Die Seniorinnen fühlen sich wohl in ihren Häusern, machen es sich dort gemütlich. Fotos: Gogol

„Wir wollen hier nicht weg, wo sollen wir denn auch hin?“, fragt Mathilde von Modrzejewski. Sie wohnt in einer Seniorenwohnung an der Mudrastraße. Nun macht sie sich Sorgen, weil das Bezirksamt die Seniorenhäuser verkaufen will, um sie sanieren zu lassen. Zehn Millionen sind nach Schätzungen des Bezirksamtes dafür notwendig – Geld, das der Bezirk nicht hat. So wie von Modrzejewski geht es vielen weiteren Mietern, die in der Seniorenwohnanalge in Lankwitz wohnen, manchmal schon seit Jahrzehnten.

Inge Rahneberg lebt seit 17 Jahren in einer Wohnung im Haus Mudrastraße 11. Damals zog sie aus ihrer Drei-Zimmer-Wohnung in die 39-Quadratmeter große Seniorenwohnung. Eine Umstellung sei das gewesen, „ich war am Anfang unglücklich“,erzählt sie. Heute kann sich die 80-Jährige nicht mehr vorstellen wegzuziehen. Auch wenn sich die Situation verschlechtert hat. Die Gründe, warum sie sich für das Haus entschied, gibt es nicht mehr. Der Hausmeister ist weg, stattdessen schaut zweimal wöchentlich ein Objektmanager vorbei. Auch der Notknopf ist fort. Die Unsicherheit, wie es mit dem Haus weitergehen soll, nage an ihr, sagt Rahneberg. „Mit 80 noch einmal von vorne anzufangen, darauf hätte ich keinen Bock.“ Viel Hoffnung allerdings, dass ihr das erspart bleibt, hat sie nicht. „Das macht uns alle krank“, sagt Gudrun Laufer. Einen Umzug würden doch die meisten körperlich gar nicht mehr schaffen. „Wir wollen hier wohnen bleiben. Hier möchte keiner sein Zuhause verlieren“, appelliert Laufer, die mit 68 Jahren zu den jüngsten Bewohnern gehört. Ihre 91-jährige Mutter wohnt im gleichen Haus, nur eine Treppe höher.

Dass in den Häusern so viel zu tun sei, verstehen die Bewohner nicht. Das einzige Problem, das Gudrun Laufer sieht, sind die Bäder, die saniert werden müssen, inklusive der Rohre, weil es häufiger Rohrbrüche in der Anlage gibt. „Die Bausubstanz ist gut“, so Laufer.

Seit mehr als 20 Jahren wohnt Ilse Berger (Name von der Redaktion geändert) in einer Seniorenwohnung. „Es ist immer alles gut gelaufen. Wir hatten einen Hausmeister, der sich um alles gekümmert hat, wir hatten eine Schwester im Haus, die Spritzen gab und auch den Blutdruck gemessen hat. Heute steht das alles leer. Keiner kümmert sich mehr“, so Berger, die sich mit Bezirksstadtrat und Bürgermeister deshalb in Verbindung gesetzt hatte. Passiert sei nichts. Sie lebe gern in ihrer Wohnung, sagt die 92-Jährige. „Nicht im Heim, daheim soll der Mensch leben“, findet sie. Und daheim sei sie in der Mudrastraße. Viele Mieter treffen sich nachmittags, um gemeinsam Kaffee zu trinken. „Wir machen es uns richtig schön. Silvester feiern wir mit Tanz und lauter Musik“, erzählt Gudrun Laufer. Im Sommer wird im Hof gegrillt. Vieles machen die Senioren selbst. Bis sie 85 war habe sie sich noch um den Garten gekümmert, erzählt Laufers Mutter.

„Es gibt keine besser Anlage“

„Es gibt keine besser Anlage“, da sind sich die Seniorinnen einig. Zudem sei sie günstig und barrierefrei. „Es ist lächerlich wenn ich in eine Residenz gehe. Ich kann nicht wie eine Prinzessin leben, ich habe mein ganzen Leben lang hart gearbeitet“, sagt Berger. Auch sei die Nachfrage nach den Wohnungen ungebrochen groß, vermietet allerdings werden sie nicht mehr. In dem Haus mit der Nummer 11 stehen derzeit 12 der 24 Wohnungen leer, in der Nummer 9 sind es noch einmal neun. Das mache die Wohnungen nicht besser.

Vor einem Jahr wurde Isabel Miels (SPD) auf die Nöte der Senioren aufmerksam, als der Sozialausschuss Steglitz-Zehlendorf in den Häusern an der Mudrastraße tagte. „Die Intention, den Ausschuss hier tagen zu lassen, war wohl, die Mitglieder des Ausschusses davon zu überzeugen, dass ein menschenwürdiges Wohnen hier nicht möglich ist“, vermutet Miels. Doch der Schuss ging nach hinten los. Sie habe alles andere als diesen Eindruck gewonnen, sagt die Sprecherin für Soziales der SPD-Fraktion. „Bei zahlreichen Besuchen hier vor Ort konnte ich mich davon überzeugen, dass die Menschen gerne hier wohnen und das auch in Zukunft gerne wollen“, sagt sie.

Dass eine Sanierung zehn Millionen Euro kosten soll, wie das Bezirksamt sage, wollen Miels und ihre Parteikollegen nicht glauben. Sie gehen eher von 750.000 Euro für eine „Pinselsanierung“ beziehungsweise 2,5 Millionen Euro für eine energetische Sanierung aus. Ein Investor, den man abgelehnt habe, habe die Anlage auch nur für zwei Millionen Euro renovieren wollen. Das müsse auch der Bezirk schaffen, findet Miels, schließlich stehe er in der Verantwortung, günstigen Wohnraum für Senioren bereitzuhalten.

Die zehn Millionen habe nicht er ins Spiel gebracht, sagt der Bezirksstadtrat für Soziales, Nobert Schmidt (CDU), sondern sein Kollege, der BaudezernentMichael Karnetzki (SPD), der derzeit allerdings erkrankt ist. Doch an der Summe zweifle er nicht, die halte er sogar für realistischer als die von Miels genannten 2,5 Millionen Euro. Denn es sei viel zu tun an den Häusern. Die Etagenbäder müssten saniert, die Heizungsanlage ausgetauscht, die Außenhaut und das Dach saniert werden – und das sei nur die Spitze des Eisbergs. „Das ist nicht hinzukriegen mit einem Farbeimer und einmal durchwischen.“

Kein Geld für Pflichtaufgaben

„Das Haus verkommt, wir finden das sehr schlimm“, sagt Schmidt, gibt aber zu, dass der Bezirk einfach nicht das Geld habe, um die Anlage instand zu halten. Er sieht die einzige Möglichkeit darin, sie loszuwerden. „Wir tun dies nicht, weil wir gern Senioren drangsalieren und ärgern“, sagt er. Der für Instandhaltung im Haushalt bestimmte Titel sei „seit Jahren chronisch notleidend“, weil das Land nicht die notwendigen Mittel bereit stelle. Es gebe seit Jahren einen Sanierungsstau, sagt der Bezirksstadtrat und verweist auf die 65 Schulen in Steglitz-Zehlendorf, die einer dringenden Instandsetzung bedürfen. „Schule ist ein Pflichtaufgabe. Und schon dafür haben wir das Geld nicht, geschweige denn für eine Seniorenwohnanlage, die keine Pflichtaufgabe ist.“

Trotzdem wird das Bezirksamt nun prüfen müssen, ob die Anlage nicht doch in der bezirklichen Verwaltung bleiben kann. Alle Fraktionen verabschiedeten auf der Dezembersitzung der Bezirksverordnetenversammlung einen Antrag, den die SPD-Fraktion eingebracht hatte. Darin wird das Bezirksamt aufgefordert zu prüfen, wie die Häuser saniert werden können, so dass das Bezirksamt auch weiterhin Senioren mit geringem Einkommen dort unterbringen kann. Auch Alternativen, wie die Übergabe an eine städtische Wohnungsbaugesellschaft oder die Möglichkeit eines Erbbauvertrages sind zu untersuchen. Die Entscheidung der BVV verschafft den Senioren – zumindest bis in neue Jahr – ein wenig Luft. Denn, so erklärt Norbert Buchta, Fraktionsvorsitzender der SPD, es gebe eine Art Stillhaltevereinbarung mit dem Bezirksamt. Solange der Prüfauftrag läuft, können die Häuser nicht verkauft werden.

(go)