Dr. Martin Lindner ist nicht nur Direktkandidat in Steglitz-Zehlendorf sondern auch Spitzenkandidat seiner Partei. Archiv-Foto: FDP

Für die FDP tritt bei der Bundestagswahl Dr. Martin Lindner als Direktkandidat in Steglitz-Zehlendorf an. Der 49-Jährige ist zugleich auch Spitzenkandidat der FDP in Berlin. Lindner ist Jurist und seit 2009 Mitglied des Bundestages. Seit 2011 ist er außerdem stellvertretender FDP-Bundestagsfraktionsvorsitzender und wirtschaftspolitischer Sprecher.

StadtrandNachrichten: Herr Lindner, eigentlich passt die FDP gut in einen so konservativen Bezirk wie Steglitz-Zehlendorf. Trotzdem hat sie es bei der letzten Kommunalwahl nicht in die Bezirksverordnetenversammlung geschafft. Wie wollen Sie die Wähler dazu bewegen, Ihnen Ihre Stimme zu geben – oder überhaupt die FDP zu wählen?

Dr. Martin Lindner: Wenn die Wähler die Koalition wählen, dann würde ich mich sehr darüber freuen. Und wenn sie sich mit ihrer Erststimme auf Karl-Georg Wellmann konzentrieren, dann kann ich damit gut leben, wenn sie dann mit ihrer Zweitstimme die FDP wählen. Damit kommt die Koalition und das Land auch voran. Sie sprachen die letzten Abgeordnetenhaus- und Bezirkswahlen an. Das war im absoluten Tief, was unsere Bundesumfragen anging. Die Koalition stand damals gemeinsam bei 35 Prozent, jetzt steht sie bei knapp 48. Das war bundespolitisch die schlimmste Phase. Seitdem ist es extrem gut vorangegangen. Ich merke es auch an den Ständen, da herrscht ein ganz anderes Klima als noch 2011. Es herrscht sehr viel Offenheit, die Leute wissen auch, worum es geht. Sie wollen nicht, dass Rot-Grün regiert, und deshalb wenden sich auch uns wieder zu.

SN: Sie sind als stellvertretender Bundestagsfraktionsvorsitzender und als Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bundespolitisch sehr eingebunden. Woher wissen Sie dann, was die Menschen in Ihrem Wahlkreis Steglitz-Zehlendorf bewegt, was sie diskutieren?

Lindner: In Wahlzeiten dadurch, dass ich zum Beispiel Podiumsdiskussionen besuche. Heute Vormittag war ich im Werner-von-Siemens-Gymnasium, am Abend bin ich beim Podium des Wirtschaftsstammtisches. Ich habe derzeit natürlich auch viele Präsenzen an den Wahlständen. Vor allem aber lebe ich hier!. Unsere Kinder gehen hier in die Schule, wir sind auf Elternabenden, wir sind in der Nachbarschaft vernetzt. Auch zwischen den Wahlzeiten haben wir – meine Frau und ich – viele Gespräche mit Bürgern, die uns ansprechen.

SN: Sie sprachen von den Podiumsdiskussionen. Ich muss gestehen, dass ich Sie bei einigen – wie etwa zum Forschungsreaktor Wannsee oder zur U18-Wahl – vermisst habe.

Lindner: Ich bin ja auch Landesspitzenkandidat und nicht nur Wahlkreiskandidat. Da schulde ich anderen Wahlkreisen auch Präsenz. Da gibt es dann auch Überschneidungen, so dass wir uns aufteilen. Ich hoffe, wir waren trotzdem gut vertreten.

SN: Dann bleiben wir beim Forschungsreaktor in Wannsee. Herr Metzner, der sie bei der Podiumsdiskussion vertreten hat, kam beim Publikum nicht so gut an. Wie stehen sie denn zu der Forderung der Anwohner, den Reaktor sofort zu schließen?

Lindner: Ich habe immer großes Verständnis für die Sorgen und Nöte von Nachbarn und Bürgern, die durch Infrastruktur, Forschungseinrichtungen, Flughäfen und ähnlichem ihren Anspruch auf ein störungs-, belästigungs- und risikofreies Leben gestört sehen. Ich weise aber auch drauf hin, dass ein Land – mit diesem Wohlstandslevel, mit dieser Mobilität – den Menschen die eine oder andere Ungemütlichkeit zumuten muss. Alles andere ist unehrlich. Wir brauchen Infrastruktur, wir brauchen Forschungseinrichtungen, wir brauchen Flughäfen, wir brauchen Bahntrassen und wir brauchen auch Kraftwerke. Wir müssen die Menschen mit Energie versorgen, wir müssen forschen – das ist die Grundlage unseres Wohlstands. Es ist den Menschen zwar lieber, wenn es immer woanders gebaut wird. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Bezirk Steglitz-Zehlendorf sich in einer sehr guten Lage befindet, was die Möglichkeiten betrifft, hier in Ruhe sein Leben zu führen.

SN: „In Ruhe sein Leben zu führen“ ist ein gutes Stichwort. Da denke ich an den neuen Flughafen in Schönefeld und die Flugrouten, die über den Bezirk geführt werden sollen. Ist das ein Thema, das sie bewegt?

Lindner: Ja natürlich, ich lebe ja hier! Ich spüre auch einen Zuwachs an Luftverkehr, allein durch die Überlast von Tegel. Die Flugzeuge drehen auch über unserem Grundstück. Ich vergleiche das aber mal mit den 1970er Jahren, als die Flugzeuge viel lauter waren, da haben sich aber weniger Menschen beschwert. Vielleicht gab es da noch eine größere Offenheit. Heute vergessen wir gern, dass wir alle diese Mobiliät genießen, übrigens zu Preisen, die vor 20 bis 30 Jahren noch völlig undenkbar waren. Die Menschen wollen heute überall hinfliegen, wollen aber die Kehrseite nicht sehen. Ich glaube, wir haben eine vernünftige Lösung erreicht, die Flugrouten sind ja geändert worden. Der Südwesten wird längst nicht so betroffen sein, wie ursprünglich vorgesehen. Ich finde es wichtig, dass die Bürger sich engagieren. Es ist aber auch wichtig zu erkennen, dass alles, wovon wir profitieren, auch seinen Preis hat. Es gibt kein risikofreies, belästigungsfreies und anstrengungsloses Leben. Das gibt es nicht in Deutschland, das gibt es nicht in Berlin und das gibt es auch nicht in Steglitz-Zehlendorf.

SN: Ebenfalls viel diskutiert wird im Bezirk die Bebauung von Parks Range. Wie viel Bebauung ist Ihrer Meinung nach nötig?

Lindner: Ich werbe dafür, dass wir dort den Charakter einer Gartenstadt so weit wie möglich erhalten. Wir müssen hier nicht alles mit Häusern voll stellen, das mindert den Wohnwert. Berlin hat da an anderen Stellen Möglichkeiten, Wohnraum weiter zu verdichten. Da muss man sich nicht auf grüne Bereiche konzentrieren.

SN: Ihre Partei steht für weniger staatliche Einmischung und mehr Eigenverantwortung, das zeigt sich an Slogans wie „Privat vor Staat“ und „Mehr Mut. Mehr Markt. Mehr Freiheit“. Aber hat nicht genau das bei den Banken versagt?

 Lindner: Nein. Da hat es sicher Defizite in der Regulierung gegeben. Ich propagiere keinen laissez faire-Liberalismus, sondern ich propagiere einen Liberalismus, der dem Staat eine starke Rolle als Normengeber, als Rahmensetzer und Schiedsrichter zuweist. Deshalb ist die Regulierung der Finanzmärkte natürlich eine zentrale Aufgabe des Staates. Die Frage ist doch eher, ob der Staat der bessere Unternehmer ist, ob er der bessere Spieler ist auf dem Platz. Das ist etwas anderes als ein Schiedsrichter. Wir müssen erkennen, dass Wettbewerb und Marktwirtschaft uns diesen Wohlstand hier gebracht hat.

SN: Wie stehen Sie dann zum Trennbankengesetz?

Lindner: Ich habe eine gewissen Sympathie dafür, aus dem einfachen Grund, weil die Kapitalanforderung an eine Bank, die sich auf klassischen Geschäfts- und Privatkunden-Banking konzentriert, weniger hoch sein müssen als an eine Investmentbank. Ich warne aber davor zu denken, dass eine Trennung von Investmentbanken und Geschäftsbanken das Problem löst. Das haben wir in den USA gesehen, da hatten sie die Trennung. Die Krise ging von Banken aus, die absolute Investmentbanken waren. Dies Trennbankensystem hatten die USA immer, es hat sie trotzdem nicht vor der Krise bewahrt.

SN: Man hat das Gefühl, dass gerade in Krisenzeiten wie diesen die Menschen mehr Staat fordern. Wenn sie nun weniger Staat fordern ist das nicht das Gegenteil von dem, was die Menschen gerade an Sicherheit brauchen?

Lindner: Die Regulierung von Finanzmärkten ist eine ganz klare staatliche Kernaufgabe. Genauso wie die Gewährung von Sicherheit. Da gibt es bei uns auch keine zwei Meinungen. Ich sehe nur die Gefahr, dass wir zurückfallen in eine Sehnsucht nach staatlichen Lösungen. Als ich angefangen habe Politik zu machen, hat jede Gemeinde versucht zu privatisieren, auch wenn es gar keinen Sinn ergab. Jetzt sehe ich gerade eine Rückverstaatlichung vieler Berichte, die auch keinen Sinn ergeben. Nehmen wir das Beispiel der Bahn. Ich möchte, dass der Staat auf der Infrastruktur sitzt, durch eine hundertprozentige staatliche Gesellschaft oder Anstalt. Das heißt, die Schienen, Netze und Bahnhöfe werden in eine hundertprozentige Besitzgesellschaft transferiert, um dann den Betrieb auf den Schienen dem Wettbewerb zu überlassen. Der Staat bestimmt, was auf dem Netz geschieht, wohin und in welchem Takt gefahren wird. Er hat die Möglichkeit, den besten Anbieter herauszusuchen und hat als Anbieter nicht immer ein Unternehmen.

SN: Mehr Eigenverantwortung – heißt das für Sie auch mehr direkte Demokratie, mehr Volksentscheide?

Lindner: Die FDP favorisiert eine Ergänzung der repräsentativen Demokratie durch Elemente der direkten Demokratie. Ich mache gar keinen Hehl daraus, dass ich dem skeptisch gegenüber stehe, denn ich halte sehr viel von Gesamtverantwortung. Ein Bürgermeister und sein Gemeinderat müssen in ihrer Gemeinde gesamtverantwortlich austarieren, was brauche ich an Infrastruktur, was brauche ich an Kultur, was brauche ich an Sportplätzen. Wenn sie dann immer abstimmen lassen über ein einzelnes Projekt, fürchte ich, wird der Sportplatz immer gewinnen und die Gemeindebibliothek immer verlieren. Verantwortliche Politik aber heißt, dass sich alle Bürger wohl fühlen. Wenn sie abstimmen lassen, wird immer gegen die Straße und für die Ruhe gestimmt. Aber es muss auch die Mobilität sichergestellt werden. Ich bin skeptisch auch aus Erfahrungen heraus mit Bürgerinitiativen, die meist gegen ein Projekt waren. Wenn am Ende dann das Projekt gescheitert ist – sei es der Flughafen, sei es ein Bahnhof, sei es eine Energietrasse –, dann hat sich die Bürgerinitiative aufgelöst und es konnte niemand zur Verantwortung gezogen werden, wenn der Gemeinde dann die Infrastruktur fehlt. Deshalb möchte ich jemanden, der die Gesamtverantwortung übernimmt, der auf das Gesamte schaut und nicht nur auf sein Partikularinteresse.

SN: Dem Bürger fehlt also der Gesamtüberblick für politische Entscheidungen?

Lindner: Er kann sich den schon verschaffen. Auch uns Politikern fehlt bei komplexen Zusammenhängen manchmal der Überblick. Aber darum geht es mir nicht. Ein Bürger ist ja nicht gewählt, um auf das Gesamte zuschauen und das dann nach vier Jahren abgerechnet zu bekommen. Der Bürger interessiert sich erst einmal für seine Belange. Es ist auch ganz verständlich, wenn in seiner Gegend Flugrouten geplant sind, dass er dann sagt: „Die will ich nicht. Das schmälert mein Leben, meinen Komfort und auch den Wert meines Grundstücks. Deshalb bin ich dagegen.“ Das kann ich gar nicht verdenken, ich bin ja selber Bürger mit meinen privaten Interessen. Verantwortliche Politik ist aber auf der einen Seite den Komfort der Bürger, auf der anderen Seite aber auch die Sicherheit und die Versorgung der Bürger sicherzustellen. Das ist kein Mangel an Überblick, sondern das ist ein Widerspruch zwischen einem verständlichen Eigeninteresse und der Verantwortung für das Ganze.

SN: Die Wählerschaft, die Sie ansprechen definieren Sie klar als Mitte. Die wird aber immer kleiner, die Schere klafft weiter auseinander, …

Lindner: … das stimmt nicht. Das ist eine Behauptung, die immer wieder aufgestellt wird, die aber nicht empirisch zu belegen ist. Ganz im Gegenteil, wir haben seit Jahren wieder ein Zusammenwachsen der Schere. Wir haben auch keinen Zuwachs an Armut, sondern eine Reduzierung. Ich nenne das mal das Titanic-Prinzip. Es gibt keine Verfilmung, die sich mit den Passagieren der zweiten Klasse beschäftigt. Es ist immer nur die erste Klasse und die dritte Klasse – weil das spannender ist und da mehr Zündstoff drin steckt. Das gibt es auch in der Politik, dass wir einerseits zu sehr den Blick haben auf Hartz IV-Empfänger, auf den sozial Benachteiligten, und auf der anderen Seite auf Millionäre. Was dabei verloren geht, ist, dass der Träger der Gesellschaft die Mitte ist. Auf die setzt die FDP ihren Fokus.

SN: Trotzdem gibt es vermehrt die Angst vor dem sozialen Abstieg. Woher kommt die, wenn alles so gut läuft?

Lindner: Durch die Krisen der vergangenen Jahre hat eine Generation, vielleicht zum ersten Mal, ein Gefühl dafür bekommen, dass nichts für die Ewigkeit ist. Das alles immer wieder neu erkämpft werden muss und kein Status quo für immer gilt.

SN: Wir haben uns heute in der Villa Donnersmarck getroffen, ein Haus das sich die Arbeit mit behinderten Menschen verschrieben hat. Welche Konzepte hat denn die FDP, damit Menschen mit Behinderung am gesellschaftlichen Leben teilhaben können? Das Stichwort ist Inklusion.

Lindner: Ich glaube, dass es wichtig ist, dafür zu sorgen, dass Menschen mit Behinderung – und ich habe selbst welche in meiner Familien – die Chance haben, normal teilzuhaben am Leben. Das heißt, nicht in irgendwelche Spezialeinrichtungen abgeschoben zu werden. Man muss diese Menschen nicht von morgens bis abends rundum betreuen, sondern ihnen die Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen.

SN: Damit muss schon früh angefangen werden, in den Schulen. Wie kann da Inklusion umgesetzt werden?

Lindner: Ich weiß aus Erfahrung, dass das nicht immer in der Praxis stattfindet. Das, nicht einmal böse gemeint, der Hinweis gegeben wird, dass es da eine Sondereinrichtung gebe. Ich glaube, Teilhabe muss im Bewusstsein der Menschen noch stärker verankert werden.

SN: Heißt, irgendwann sind Einrichtungen, wie die Villa Donnersmarck nicht mehr notwendig, weil alles inkludiert ist?

Lindner: Nein, das glaube ich nicht. Es wird immer ein Auftrag sein. Es liegt nicht nur am Willen, sondern auch an der Bequemlichkeit vieler Entscheider, sich damit auseinanderzusetzen und sich zu öffnen für behinderte Menschen. Deshalb wird eine Einrichtung wie die Villa Donnersmarck immer vonnöten sein.

 (go)