Sogar Baumkobolde gibt es in Lichterfelde, dieses Exemplar steht am Oberhofer Platz. Foto: Matthias Bieberstein

 

Wie oft schon habe ich den Straßenzug Drakestraße – Königsberger Straße genutzt, um schnell von A nach B zu kommen? Damals zur Uni zum Beispiel. Oder den Hindenburgdamm nach Steglitz? Natürlich inklusive der vielen Schleichwege, falls mal wieder Stau war. Zeit für die Straßen, Häuser und Grünflächen hatte ich irgendwie nie. In unserer zunehmend schnelllebigen Zeit kann es hilfreich sein, mal langsam zu machen, zu atmen, zu genießen, zu staunen.

Es macht etwas aus, statt auf zwei, vier oder mehr Rädern auf den eigenen Füßen unterwegs zu sein. Es entschleunigt und macht den Kopf frei. Bei manchem Jogger mit Sportkopfhörern, der mit gefühlten 30 km/h an mir vorbei fetzt, bin ich mir zwar nicht sicher, was im Kopf entsteht. Ich aber gehe spazieren – altersgerecht und erlebnisreich. Irgendwann entstand die Idee, nicht allein zu laufen, sondern gemeinsam in der Gruppe. Ich möchte die Orte, die ich entdeckt hatte mit anderen teilen.

Vom S-Bahnhof Lichterfelde zur ehemaligen Eisenbahnersiedlung

Und so geht es Anfang September an einem Sonntag bei sehr angenehmen 21°C auf die erste Etappe. Vom S-Bahnhof Lichterfelde West zum S-Bahnhof Lichterfelde Ost. Bewusst NICHT auf dem kürzesten Weg, sondern abseits der Hauptstraßen, mit Ruhe und Blick für die Schönheit der Villenkolonie Lichterfelde, die einst vom Hamburger Unternehmer Johann Anton Wilhelm von Carstenn gegründet wurde. Wir, eine Abordnung der Facebook-Gruppe Lichterfelde, gehen zunächst nicht etwa die Baseler Straße hinunter, um nicht schon nach 100 Metern einen Zwangsstopp an der Berliner Genussmanufaktur einlegen zu müssen. Stattdessen laufen wir entlang der Bahngleise über den leeren Parkplatz zum Kadettenweg. An der Kreuzung Curtiusstraße geht es schräg hinein in die Köhlerstraße zum ersten Fotomotiv: Das Ensemble der ehemaligen Eisenbahnersiedlung. Diese wurde bereits 1873/74 errichtet, kurz nachdem sich Carstenn mit der Bahngesellschaft auf die Errichtung eines Bahnhofes einigte und dafür das Grundstück zwischen Curtius-, Köhler- und Geibelstraße sowie Jägerndorfer Zeile (die Straßennamen waren damals andere) abtrat.

Auch nach 150 Jahren ein Hingucker: die ehemalige Eisenbahnersiedlung. Foto: Matthias Bieberstein

 

Über die Friedrichstraße geht es weiter zum Rother-Stift, der die Straßenecke Friedrich- und Kommandantenstraße prägt. In typischem Gründerzeitstil um 1896 errichtet diente das im Bogen angeordnete Backsteinensemble als Alterssitz für unverheiratet gebliebene Töchter preußischer Beamter und Offiziere.

Imposanter Gründerzeitbau: Eingangsbereich des Rother Stiftes. Foto: Matthias Bieberstein

 

Wir folgen der Friedrichstraße weiter bis zum Karlplatz, der heute Spielplatz ist und das Kaffeehaus Lüske beherbergt. Der Platz wurde von Carstenn selbst angelegt und diente als zentraler Punkt der Villenkolonie. Zudem galt es als geboten, den Platz nach Prinz Carl von Preußen, Bruder des Kaisers Wilhelm I., zu benennen.

Prächtige Villen in verschiedenen Baustilen auf dem Weg Richtung Amtsgericht

Anstatt über die Ringstraße zu laufen, folgen wir einem Hinweis aus dem Steglitz-Museum und nehmen den Kadettenweg in südliche Richtung bis zur Holbeinstraße, um dort die verschiedenen Baustile diverser Villen zu bestaunen: mal russisch, dann wieder britisch, mit und ohne Türmchen – ein buntes Potpourri aus 150 Jahren Architektur. Unser nächstes Ziel wartet aber auf der anderen Seite der Drakestraße, die nicht etwa nach einem britischen Freibeuter oder einem amerikanischen Offizier benannt ist, sondern nach dem Bildhauer Johann Friedrich Drake, der u.a. die Viktoriafigur auf der Siegessäule geschaffen hatte. So geht es zur Ringstraße, der wir in südöstlicher Richtung vorbei an Abbés Weinladen bis zum Amtsgericht Schöneberg II folgen.

Mietshaus in der Ringstraße – errichtet 1904. Foto: Matthias Bieberstein

 

Es gehört zu den Kuriositäten Berlins, dass Stadtbezirke nicht immer etwas mit Gerichtsbezirken zu tun haben müssen. Tatsächlich gehören Steglitz-Zehlendorf und das ehemalige Schöneberg samt Friedenau zum Zuständigkeitsgebiet des Amtsgerichts Schöneberg und Lichterfelde ist die Außenstelle. Wie es sich für ein Gerichtsgebäude aus dem Jahr 1906 gehört, gibt es dort auch ein Gefängnis. Das ehemalige Frauengefängnis Söht 7 wird nun aber als Eventlocation, Galerie und zukünftig auch als Hotel genutzt. Leider stehen wir vor verschlossenen Türen. Geöffnet sind diese dann, wenn dort Veranstaltungen stattfinden.

Zwei Gotteshäuser auf dem Lichterfelder Dorfanger

So wenden wir uns der Lilienthal-Schule zu und schwenken über das Oberlin-Seminar in den südlichen Teil des Tietzenweges, der uns direkt zur alten Dorfkirche Lichterfelde leitet. Diese kleine Feldsteinkirche wird sehr gern übersehen, wird sie doch deutlich von der präsenteren Pauluskirche, die sich ebenfalls auf dem alten Lichterfelder Dorfanger, der vom Hindenburgdamm umschlossen wird, befindet, überragt. Doch zu Unrecht! Denn die Dorfkirche hat den Paulus-Kirchfriedhof zu bieten und auf diesem befindet sich u.a. das Grab des Koloniengründers J.A.W. von Carstenn.

Auf der Suche nach Carstenn: die Lichterfelder Dorfkirche. Foto: Matthias Bieberstein

 

Mäuse statt Gebäck

Man könnte nun auf einen Kaffee und leckeren Kuchen ins Gutshaus Lichterfelde einkehren und den Blick auf den Schlosspark genießen, aber wir biegen vorher ab in die Krahmerstraße, weil wir ein anderes Baudenkmal besuchen wollen: den so genannten Mäusebunker. Dieses ehemalige Tierversuchslabor der Freien Universität Berlin, zuweilen auch „Ikone des Brutalismus“ genannt, wurde erst im Frühjahr 2023 unter Denkmalschutz gestellt. Bereits seit Jahren wird überlegt, was man mit dem Gebäude anfangen kann – nur ein Abriss ist nun nicht mehr ohne weiteres möglich.

 

Raumkreuzer? Bausünde? Denkmal! Foto: Matthias Bieberstein

 

Was das Bethel-Krankenhaus mit Fußball zu tun hat

Über den Krahmersteg überqueren wir den Teltowkanal und betreten Lichterfelde Ost, das uns im Bäkepark begrüßt. Wir nutzen die wenig frequentierten Wege in Richtung Bäkebrücke. Im Frühsommer, wenn hier die Steglitzer Festwochen ihre Rummelbuden und Livemusik anbieten, ist deutlich mehr los. So aber erreichen wir flugs die Bäkestraße, queren den Ostpreußendamm und laufen quasi fast geradeaus weiter in die Ritterstraße, die uns zum Marienplatz führt. Dort finden wir das Bethel-Krankenhaus, das zum baptistisch geprägten Gesundheitsnetzwerk Bethel Berlin gehört. Diese Einrichtung kooperiert mit dem FC Viktoria 1889, einem Breitensportverein mit Schwerpunkt Fußball, der u.a. im Stadion Lichterfelde beheimatet ist. Kein Wunder, dass man im Bethel neben Gastro/Darm und Geriatrie auch auf das Thema Gelenkersatz spezialisiert ist.

Am Bahnhof blüht es

Wir sind nun kurz vor dem Ziel der ersten Etappe und steuern über die Marienstraße die Bahnhofstraße an. Von dort sehen wir bereits am Ende der Straße das Bahnhofsgebäude der Station Lichterfelde Ost. Der Eingang Jungfernstieg ist der schönere der beiden Eingänge und offeriert einen wunderschönen Rosengarten in der Zufahrt. Dieser Rosengarten hat eine Geschichte, die aber im zweiten Teil „Kiezspaziergang Lichterfelde Ost“ erzählt wird.

 

 

Matthias Bieberstein