Ewige Einsamkeit? Studienbeginn in Pandemie-Zeiten

Ewige Einsamkeit? Studienbeginn in Pandemie-Zeiten

Foto von Eldar Nurkovic

 

Das Semester startet – die Erwartungen sind hoch, Studierende sehnen sich nach menschlichen Kontakten und freuen sich auf den Campus. Eindrücke von Lichterfelder „Erstis“.

Bereits während meines Abiturs 2020 war abzusehen, dass kein gewöhnlicher Studienstart bevorstehen würde. So entschloss ich mich, erst ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) zu machen, bevor ich mich in das Unileben schmeiße. Für andere Studierende war das letzte Jahr ein Horror: Ungewissheit über die pandemische Lage und geplagt von Einsamkeit in der digitalen Lehre.

Die Universitäten wollen nun Stück für Stück wieder zurück in die Präsenz-Lehre. Die Aktion #yeswecampus der Freien Universität verdeutlicht dies. „Wir wollen zurück auf den Campus“, sagt Universitätsprofessor Dr. M. Ziegler mit Nachdruck auf der zentralen Einführungsveranstaltung. „Ich auch“, denke ich mir, werde aber später enttäuscht.

Meine Erwartungen an das kommende Wintersemester sind hoch: Neue Leute und den Campus kennenlernen, in der Bibliothek lernen, Seminare im Hörsaal, in der Mensa essen. Ein typisches Unileben eben. Als Ersti ist es wichtig, mich mit meinen Kommiliton*innen auszutauschen. Das funktioniert am besten face to face – wenn auch mit Maske und Abstand. Doch mein Stundenplan sieht etwas anderes vor: Das ganze Semester findet für meinen Studiengang nur digital statt – selbst die Seminare. Es heißt, es gäbe keine Räume für eine Gruppe mit 40 Studierenden. Die farbenfrohe Kampagne hilft mir also nicht viel, ich werde mein erstes Semester wohl hier am Schreibtisch verbringen. Enttäuschung macht sich in mir breit. Meine größte Sorge ist nicht zuhause zu vereinsamen, sondern das Institutsgebäude und die Kommiliton*innen nicht kennenzulernen und von der Nachrichtenflut in so manchen Online-Gruppen überschwemmt zu werden.

Mit dem Semesterstart trifft man als Lichterfelder Abiturientin ein paar bekannte Gesichter aus der Schulzeit. Denn es scheint, dass viele, bei denen der Abiturschnitt stimmt, zum Studieren bleiben. Sind wir bequem oder steckt da doch mehr dahinter? Was hält uns in Berlin und lässt uns in Dahlem studieren? Ich habe bei Menschen aus meinem Abitur-Jahrgang einmal nachgefragt. „Ich liebe Berlin. Ich kann mir keine andere Stadt vorstellen, die so vielseitig, aufregend und undefinierbar wie unsere Hauptstadt ist“, erzählt mir Cara Preu, die ab diesem Semester Jura an der FU studiert. „Nirgendwo in Deutschland ist man so viel unter Menschen und genießt dennoch Anonymität – wenn man möchte. Die Berliner wissen: Diese Stadt ist eigentlich ein Dorf. Durchs Studium werden wir viele neue Kontakte knüpfen, darauf freue ich mich.“ Ihre Erwartungen an das Studium: „Ich hoffe, neue Seiten an mir, an meiner Generation und an der Stadt entdecken. Ich möchte an den neuen Herausforderungen wachsen und sehen, wie die anderen um mich herum es auch tun.“ Über ihren Studienbeginn sagt Cara: „Ich war überrascht, wie interessiert und aufmerksam viele der „Erstis“ den Vorlesungen gelauscht haben und hätte nicht mit so viel Unterstützung und den herzlichen Begrüßungen gerechnet.“ Sie darf mit anderen Jura-Student*innen ihr Studium in voller Präsenz genießen.

Paul Walter, der jetzt BWL in Dahlem studiert, ist froh, dass er zum Studieren in Berlin bleiben kann. „Es hat einfach einen tollen Flair mit 700 Leuten im Audimax zu sitzen und sich spannende Themen anzuhören. Ab und zu habe ich mit dem Gedanken gespielt, zum Studieren in eine andere Stadt zu ziehen. Aber Berlin ist einfach eine geile Stadt und ich bin absoluter Großstadtmensch. Außerdem habe ich hier meinen Verein und mein Ehrenamt.“ Noch wohnt er bei seinen Eltern. „Ich habe richtiges Glück mit meiner Wohnsituation, da lohnt es sich nicht auszuziehen.“

Auch Niklas Nachtigall ist ein junger Lichterfelder, der nach dem Abitur geblieben ist und nun Deutsche Philologie und Philosophie auf Lehramt im ersten Fachsemester studiert. „Für junge Leute bleibt Berlin einfach die attraktivste Stadt Deutschlands. Unabhängig vom Studium bietet sie unzählige Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung.“ Noch wohnt er bei seinen Eltern in Lichterfelde, plant aber Ende des Jahres in eine eigene Wohnung im Süden Berlins auszuziehen. „Ich erwarte vom Studium an der FU relativ viel und hoffe, dass das Studium meinen Vorstellungen entspricht – gerade bei Philosophie. Das habe ich in der Oberstufe nicht belegt und hoffe trotzdem, dass ich den Anschluss behalte. Ich freue mich auf das gesamte Studierenden-Leben, gerade nach dem Corona-Jahr ist das eine schöne Gelegenheit, sich wieder unter Leute zu begeben und diese kennenzulernen. Mein erster Eindruck ist durchweg positiv. Ich habe das Gefühl, dass sich alle ehrlich freuen, wieder in Präsenz zu lernen.“

An einer Universität zu studieren, die als deutsche „Exzellenz-Universität“ gilt, noch zuhause bei den Eltern wohnen zu bleiben und sich die teuren Berliner Mietpreise und den Kampf auf dem Wohnungsmarkt zu ersparen, sind äußerst attraktive Aussichten. Weite Fahrtwege bleiben Steglitz-Zehlendorfer*innen durch die Nähe zum Campus erspart. Einmal Großstadtkind, immer Großstadtkind? Nun, Hand aufs Herz, im Süden Berlins boomt das berüchtigte Berliner Stadtleben nicht. Ein bisschen ruhig, aber dafür umso schöner ist es in Lichterfelde und auch in Dahlem aber trotzdem.

Das Semester nimmt seinen Lauf und die Corona-Infektionen leider auch. „Derzeit finden etwa drei Viertel unserer mehr als 5.000 Lehrveranstaltungen in Präsenz statt.“ Schreibt die Universität in einer E-Mail. Mein Institut gehört leider nicht dazu. Dabei ist die Impfquote bei Studierenden überdurchschnittlich hoch: Laut einer Umfrage an der FU sind 90 Prozent der Studierenden vollständig geimpft. Ich besuche ein Tutorium in Präsenz, obwohl ich es mir nicht anrechnen lassen kann. Dort sitzen wir geimpft, mit FFP2-Maske auf Abstand, eine Doppelstunde die Woche, es ist besser als nichts. Weihnachten ist vorbei und die Online-Lehre wieder da. Das soll sie also sein, die beste Zeit unseres Lebens. Zuhause vor einem Bildschirm, aus dem uns graue Kacheln anstarren, unbekannte Namen, die für immer unbekannt bleiben werden? Studierende aus den höheren Semestern beklagen sich auch, ihnen fehlt die Motivation, sie fühlen sich allein und richtig Lust auf das Studieren haben sie auch nicht mehr. Einige Erstsemester ziehen wieder zurück in ihre Heimat. Wenn sowieso alles online stattfindet, lohne sich die teure Miete in Berlin nicht.

Mein Studium hat gerade erst angefangen. Die Tage, an denen ich an der Universität war, lassen sich wahrscheinlich an beiden Händen abzählen. Neben den Vorlesungen mit bis zu 200 Studierenden, vertonten Präsentationen und aufgezeichneten Frage-Runden, ist es schwer, den Überblick zu behalten. Jede*r Dozierende geht anders vor, aber am Ende findet doch alles am eigenen Schreibtisch vor dem eigenen Laptop statt. Die Einführungstage im Oktober und die #yeswecampus Aktion ließen hoffen, dass ein gewöhnliches Studieren in Präsenz möglich ist. Leider ist dem nicht so, aber die Hoffnung bleibt.

 

Dijana Kolak

 

 

Der Artikel ist in veränderter Form in der zweiten Ausgabe 2021 des „Ferdinandmarkt“ erstveröffentlicht worden. Hier geht es zu weiteren Informationen rund um das Kiezmagazin für Lichterfelde und Lankwitz: https://www.ferdinandmarkt.com/

 

 

 

 

 

 

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