Die Gartenstadt zehlendorf wird in diesem jahr 100 Jahre alt und ist Denkmal des Monats November. Foto: Denkmalschutzbehörde

Wer heute von Zehlendorf-Mitte kommend die Berlepschstraße entlang geht und die malerischen Treppengiebel und Erkeranbauten erblickt, ahnt nicht, dass hier eine bauhistorisch höchst interessante Berliner Wohnsiedlung zu entdecken ist. Nach Plänen der Architekten Paul Mebes und Paul Emmerich entstand zwischen Schrock- und Radtkestraße von 1913 bis 23 ein schönes Beispiel für die Gesinnung der aus England stammenden Gartenstadtbewegung. Die verschiedenen Bauphasen dokumentieren ferner die Wandlung von der Gartenstadtidee zum Großsiedlungstypus der zwanziger Jahre

Feierlich wurden am 28. September 1913 die ersten Reihenhäuser an der Berlepsch-, Camphausen- und Dallwitzstraße sowie am Rotherstieg eingeweiht. Der Beamten-Wohnungs-Verein zu Berlin erwarb im Frühjahr 1912 das rund sieben Hektar große Grundstück von dem Landwirt Julius Zinnow. Vor dem Hintergrund zunehmender Kritik an den prekären Wohnverhältnissen in der Innenstadt wuchs in der bürgerlichen Bevölkerung der Wunsch nach naturverbundenem Wohnen. Malerisch geschwungene Straßenführungen, zweigeschossige Hausgruppen mit Vor- und Nutzgärten, Zäunen, Pergolen, Fensterläden und Spalieren zeugen noch heute von dem Gartenstadtcharakter.

Die Architekten orientierten sich an der als vorbildlich verstandenen klassizistischen Palais- und Bürgerhausarchitektur aus der Zeit „Um 1800“, wie auch der programmatische Titel einer Mebes-Veröffentlichung von 1908 lautete. Dreieckgiebel, Gesimsbänder oder pilasterartige Wandvorlagen bestimmen das Straßenbild. Andererseits verweisen die Gartenfassaden mit tiefgezogenen Dachzonen, ihren abwechslungsreichen Fassadengestaltungen und meist holz verkleideten Lauben auf die englische Landhausarchitektur. Das Wohnangebot umfasst im Wesentlichen vier Grundrisstypen mit 3,5 bis zu sieben Zimmern bei 75 bis 150 Quadratmeter Wohnfläche.

Die Realisierung der ersten 150 Reihenhäuser wurde durch den Weltkrieg unterbrochen. Nach Fertigstellung von 92 Häusern 1913 setzte die Genossensch aft den Bau der Siedlung entlang der Dallwitz-, Thür- und Radtkestraße erst 1919 bis 21 fort.

Gegenüber der reichhaltigen Formensprache des ersten Bauabschnitts verwendeten die Architekten nun vor allem Farbe als Mittel zur Gestaltung von Fassaden und einzelnen Bauteilen. Bunte Rahmen- und Friesbänder dienten zur Individualisierung von 58 Reihenhäusern.

1921 bis 23 folgte der dritte Bauabschnitt. Die Wohnstätten GmbH beauftragte Mebes & Emmerich mit dem Bau von weiteren 102 Wohnungen in zweigeschossigen Wohnblöcken zwischen Camphausen- und Schrockstraße sowie acht Doppelhäusern am Grenzpfad. Dabei kamen fünf Grundrisstypen mit zwei- bis 5,5-Zimmer-Wohnungen und 60 bis 140 Quadratmern Wohnfläche zur Ausführung. Spitzwinklige Erkeranbauten, Treppengiebel und eine kontrastreiche Farbgestaltung prägten das Erscheinungsbild.

Mit der Wohnstraße Am Weißen Steg gliederten die Architekten ein 2,7 Hektar großes Grundstück und kreierten auf diese Weise zwei durch Wirtschaftswege erschlossene Wohnhöfe. Sämtliche Wohnungen verfügen hier über eine Gartenparzelle, die sowohl der Wohnraumerweiterung als auch Selbstversorgung diente. Mit der Schließung verbliebener Baulücken in der Thür- und Radtkestraße komplettierte der Beamten-Wohnungs-Verein das Projekt,  jedoch nach Plänen von Franz Tonndorf.

„Die ‚Gartenstadt Zehlendorf’ ist noch da, (…), und die Anlage wirkt immer noch sehr angenehm, man möchte sagen vorbildlich“, konstatierte Julius Posener 1995 in seinem Aufsatz „Berlin ist Vielfalt“. Bis heute zeichnet sich die Siedlung durch eine hohe Wohnqualität aus und dokumentiert den immer währenden Wunsch nach Licht, Luft und Sonne.

Seit 1985 stehen die Reihenhausgruppen unter Denkmalschutz, die Wohnblöcke der Gartenstadtseit seit 1995. Zu dieser Zeit war die ehemalige Farbigkeit bei den Reihenhausgruppen nur noch in Teilen und bei den Blöcken gar nicht mehr erkennbar. Auch die ursprünglichen Einfriedungen und Pergolen sind verloren. In den 1990er Jahren begann der Beamten-Wohnungs-Verein zu Berlin mit der denkmalgerechten Wiederherstellung der Fassaden. Dabei wurden beschädigte Elemente instand gesetzt sowie der Putz und die farbigen Rahmen- und Friesbänder originalgetreu erneuert.

Mit ihrer gemäßigt modernen Architektur erscheint die Gartenstadt Zehlendorf auf den ersten Blick nicht sonderlich spektakulär. Gleichwohl ist die Sied lung ein bedeutendes Beispiel für den reformerischen und genossenschaftlichen Wohnungsbaus des frühen 20. Jahrhunderts.

(Frank Rattay, Denkmalschutzbehörde)