Kiezblockinitiativen im Südwesten derzeit nicht gibt. „Gleichwohl bin ich seit Beginn meiner Amtszeit mit Grundschulen und Eltern im Hinblick auf die Schulwegsicherheit in einem sehr intensiven Austausch“, so Aykal. „Ich habe bereits über zwanzig Vor-Ort-Termine vor den Schulen wahrgenommen und dabei angeregt, dass die Eltern in ihren jeweiligen Schulen aktive Arbeitsgruppen gründen und sich dort organisieren, damit sie ihre Wünsche und Forderungen bündeln können.“

Das Ziel sei, im Umfeld jeder Grundschule in Steglitz-Zehlendorf die Schulwegsicherheit zu gewährleisten bzw. zu fördern. „Aktuell sind wir dabei, die Maßnahmen sukzessive zu prüfen und anzuordnen“, sagt der Stadtrat. „Mit Gehwegvorstreckungen, Berliner Kissen als Bremsschwellen, Zebrastreifen und weiteren entschleunigenden Verkehrsmaßnahmen werden nicht nur die Schulwege sicherer, sondern das Wohngebiet um die Schule insgesamt verkehrsberuhigt.“

Parallel dazu sollen für einzelne Wohngebiete umfangreiche Verkehrsuntersuchungen eingeleitet werden, mit Beginn im Umfeld der Crailsheimer Straße in Steglitz und Leo-Baeck-Straße/Gutzmannstraße in Zehlendorf.

Aykal muss überzeugen – nicht nur autofahrende Verkehrsteilnehmer, sondern auch die übergeordnete Behörde. „Die Schulwegsicherheit in das Zentrum der Verkehrsberuhigung zu setzen, wird ein Weg sein, den hoffentlich auch der Senat stark unterstützt.“

Angesichts einer verstörend kommunizierenden und diskursverweigernden Verkehrssenatorin kommt nicht nur den Grünen Stadträten eine vermittelnde Rolle zu. Im Interesse von Menschen in belasteten Wohngebieten oder Schulkindern müssen sie alles einsetzen, was sie an Pragmatismus und Kooperationsbereitschaft aufbieten können. Urban Aykal macht schon mal einen Anfang: „Im Bezirk gibt es in jedem Fall ein Konsens, wobei ich an dieser Stelle betonen möchte, dass ich als Verkehrsstadtrat die parteiübergreifende Unterstützung sehr schätze und begrüße.“

 

Daniela von Treuenfels

Depublizierung von Publikationen? Am Montag waren die im Text erwähnten Leitfäden auf den Seiten der Verkehrsverwaltung aufrufbar. Ob sie einige Tage zuvor offline genommen worden waren, lässt sich für uns nicht mehr nachvollziehen. Es gibt jedoch keinen Anlass, an der Darstellung von changing cities zu zweifeln.

Update:
Die Verkehrverwaltung antwortete am Dienstag Mittag (11.7.) auf unsere Anfrage:
„Der Leitfaden zu den Kiezblocks befindet sich derzeit in einer Überarbeitung. Wir möchten die Website übersichtlicher, nachvollziehbarer und adressatengerechter gestalten. Wir arbeiten daran, die Informationen möglichst schnell wieder ins Netz zu stellen.“

 

 

 

 

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