Er floh vor dem Krieg in seiner Heimat – nun versuchte ein Flüchtling aus Syrien sich im Asylbewerberheim in Steglitz das Leben zu nehmen. Der Grund: Er sollte nach Italien abgeschoben werden.

Das Willkommensbündnis Steglitz-Zehlendorf berichtet wie folgt von dem Fall. Demnach hätten am Donnerstagmorgen gegen 5 Uhr Polizeibeamte das Zimmer von S.D. gestürmt und ihn aufgefordert, sich anzuziehen, da er umgehend nach Italien abgeschoben werden sollte. In seiner Verzweiflung habe der junge Mann versucht, sich aus dem Fenster zu stürzen.

Nach einem heftigen Gerangel sollen die Polizeibeamten die Abschiebung abgebrochen haben, die vom Wachschutz der Asylbewerberunterkunft alarmierte Heimleitung ließ den Syrer auf die psychiatrische Station der Charité bringen. Die Gefahr einer Abschiebung besteht für ihn jedoch weiterhin.

„Wir sind empört und verurteilen diese Aktion im Morgengrauen, bei der ein nach langer Flucht traumatisierter Mensch wie S.D. ohne Vorankündigung und Kenntnis seiner Anwältin oder des Heimbetreibers nach Italien abgeschoben werden sollte. Ein Land, in dem weder Hilfe noch Lebensperspektive auf ihn warten“, sagt Nora Brezger vom Evangelischen Kirchenkreis Teltow-Zehlendorf und Mitglied im Willkommensbündnis für Flüchtlinge in Steglitz-Zehlendorf. Das Bündnis fordert ein Bleiberecht für S.D.

S.D. sei aus Syrien geflohen, als der Bürgerkrieg seinen Heimatort erreichte, berichtet das Willkommensbündnis in einem Schreiben an die Presse. Dort hatte der junge Mann zuvor Englische Literatur studiert. S.D. floh über Ägypten mit dem Boot nach Italien. Von den Ereignissen in Syrien, den vielen Erniedrigungen während der Flucht und der Bootsüberfahrt sei er schwer traumatisiert.

In Italien sei S.D. das Opfer von polizeilicher Gewalt geworden, so sollen ihm Stromstöße mit Elektroschockgeräten zugefügt worden sein, zudem sei er geschlagen worden. „Dies ist kein Einzelfall, auch in vielen anderen EU-Grenzstaaten wie Griechenland, Bulgarien oder Ungarn werden Flüchtlinge misshandelt“, schreibt das Bündnis. S.D. floh weiter nach Deutschland, fand Ruhe und Beratung, er begann Deutsch zu lernen, um sein Studium fortführen zu können.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte das Asylgesuch von S.D. ab, da nach der „Dublin-III-Verordnung“ immer das Land für das Asylverfahren zuständig ist, in dem ein Flüchtling das erste Mal europäischen Boden betreten hat. „In Italien aber hat S.D. keinerlei Möglichkeiten, seine Traumata behandeln zu lassen. Dagegen erfährt er in Berlin sehr viel Unterstützung und wird psychologisch betreut. Die Vorstellung, dies alles wieder zu verlieren und in Italien ohne Unterstützung auf der Straße zu leben, waren Anlass für seine Entscheidung, sich eher das Leben nehmen zu wollen.“

Mittlerweile ist S.D. wieder zurück in der Flüchtlingsunterkunft und lebt in der Angst, dass die Polizei erneut kommt, um ihn abzuholen. Er hat vor vielem Angst, sagt S.D. auf Nachfrage am Telefon: vor dem Krieg in Syrien, vor der Polizei, davor wieder nach Italien zu müssen. Neben den Misshandlungen, die er fürchtet, weiß er nicht, was er in Italien tun soll. Dort habe er kein Unterkunft, keine Arbeit, kein Geld, keine Möglichkeit, sein Studium fortzusetzen, so S.D.. Gerade Letzteres ist ihm aber wichtig, das ist sein Ziel. Und dann? S.D. weiß es nicht. Vielleicht kehre er zurück in ein friedliches Syrien, vielleicht gehe er nach Palästina, denn von der Nationalität her ist S.D. Palästinenser. Heimatlos sei er zur Zeit, sagt er.

Neben dem Willkommensbündnis, das mit seiner Presseerklärung auf die Situation von Flüchtlingen in Deutschland aufmerksam machen möchte, nahm sich auch ein Mitglied des Abgeordnetenhauses aus Steglitz-Zehlendorf des Falls an und reichte eine Petition ein, so Brezger. Sie hofft, dass die Frist, die Deutschland hat, um S.D. nach Italien auszuweisen verstreicht, ohne dass die Polizei ihn noch einmal auffordert, seine Koffer zu packen.

(sn/go)